Das Giganten-Duell im Check Weil es ganz gut war, ist es für Bayern so "brutal"
11.04.2023, 23:51 Uhr
Der FC Bayern verlor in Manchester höher als nötig.
(Foto: picture alliance / DeFodi Images)
Der FC Bayern München liefert gegen Manchester City ein gutes Spiel. Dass der deutsche Rekordmeister im Rückspiel dieses Champions-League-Achtelfinals trotzdem vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe steht, hat er sich dennoch selbst zuzuschreiben.
Was ist im Etihad Stadium in Manchester eigentlich passiert?
Der FC Bayern arbeitet sich durch eine komplizierte Saison: Der teuerste Trainer des europäischen Vereinsfußball musste vorzeitig gehen, der prominente Nachfolger verlor in seinem zweiten Spiel die erste Titelchance und in der Bundesliga ist man Mitte April immer noch nicht Meister. Das kennt man in München durchaus anders. Europäische Festtage helfen da natürlich. Doch Manchester City, das war vorher klar, eignet sich natürlich denkbar schlecht als Stimmungsaufheller: Die Mannschaft von Pep Guardiola ist weiterhin eine der größten Herausforderungen, die der Fußball bereithält. Und Erling Haaland, dieser Sturmtitan, ist eine Naturgewalt.
Der FC Bayern hatte dem nicht mal Eric Maxim Choupo-Moting entgegenzusetzen. Der Stürmer, mit vier Treffern in sechs Spielen Bayerns erfolgreichster Torjäger in der laufenden Champions-League-Saison, musste mit Knieproblemen in München bleiben. Dass das - bei allem Respekt für den tadellosen, in seinem 35. Lebensjahr noch immer besser werdenden Ex-Mainzer - ein Problem ist, erzählt auch etwas über den FC Bayern dieser Tage: Nichts ist mehr selbstverständlich und am Ende gibt es halt keinen Robert Lewandowski mehr vorne drin, diesen unkaputtbaren Wunderstürmer, der in den letzten Jahren eben immer da war und für die gute Laune und den einen oder anderen Titel traf.
Für Haaland, so berichtete Sportvorstand Hasan Salihamidzic im Vorlauf der Partie freimütig, habe man "nicht das nötige Kleingeld gehabt". Und weil auch Sadio Mané, jener im Sommer unter großer Bewunderung nach München gelotste Weltstar, dort sportlich noch nicht so recht angekommen ist, war die Herausforderung im April 2023 noch größer. Und sie nahmen die Herausforderung an, natürlich. Und es war gut, lange, lange brauchte Manchester City, um gefährlich zu werden.
Der Bundesligist stand defensiv überaus solide und erarbeitete sich immerhin 50 Prozent Ballbesitz. Dass es am Ende doch mit einer deutlichen Pleite zurück nach München geht, hatte individuelle Gründe. Strukturell, so schien es lange, konnte der gebeutelte FC Bayern mit dem Favoriten mithalten. Doch immer als man besonders gut war, so analysierte Tuchel, traf Manchester City. Und weil man eben öfter gut im Spiel war, traf der englische Meister eben öfter. In der gefühlten Münchner Wahrheit zu oft, und wahrscheinlich zu oft für ein Münchner Weiterkommen. Auch wenn Tuchel verspricht: "Abgeschenkt wird nix."
Teams & Tore
Manchester City: Ederson - Akanji, Dias, Aké - Stones, Rodri - Silva, De Bruyne (68. Alvarez), Gündogan, Grealish - Haaland.
FC Bayern München: Sommer - Pavard, Upamecano, de Ligt, Davies (80. Joao Cancelo) - Kimmich, Goretzka - Coman, Musiala (69. Mane), Sane - Gnabry (80. Müller).
Tore: 1:0 Rodri (27.), 2:0 Silva (70.), 3:0 Haaland (77.)
Schiedsrichter: Gil Manzano (Spanien)
Gelbe Karten: Silva / Davies, Pavard.
Welche Idee hatte Thomas Tuchel?
Thomas Tuchel setzte auf Tempo: Kapitän Thomas Müller musste zu Beginn des Spiels auf der Bank Platz nehmen, mit Leroy Sané, Serge Gnabry, Jamal Musiala und Kingsley Coman setzte der neue Trainer auf eine Hochgeschwindigkeitsoffensive. "Die letzten 30 Meter, wo er absolute Weltklasse ist - das ist die Zone, von der wir glauben, nur mit Tempo reinzukommen für kurze Zeit", erklärte Tuchel seinen Verzicht auf den Angreifer. "Wir wollten Läufer und schnelle Dribbler, wendige Spieler, die auf der Distanz auch schnell sind."
Und den Plan verfolgten sie, bei Ballgewinn ging jeder Versuch schnell in die Tiefe. Vor allem Musiala sorgte für Stress im Zentrum vor dem Strafraum. Große Chancen freilich erspielte man sich ganz vorne nicht. Und Müller? Der avancierte unterdessen zum Co-Trainer: Tuchel unterhielt sich gegen Ende des ersten Durchgangs angeregt mit seinem erfahrensten Spieler. Ins Spiel kam er jedoch erst tief in der zweiten Halbzeit.
Dass der FC Bayern immer mal wieder gefährlich wurde, hatte viel mit individuellen Ideen von Leroy Sané zu tun. Der schoss dreimal mit viel Qualität aus der Distanz aufs Tor. Überhaupt machte der ehemalige City-Profi ein gutes Spiel. Offensivkollege Serge Gnabry dagegen blieb wirkungslos. Am Ende waren es ein Geniestreich von Rodri zum 1:0, der Tuchel ein leicht verzweifeltes Lachen abnötigte, und individuelle Fehler, die zur deutlichen Niederlage führten.
"Ich sehe das Ergebnis überhaupt nicht", sagte Thomas Tuchel hinterher. "Ich weigere mich, irgendwie die Leistung schlechtzureden, ich bin hochzufrieden." "Schockverliebt" habe er sich in seine Mannschaft. Die Tore freilich seien gefallen in Phasen, in denen seine Mannschaft richtig stark gewesen sei, in denen das Momentum beinahe "komplett gekippt wäre". Manchester habe teilweise aus "nicht mal halben Torchancen" die Treffer erzielt, befand Tuchel. Ja, sie waren stark, ja, sie hätten deutlich mehr verdient, als diese Hypothek, die das Weiterkommen gegen die perfekt eingespielte Fußball-Maschine Pep Guardiolas nahezu unmöglich zu machen scheint.
Der bittere Teil der Wahrheit ist aber eben auch: "Wir machen auf dem Niveau im Moment zu viele Fehler", sagte Amazon-Experte Matthias Sammer. Und "Fehler sind keine Option." Manchester City macht keine Fehler. Das war an diesem Abend der Unterschied. Matthijs de Ligt äußerte entsprechend: "Das Resultat ist bitter." Kapitän Joshua Kimmich fand es "brutal, vor allem die ersten 60 Minuten waren sehr, sehr gut", wie er bei Amazon Prime Video schwer mit einem blauen Auge gezeichnet und mitgenommen von einem schweren Kampf analysierte.
Und Erling Haaland?
"Die Athletik und der Hunger auf Tore stechen heraus", hatte Bayern-Trainer Thomas Tuchel über die norwegische Urgewalt Erling Haaland gesagt. Nichts Überraschendes, 30 Tore in der Premier League und fünf alleine im Champions-League-Achtelfinal-Duell mit RB Leipzig erzielte der Ex-Dortmunder in dieser Saison. "Wir werden es nur im Verbund lösen. Es wird über Fleiß und Bereitschaft gehen, es ist nicht nur technisch und taktisch zu lösen. Wir werden uns auch in den direkten Duellen beweisen müssen."
In der 15. Minute war es dann aber eine Leichtsinnsaktion von Yann Sommer, die Haaland in Szene setzte: Der Torwart hielt den Ball einen Meter vor der eigenen Linie einen Augenblick zu lang am Fuß, der anrauschende Haaland hätte um ein Haar sein Tor erzielt. Wenige Minuten später scheiterte der Norweger, schnell freigespielt durch Ilkay Gündogan und Jack Grealish, mit einem schwachen Schuss aus aussichtsreicher Position. Und sonst? In der ersten Halbzeit nichts weiter. Der Torgigant fand tatsächlich wenig statt.
Die zweite Hälfte begann dann wie die erste: Sommer brachte Haaland in eine aussichtsreiche Abschlussposition. Ein missglückter Klärungsversuch des Bayern-Keepers landete auf dem Fuß des City-Stürmers - der im letzten Augenblick geblockt wurde. Sie hatten der Tormaschine ewig Sand ins Getriebe gestreut, es war ein kleiner Sieg in einem großen Spiel. Aber weil sich Dayot Upamecano einen schlimmen Ballverlust leistete, kam Haaland in der 70. Minute wieder im Strafraum des FC Bayern an den Ball - und flankte den Ball butterweich auf Bernardo Silva, der zum 2:0 einköpfte. Jetzt legt er sogar noch Tore auf ... Und dann traf Haaland eben doch noch in der 77. Minute, als sich der FC Bayern kurzzeitig im Dauerregen von Manchester auflöste. Irgendwie schafft es der Gigant, von dem die ganze Welt weiß, dass er der gefährlichste Torjäger unserer Zeit ist, sich vor dem Tor frei zu schleichen.
Der norwegische Stürmerstar hat an diesem regnerischen Abend einen weiteren Rekord aufgestellt. Der 22-Jährige erzielte damit seinen wettbewerbsübergreifend 45. Saisontreffer. Das ist dem Datendienstleister Opta zufolge bislang noch keinem Spieler der englischen Premier League in einer Saison gelungen. Es muss dieser "Hunger auf Tore" sein, von dem sie alle sprechen.
Die Stimmen zum Spiel:
Thomas Tuchel (Trainer FC Bayern München): "Ich sehe das Ergebnis überhaupt nicht in dieser Deutlichkeit. Beim 0:2 wurden wir bitterböse aus dem absoluten Nichts bestraft. Das weiß Upamecano selbst, dass das sein Fehler war. Ich weigere mich dennoch, die Leistung schlecht zu reden. Ich habe eine sehr gute Leistung bis zur 70. Minute gesehen. Wir haben mindestens ein Tor verdient und ein, zwei zu viel weggegeben. Es fehlt noch ein Tick an Form und Vertrauen. Wenn man schon so gut spielt, braucht man halt auch selbst ein Quäntchen Glück, einen abgefälschten Schuss oder einen Schuss in den Winkel, wie ihn Manchester City beim 1:0 hatte. Heute hat es trotzdem Spaß gemacht, das Team zu coachen, ich habe mich in die Mannschaft etwas schockverliebt."
Joshua Kimmich (FC Bayern München): "Die ersten 60 Minuten waren sehr, sehr gut. Wir kriegen wieder einen Sonntagsschuss, wie gegen Freiburg. Es hätte nicht sein müssen, dass wir in Rückstand geraten. Anschließend wurden wir etwas fehleranfälliger, haben dadurch einige Chancen zugelassen. Die erste Halbzeit hat uns Selbstvertrauen gegeben, wir standen defensiv sehr gut, haben Umschaltaktionen bekommen. Auch aus der Pause sind wir sehr gut rausgekommen, dann aber passierte der Fehler vor dem 0:2. Ich habe schon das Vertrauen und Selbstvertrauen in die Mannschaft, dass wir im Rückspiel etwas holen können."
Matthijs de Ligt (FC Bayern München): "Wir haben das Spiel unnötig weggegeben. Wir hatten selbst genug Chancen. Daher ist es schade, dass wir es so verlieren. Das Gefühl ist jetzt natürlich scheiße, obwohl wir gegen einen sehr guten Gegner gespielt haben. Wichtig ist, dass wir jetzt zusammenhalten, das Spiel analysieren und dann auch nach vorne schauen, weil wir noch viele wichtige Wochen vor uns haben."
Quelle: ntv.de