Höhenflug auch im Westderby Rausch in Dortmund, Kater in Köln
16.10.2010, 12:56 UhrIm Sommer 2008 wurde Jürgen Klopp Trainer von Borussia Dortmund. Seitdem ging es stetig bergauf. In Köln schoss sich sein junges, hungriges Team nach einer Ewigkeit wieder an die Tabellenspitze. Der 1. FC Köln dagegen kommt nicht zur Ruhe. Für Trainer Zvonimir Soldo und seine Mannschaft wird die Situation immer prekärer.

Die Protagonisten des Spiels: BVB-Keeper Roman Weidenfeller, der sein Tor lange sauber hielt. Lukas Podolski, der spät ausglich. Nuri Sahin, der das Spiel
(Foto: REUTERS)
Entsetzen und völlige Ratlosigkeit bei Podolski und Co., überschäumende Freude und extreme Zuversicht beim BVB: Die Gefühlswelten des Fußballs präsentierten sich nach dem Bundesligaspiel zwischen dem 1. FC Köln und Borussia Dortmund in brutaler Gegensätzlichkeit. Die einen nach dem 1:2 (0:1) durch Nuri Sahins Last-Minute-Treffer (90+1. Minute) am Boden zerstört, die anderen himmelhoch jauchzend und nach 2624 Tagen zumindest über Nacht endlich wieder einmal Tabellenführer.
Köln trauerte, Dortmund jubilierte. "Wenn man in letzter Minute verliert, ist das ganz bitter", sagte der völlig frustrierte Nationalspieler Lukas Podolski nach einem der emotionalsten West-Derbys der jüngeren Vergangenheit. "Für Köln ging es um alles, für uns um sehr viel. Beeindruckend war die Gier meiner Mannschaft, wie sie nach dem Ausgleich auf Sieg gespielt hat", schwärmte hingegen BVB-Trainer Jürgen Klopp von seinem Team.
Nach dem siebten Sieg in Folge, womit der Klubrekord eingestellt wurde, steht die Borussia endlich wieder an der Tabellenspitze. 2002 war man zuletzt Meister, 2005 stand man mit 119 Millionen Euro Schulden vor der Insolvenz. "Beeindruckend sind der Wille und die Charakterstärke der Mannschaft. Das ist eine schöne Momentaufnahme", sagte ein glücklicher Vorstandschef Hans-Joachim Watzke, der den Klub mit einem harten Sparkurs aus dem finanziellen Schlamassel führte.
Schlüsselszene kurz vor Schluss
Was Watzke und Klopp vor allem beeindruckte, war die Schlüsselszene in der 89. Minute. Nationalstürmer Podolski, der sieben Minuten zuvor mit einem sehenswerten 16-Meter-Schuss das 0:1 durch Jakub Blaszczykowski (20.) ausgeglichen hatte, geriet mit Dortmunds Nuri Sahin aneinander. "Prinz Poldi" provozierte den türkischen Nationalspieler mit drei hochgehaltenen Fingern - dem Hinweis auf das 3:0 der deutschen Nationalmannschaft in der EM-Qualifikation gegen die Türkei. Von Schiedsrichter Günter Perl (Pullach) gabs Gelb für beide, dann drückte Dortmund auf die Tube - und Sahin sorgte nach einem herrlichen Angriff in der Nachspielzeit für das Siegtor (90.+1).

Bitter für Köln: Sahin schoss sich in der Nachspielzeit selbst an und auf diese Weise das Siegtor.
(Foto: REUTERS)
"Gott sei Dank habe ich den Ball nicht getroffen", sagte Sahin anschließend über seinen Schussversuch, den der frühere BVB-Manager Meier als "Krone" auf dem ganzen Kölner Elend empfand: "Der Sahin schießt sich ans Standbein - und das Ding geht rein." Des einen Freud', des anderen Leid: Klopp und Co. sind sich bewusst, dass speziell solche Siege schon häufig die Basis für etwas waren, von dem der BVB nicht sprechen will: dem Gewinn des Meistertitels.
Jung, giftig, erfolgreich
Jürgen Klopp hat offensichtlich ein Team aus Charakterköpfen zusammengestellt - umso bemerkenswerter, hatte die Startelf doch ein Durchschnittsalter von gerade mal 23 Jahren. Sieben Spieler davon waren 21 oder 22 Jahre alt. Respekt vor dem Gegner, das scheint Fußball-Lehrer und Pädagoge Klopp seinen Eleven nicht nur in menschlicher Hinsicht beizubringen. "Köln ist eine Mannschaft, die den Abstiegskampf erkannt hat. Darauf haben wir uns eingestellt", sagte der Coach.
Dennoch konnten sich nach einem turbulenten Tag einige BVB-Spieler diebische Freude nicht verkneifen. "Es ist ein geiles Gefühl, gewonnen zu haben. Wenn der Gegner so frech ist, freut es einen umso mehr", sagte Innenverteidiger Neven Subotic und meinte mit Blick auf den Last-Minute-Sieg in Köln im vergangenen Jahr (3: 2): "Solche Siege in letzter Minute bringen uns weiter zusammen." Zu allem Überfluss hatten die Gäste auch noch vor dem Spiel einen Schock zu verkraften, weil "irgendein Schwachkopf" (Klopp) einen Stein gegen den Mannschaftsbus geworfen und eine Seitenscheibe beschädigt hatte.
Köln weiter im Schlamassel
So glänzend die Aussichten in Dortmund, so trist die Lage in Köln: Dort muss Podolski bei Manager Michael Meier in den kommenden ungemütlichen Tagen antreten und Stellung zu seiner öffentlichen Kritik (u.a. fehlende Strategie) beziehen. Und Trainer Zvonimir Soldo wird angesichts des vorletzten Platzes und nur fünf Punkten aus acht Spielen weiter unter Druck stehen.
Von den FC-Fans war Soldo bei der Vorstellung mit heftigen Pfiffen begrüßt worden, von Podolski wurde er nach der Niederlage in Schutz genommen: "Wir haben gut gekämpft, stehen aber mit leeren Händen da. Wir machen immer wieder Fehler. Der Trainer kann da nichts für."
Quelle: ntv.de, dpa/sid