Tatort Fußballplatz Wer pfeift, muss zittern
01.02.2013, 10:21 Uhr
Schiedsrichter sind auf dem Platz meist auf sich allein gestellt.
(Foto: picture alliance / dpa)
Drohungen, Prügel, Spielabbrüche: Schiedsrichter leben gefährlich. Gerade in den Niederungen des deutschen Fußballs gehört Gewalt zum traurigen Alltag. Die Täter werden jünger, die Übergriffe brutaler. Die Verbände steuern dagegen.
Als Schiedsrichter bist du der ärmste Mann auf dem Platz. Alle wissen es besser, alle können es besser. Ein falscher Pfiff und du hast alle gegen dich: Spieler, Trainer, Fans. Wo Sport und Ehrgeiz aufeinandertreffen, kochen nicht selten Emotionen hoch. Ende letzten Jahres starb ein niederländischer Linienrichter, totgeprügelt von ein paar Halbstarken aus der B-Jugend. Bislang ein tragischer Einzelfall. Aber auch hierzulande werden die Konflikte auf dem Platz zunehmend körperlich. Vor allem in den unteren Ligen gehört Gewalt zum traurigen Alltag. Dabei pöbeln und prügeln schon die Kleinsten auf dem Platz, aufgestachelt von schlechten Vorbildern am Spielfeldrand.
Beim Kampf auf dem Rasen gibt's kein Pardon, dafür immer öfter brutale Attacken auf den Unparteiischen. In Rosenheim vermöbeln zwei Spieler Trainer und Schiedsrichter. Der Unparteiische erblindet fast. In Berlin wird ein Pfeifenmann bei einem Senioren-Landesligaspiel bewusstlos geprügelt, in Duisburg zischt ein Spieler dem Unparteiischen im Vorbeigehen zu "Ich schlitz dich auf!" Die Gewaltbilanz lässt sich beliebig fortführen.
"Die Hemmschwelle dem Schiedsrichter körperliche Gewalt anzutun, ist deutlich geringer geworden", sagt Jörg Wehling vom Spandauer SV im Interview mit n-tv.de. Er sitzt im Schiedsrichterausschuss des Berliner Fußball-Verbands (BFV) und weiß um den Verdruss vieler Berliner Schiedsrichter, vor allem jener, die in den unteren Ligen ohne Assistenten und vierten Mann pfeifen. "Der Respekt ist nicht mehr da", beklagt Wehling, der selbst seit 30 Jahren Woche für Woche mit der Pfeife im Mund auf dem Rasen steht. Früher sei körperliche Gewalt immer ein No-go gewesen. Heute gibt es beinahe wöchentlich Meldungen von Tätlichkeiten gegen Unparteiische - egal, wo man nachfragt in der Republik: Die Schiri-Obleute malen Schreckensgemälde.
Jeder Fall ist einer zu viel
In der Hauptstadt erreichte die Gewalt gegen Schiedsrichter im September 2011 eine neue Qualität. Damals wurde Gerald Bothe von einem Spieler einer Alt-Herren-Mannschaft krankenhausreif geschlagen, weil er ihn vom Platz gestellt hatte. Bothe würde heute vielleicht nicht mehr leben, wenn unter den Spielern nicht zufällig ein ausgebildeter Rettungssanitäter gewesen wäre, der ihm die verschluckte Zunge wieder aus dem Rachen holte und den Schiedsrichter so vor dem Ersticken rettete. Doch das war nur die Spitze des Eisbergs.
Die ausgeübten verbalen oder körperlichen Beleidigungen, Schmähungen, Bedrohungen und Verunglimpfungen erreichten in der Spielzeit 2011/12 einen traurigen Höhepunkt. Damals gab es im Berliner Fußball 52 Übergriffe auf Referees, unter anderem 16 "tätliche Angriffe und versuchte tätliche Angriffe", elf Beleidigungen "übelster Art", sieben "Bedrohungen". 25 Spiele wurden abgebrochen. Seitdem hat sich in der Hauptstadt einiges getan. Weil der Fußballplatz längst auch ein Ort geworden ist, an dem soziale Konflikte aus anderen Lebensbereichen offen ausgetragen werden, setzt man nicht mehr nur auf reine Regelschulungen, sondern vermittelt verstärkt Konfliktkompetenzen. Mit Erfolg. In der laufenden Saison zählt der BFV bislang "nur" acht Spielabbrüche bei immerhin knapp angesetzten 17.000 Partien. Immer noch zu viele oder wie es BFV-Sprecher Kevin Langner auf den Punkt bringt: "Jeder Fall ist einer zu viel!"
Pöbelnde Vorbilder gehören ausgeschlossen
Oft werden die Konflikte zwar auf dem Platz ausgetragen, doch entsteht die Gewalt meistens am Spielfeldrand. Gerade im Jugendbereich sind nicht nur aggressive Fans Auslöser für Gewalt, sondern oft auch überehrgeizige Eltern. So gab es beim BFV in den letzten zwei Jahren verstärkt Meldungen von Schiedsrichtern, die Eltern betreffen. "Sie schreien Schiedsrichter an, beleidigen sie und üben so verbale Gewalt aus", berichtet Langner und warnt vor den Folgen. "Wenn ein 9-jähriges Kind Wochenende für Wochenende verbale Gewalt auf dem Platz erlebt, dann ist klar, dass es im Alter von 12, 13 Jahren weniger Hemmungen haben wird, Ähnliches oder sogar Schlimmeres auszuüben."
Aber es sind nicht nur die falschen Vorbilder, die Gewalt schüren. Fußball sei eben, wie andere Gesellschaftsteile auch, von einer Verrohung der Sitten betroffen, sieht Langner eine weitere Ursache der Gewalt gegen Schiedsrichter. "So platt es klingt: Der Respekt generell in der Gesellschaft hat abgenommen. Diese Tatsache macht leider auch nicht Halt vor Schiedsrichtern." In das gleiche Horn bläst Gunter Pilz von der Universität Hannover: "Fußball ist ein Brennglas unserer Gesellschaft", sagt der Gewaltforscher. Seine These: Der Fußballplatz dient als Austragungsort sozialer Konflikte. Wer sich im wahren Leben ausgegrenzt fühlt, wer keine Arbeit hat, die Miete nicht zahlen kann oder Angst vor der Zukunft hat, der kompensiert das auf dem Platz. Wenn es auch dort nicht läuft, suchen sich die Spieler einen Schuldigen, um ihren Frust abzulassen. Niemand bietet sich da besser an als der Schiedsrichter.
Quelle: ntv.de