Renitente Regelhüter im Fußball Technikphobie sorgt für Frust
07.03.2010, 15:19 UhrDie Regelwächter des internationalen Fußballs lehnen den Chip im Ball und die Torkamera ab. Für derlei rigorosen Traditionalismus und das Argument, erst Fehler machen den Fußball menschlich, ernten sie von vielen Seiten nur Kopfschütteln. Es gibt aber auch Befürworter, selbst aus der Bundesliga.
Die Entscheidung soll endgültig sein: Das International Football Association Board (IFAB), das höchste Regelgremium im Weltfußball, hat sich gegen die zuletzt immer häufiger geforderte Einführung technischer Hilfsmittel im Fußball ausgesprochen. Die Regelwächter, zu denen traditionell jeweils ein Vertreter der britischen Verbände aus England, Schottland, Wales und Nordirland sowie vier FIFA-Vertreter gehören, hatten sich zuvor über die neuen technischen Möglichkeiten informieren lassen.
Dazu zählten ein Chip im Ball, der signalisiert, wenn das Spielgerät die Torlinie überquert hat. Die zweite Variante war eine Torkamera, die Aufschluss über die genaue Lage des Balles geben sollte. Beide Lösungen wurden aber mit großer Mehrheit verworfen. Wie FIFA-Generalsekretär Jerome Valcke erklärte, war das Gremium der Meinung, "dass die Technologie aus dem Spiel herausgehalten werden muss. Das Besondere sind die Menschen, und da gehören auch Fehler dazu."
Magath mosert, van Gaal auch
Schalke-Trainer Felix Magath findet diese Begründung äußerst dürftig: "Ich habe vorher dafür kein Verständnis gehabt, ich habe jetzt auch immer noch kein Verständnis dafür. Wir erlauben uns im Profifußball, in dem ja letztendlich Milliarden umgesetzt werden, den Luxus, dass wir Fehler einfach mittragen. Wir hätten genügend Möglichkeiten, schwerwiegende Fehler sofort zu korrigieren." Wolfsburgs Manager Dieter Hoeneß sprach von einer "verpassten Chance" und meinte in Richtung FIFA und IFAB süffisant: "Aber die müssen ja auch nicht spielen."
Auch die Bundesliga-Trainer Christian Gross vom VfB Stuttgart und Friedhelm Funkel von Hertha BSC Berlin pflichteten Magath bei. "Technische Möglichkeiten, um strittige Szenen klar zu definieren und beurteilen zu können, sollte man einführen. Man darf sich da der Entwicklung nicht verschließen", sagte Gross. Und Funkel ergänzte: "Wir sind, glaube ich, die einzige Sportart, in der Hilfsmittel nicht angewandt werden. Und ich weiß nicht, warum der Fußball das nicht zulässt."
Bayern-Trainer Louis van Gaal hatte vor der Entscheidung ebenfalls Neuerungen gefordert - obwohl sein Team im Champions-League-Spiel gegen den AC Florenz von einer klaren Fehlentscheidung profitierte. "Ich sage seit zehn Jahren, dass wir nicht mehr ohne technische Hilfsmittel auskommen. Für die Schiedsrichter wird es immer schwieriger, die Dinge mit dem bloßen Auge zu sehen." Aber selbst eindeutige Situationen werden mitunter falsch bewertet: Beleg dafür ist nicht zuletzt das Phantom-Tor von Duisburgs Christian Tiffert, durch das die Schiedsrichtergilde wieder einmal der Lächerlichkeit ausgesetzt wurde. Mit Chip im Ball oder Torkamera hätte die Fehlentscheidung korrigiert werden können.
Stirnrunzeln in England
Die nun getroffene Entscheidung gegen Technik und pro Menschlichkeit stößt selbst im traditionsbewussten Fußball-Mutterland England auf große Ablehnung. "Das geht über meine Vorstellungskraft hinaus. Für mich ist das schwer zu verstehen, weil man doch so viel Gerechtigkeit wie möglich will", sagte Arsenals Teammanager Arsene Wenger: "Wenn man Fußball liebt, will man doch, dass die richtige Entscheidung getroffen wird."
Für aktuellen Bezug sorgte in England das 2:0 des FC Portsmouth im Viertelfinale des FA-Cup gegen Birmingham City. Dabei war den Gästen zehn Minuten vor Schluss ein klares Tor nicht anerkannt worden. "Das ist eine frustrierende Entscheidung der Fifa, weil ich denke, dass sie ihren Offiziellen keinen Gefallen tun", sagte Birmingham-Coach Alex McLeish. Schon beim Handspiel von Thierry Henry während des entscheidenden WM-Qualifikationsspiels zwischen Frankreich und Irland, das die Iren die WM-Teilnahme kostete, hatte sich McLeish für den Videobeweis stark gemacht. Statt Konsequenzen zu ziehen, verzichtete die Fifa sogar auf eine nachträgliche Bestrafung Henrys.
Allofs nimmt's gelassen hin
Verständnis für die Entscheidung äußerte dagegen Werder-Geschäftsführer Klaus Allofs: "Ich kann sehr gut damit leben. Wir werden als Verein daran nicht verzweifeln. Ich denke, wir müssen lernen, mit menschlichen Fehlentscheidungen im Fußball umzugehen." Auf die Seite der Regelhüter schlug sich auch Nationalspieler Marcell Jansen: "Fußball bleibt Fußball, der lebt davon. Wer weiß, ob das dann alles so rund laufen würde, wie wir das kennen. Deshalb kann ich die Entscheidung schon nachvollziehen."
Eine Neuerung könnte das IFAB allerdings noch beschließen. Auf einer Sondersitzung am 17. und 18. Mai soll es die endgültige Analyse über den Einsatz der Torrichter in der Europa League geben. Auch die Rolle des vierten Offiziellen soll überdacht werden. "Wir sind alle der Meinung, dass Schiedsrichter weiter unterstützt werden müssen, um korrekt zu pfeifen", sagte Valcke. Offenbar glaubt man aber, dass nur zusätzliche Referees die schon eingesetzten adäquat unterstützen können. Dieses Vorgehen kommt aber in erster Linie den kleineren Fußballverbänden zugute, deren Schiedsrichter dadurch mehr Einsätze verzeichnen. Überraschend ist das nicht: Die Torrichter-Idee stammt von Uefa-Präsident Michel Platini, der sich gern als Freund der kleinen Verbände geriert.
Quelle: ntv.de, cwo/dpa/sid