Fußball

König der Bedeutungslosigkeit Bizarrer Ronaldo zelebriert seine Einzigartigkeit

Cristiano Ronaldo findet sein Glück offenbar in Saudi-Arabien.

Cristiano Ronaldo findet sein Glück offenbar in Saudi-Arabien.

(Foto: REUTERS)

Inmitten eines großen Feuerwerks samt Laser-Show marschiert Cristiano Ronaldo durch ein Spalier und lässt sich von den begeisterten Zuschauern feiern. Mit einer skurrilen Show wird der portugiesische Superstar in seiner neuen fußballerischen Heimat in Saudi-Arabien vorgestellt.

Cristiano Ronaldo, der vertriebene Fußball-König, hat ein neues Reich. Und zum ersten Mal betreten hat er es in der Nacht zu Dienstag. Um kurz vor Mitternacht hatte sich der gebückte Gigant wieder aufgerichtet, stolzierte lässig die Gangway aus seinem Flieger hinab, mit einem roten Teppich ausgelegt, und war wieder dort, wo er sich am wohlsten fühlt: im heroisierten Mittelpunkt. Die federnden Schritte hinab auf den Airport in Riad markieren eine Zeitenwende im Fußball. Ronaldo lässt sein Königreich Europa hinter sich. All die Kritik, Häme, gefühlten Demütigungen und taucht in eine Welt ab, in der es nur einen Monarchen gibt: ihn, Cristiano Ronaldo. Dass sich sein ewiger Rivale Lionel Messi erst vor wenigen Tagen auf der arabischen Halbinsel, in Katar, zum Weltmeister gekrönt und ihm diesen Titel nun voraus hat, es wirkt an diesem Dienstag wie aus einer anderen Zeit.

Saudi-Arabien, der Al-Nassr Football-Club, empfängt seinen neuen Superstar, den größten, den dieser Klub, dieses Land je gesehen hat. Der ganze Wüstenstaat ist in diesen Stunden "Hala Ronaldo". Unübersehbar. An jeder Ecke. Und sie legen ihm wieder die Welt zu Füßen. Finanziell, eine halbe Milliarde Euro verdient der 37-Jährige hier in den kommenden zweieinhalb Jahren, und verbal. Bei seiner Vorstellung war er als "größter Fußballer der Welt" von Moderatorin Wiam al-Dachil vorgestellt worden. Das tat gut. Für viele geht dieses Duell seit Mitte Dezember endgültig an Messi. Was in der Folge eigentlich eine Pressekonferenz sein sollte, verkommt zu einer skurrilen Heldenehrung. Im historisch gut besetzten Auditorium herrscht keine Arbeitsatmosphäre, hier ist glühende Begeisterung. Immer wieder werden Siegesfäuste gereckt, Daumen gehoben und Siuuu-Rufe angestimmt. Ronaldo gefällt das. Fragen sind übrigens nicht erlaubt. Hier ist er die Legende, die er in den vergangenen zwei Dekaden selbst erschaffen hat, die er aber auch selbst in Stücke riss.

"In Europa ist mein Job erledigt"

Vergessen, verdrängt, verschoben in ein anderes Erdzeitalter. In Saudi-Arabien rufen sie eine neue Ära aus. Und der König verspricht, sie mit Leben zu füllen. "In Europa ist mein Job erledigt. Ich habe alles gewonnen, ich habe für die größten Klubs gespielt. Jetzt habe ich eine neue Mission in Asien." Im europäischen Fußball habe er "viele Rekorde gebrochen, das will ich auch hier tun." Angesprochen auf seinen gigantischen Vertrag, der ihm bis Mitte 2025 rund 500 Millionen Euro einbringen soll, sagte er mit aller Überzeugung: "Ich bin ein einzigartiger Spieler." Ein einzigartiger Vertrag sei für ihn deswegen "normal". Der sportliche Absturz und seine seltsamen Aktionen der vergangenen Monate haben eventuell seine Legende angekratzt, nicht aber sein Ego.

Und niemand solle glauben, dass er sportlich nicht noch auf höchstem Niveau hätte agieren können. Er habe "viele Möglichkeiten" gehabt, "Angebote von vielen Vereinen in Europa, Brasilien, Australien und den USA" erhalten, "aber ich habe mich für diesen Verein entschieden", sagte der 37-Jährige. Aber aus Überzeugung habe er sich für dieses neue Kapitel entschieden. Oder vielleicht doch aus Mangel an sportlich lukrativen Angeboten? So hatte sich in Europa kein Klub mit Champions-League-Ambitionen gefunden. Der Wechsel zum Tabellenführer der Saudi Pro League mit ihren 16 Teams und Kulissen zwischen 1500 und 15.000 Zuschauern sei für ihn nun "eine Chance, zu helfen, mich mit meiner Erfahrung einzubringen und den Verein wachsen zu lassen". Der Fußball habe sich "verändert in den letzten 10, 15 Jahren", die Mannschaften außerhalb Europas seien nun sehr viel weiter. In allem eine neue Großartigkeit zu sehen, das ist schon auch eine besondere Qualität.

Vielleicht ist der Wechsel von Ronaldo zu Al-Nassr auch nur von kurzer Dauer. Wie die Zeitung "Marca" schreibt, enthält sein Vertrag eine Klausel, die eine Ausleihe an Newcastle United aus der Premier League erlaube, der ebenso wie Al-Nassr mehrheitlich dem saudischen Staatsfonds gehört. Bedingung sei, dass Newcastle auf einem der vier vorderen Plätze der Premier League lande und damit an der Champions League teilnehme. Das könnte klappen: Newcastle belegt derzeit Platz drei. Dann könnte der fünfmalige Königsklassen-Sieger doch nochmal in der Königsklasse antreten.

Den Absprung verpasst - und bockig

Ronaldo, da ist sich die westliche Fußball-Welt weitgehend einig, hat den rechtzeitigen Absprung verpasst. Auf den letzten Metern seiner Karriere ist er mehr gekränkte Diva als der herausragende Fußballer, der er so lange war. Bei Manchester United war in dieser Saison kaum noch Platz für ihn. Wenn er von Beginn an auflaufen durfte, dann in eher weniger wichtigen Wettbewerben. So bleibt in ewiger Erinnerung, dass er seinen ersten Treffer in der Spielzeit 2022/23 in der Europa League bei Sheriff Tiraspol erzielte. Aus elf Metern. In Moldau hatte CR7 an seiner Auferstehung gearbeitet, nach einer verzweifelten und erfolglosen Klubsuche im Sommer. Es war eine kurze Auferstehung. Wer hatte nicht alles abgewunken? Auch der FC Bayern und Borussia Dortmund hatten keine Verwendung mehr für eine der größten Faszinationen in der Geschichte des Weltfußballs.

Was bleibt sonst noch in Erinnerung? Eine verweigerte Einwechselung bei United. Eine absurde TV-Abrechnung mit seinem Ex-Arbeitgeber und eine Weltmeisterschaft, bei der die in Portugal eigentlich verbotene Frage nach der Verzichtbarkeit des Superstars klar beantwortet wurde: CR7 wurde in Katar vom Sockel der Unantastbarkeit geschubst. Nur wenige Kilometer (gemessen an der Größe des Planeten) entfernt, heben sie die verletzte Ikone nun wieder auf den Thron. Der ist blaubgelb. Sein Palast: das Imperium von Al-Nassr. Sein Reich: die saudische Liga. Für den Staat ein fantastischer Deal. Für die forcierte Sportswashing-Strategie des Wüstenstaats ist Ronaldos Gang in die sportliche Bedeutungslosigkeit zu Al-Nassr ein Meilenstein.

Ein hilfreicher Coup für die WM 2030?

"Gut für die Liga, das ganze Land", hatte Sportminister Prinz Abdulaziz bin Turki Al-Faisal bereits vor Vollzug des Transfers stolz verkündet. Dass der Portugiese längst nicht mehr der Überspieler der vergangenen Jahre ist? Das ist völlig wumpe. Darum geht es dem Golfstaat nicht. Vielmehr ist es die Fortsetzung einer Imagepolitur, an der sich Saudi-Arabien seit Jahren hartnäckig versucht. Das wegen seiner Menschenrechtsverstöße heftig in der Kritik stehende Königreich will von der globalen Marke CR7 profitieren, dessen Reputation für sich nutzen und die WM 2030 an Land ziehen. Mit dem Botschafter Ronaldo.

Der ist nun da. Und das ganze Land verrückt nach ihm. Im Stadion tummelten sich zur Vorstellung, Pardon, zur Inthronisierung, Zehntausende Fans. Sie zahlten Geld für ein kleines bisschen Glück - und ein paar wenige für einen der handsignierten Bälle der Legende. Die schoss er nämlich in seinem neuen Trikot, natürlich mit der Nummer 7, ins Publikum. Neue Heiligtümer im Wüstenstaat. Alles, was Ronaldo anfasst, scheint er zu verzaubern. Hier hat er wieder diese Magie, mit der er vor allem bei Real Madrid den internationalen Fußball veränderte. Sein Tempo, die Dribblings, seine Tore - Kunstwerke, erschaffen für die Ewigkeit. Für eine andere Ewigkeit. Eine, die in Riad und dem Königreich der Saudis zur Gegenwart wird. Zu einer vor wenigen Jahren noch undenkbaren. "In meinen Augen werde ich meine Karriere auf höchstem Niveau beenden", hatte der Portugiese 2015 in einem TV-Interview gesagt. "In Würde bei einem großen Klub." Die Zeiten ändern sich. Das Verständnis von Würde auch.

Sein vermutlich letztes Reich als Fußballer

Wer diese Heroisierung erlebte, der kann sich kaum vorstellen, dass da nur noch ein Schatten seiner ehemaligen Großartigkeit auf dem Feld stehen wird. Eventuell schon am Donnerstag, wenn es gegen Al Tai geht. Ronaldo jedenfalls fühlt sich bereit. Wenn ihn der Trainer aufstellt. Zweifel daran dürfte es kaum geben. Selbst wenn Rudi Garcia sie hätte, der Druck der Mächtigen wäre sicher zu groß. Die neue Attraktion muss so schnell wie möglich in die Manege. Die ist künftig der bereits an diesem Abend sehr gut gefüllte Mrsool Park. Auf den Tribünen waren übrigens auch einige Frauen zu sehen. Erst seit 2018 sind Zuschauerinnen bei Fußballspielen im Stadion in Saudi-Arabien erlaubt.

Nach langer Wartezeit, erschütternder Technomusik und einer kleinen Laser- und Pyroshow eskalierte die Menge beim Einlauf des neuen Helden. Es war ein Jubel, so donnernd wie bei einem seiner zahlreichen Titel bringenden Tore. Ein bizarres Schauspiel. So sehr der König in der westlichen Fußballwelt nichts mehr zu gewinnen hatte, so sehr ist er hier und jetzt willkommen, verehrt. Und zwar nur er. Ein neues Reich, wie gemalt für den vertriebenen König Ronaldo. Sein vermutlich letztes als Fußballer. Aber auch sein bedeutungslosestes.

(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 03. Januar 2023 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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