
Auf nach Nürnberg!
(Foto: imago/WEREK)
In Leverkusen haben sie den ersten Titel der Saison noch mit angezogener Handbremse gefeiert - denn noch bietet die Spielzeit zwei weitere Chancen. Vor fünfzig Jahren stehen die Bayern vor ähnlichen Problemen, bis am Ende alle Dämme brechen.
"Ich habe mich gut benommen - etwa 15 bis 20 Bier." Leverkusens Torhüter Lukas Hradecky schilderte die Tage augenzwinkernd und rückblickend die Nacht der Meisterfeier von Bayer Leverkusen nach dem Sieg über Werder Bremen vor zwei Wochen in der heimischen Arena. Und tatsächlich kann man dem neuen Deutschen Fußballmeister nicht nachsagen, dass sie ihre Party übertrieben haben.
Denn bereits wenige Tage später erledigten sie ihre Aufgabe in London beim Spiel der Europa League gegen West Ham United durchaus solide und letztendlich auch souverän. Das war vor fünfzig Jahren bei einer anderen großen Mannschaft schon einmal ganz genauso. Doch am Ende lautete das Motto der Bayern dann doch recht treffend und markant: "Auslaufen? Die anderen sollen auslaufen, wir gehen jetzt zum Aussaufen!"
- Ben Redelings ist ein Bestseller-Autor und Komödiant aus dem Ruhrgebiet.
Jüngst ist das Buch "Ein Tor würde dem Spiel guttun. Das ultimative Buch der Fußball-Wahrheiten" frisch in einer aktualisierten und erweiterten Neuauflage erschienen!
Mit seinen Fußballprogrammen ist er deutschlandweit unterwegs. Infos & Termine auf www.scudetto.de.
In der Spielzeit 1973/74 hatten sich die Münchener den Titel am 33. Spieltag durch einen eigenen Sieg zu Hause gegen Kickers Offenbach bei einer gleichzeitigen Niederlage des ärgsten Verfolgers, Borussia Mönchengladbach, in Düsseldorf vorzeitig gesichert. Und das, so stellte es sich nur einen Spieltag später heraus, war auch gut so. Denn vor der abschließenden 34. Partie mussten die Bayern in Brüssel zweimal unter der Woche im Finale des Europapokals der Landesmeister gegen Atlético Madrid antreten. Schlussendlich lagen gerade mal 17 Stunden - aber Gott sei Dank auch nur knapp 180 Kilometer - zwischen dem Ende der zweiten Partie im Landesmeister-Finale in der belgischen Hauptstadt und dem Anstoß in Mönchengladbach, bei der Gladbacher Borussia.
"Spiel war für uns eine Alkohol-Verdunstungsstunde!"
Und so scherzte bereits in der Nacht nach dem Gewinn des Europapokals Torhüter Sepp Maier gewohnt gut gelaunt: "Wenn ich morgen in Gladbach im Tor stehe und drei Bälle sausen auf mich zu, nehme ich immer den in der Mitte!" Dass das schließlich doch nicht so ganz souverän klappte, wie es sich der spätere Weltmeister-Keeper im Jubel-Übermut vorstellte, konnten die Münchner problemlos verschmerzen. Doch der doppelte Triumph innerhalb weniger Tage hatte dennoch seine Spuren hinterlassen. Und so meinte nach der empfindlichen 0:5-Schlappe bei Borussia Mönchengladbach der immer noch ausgesprochen prächtig aufgelegte Trainer Udo Lattek mit einem schelmischen Grinsen im Gesicht: "Dieses Spiel war für uns eine Alkohol-Verdunstungsstunde!" Und weiter ging die Party.
Und die war durchaus wild - und dauerte eine ganze Weile. Bereits auf dem Gladbacher Bökelberg hatte sich der sonst so seriöse Manager der Bayern, Robert Schwan, nicht lumpen lassen. Um 1.000 Mark hatte Schwan in der Nacht des Triumphs mit seiner Mannschaft gewettet, dass er vor dem Spiel gegen Mönchengladbach einen Purzelbaum schlagen würde. Zur Belustigung aller tat er dies tatsächlich - und kassierte das Geld. Vermutlich, um es nur wenige Augenblicke später in ein paar weitere Fläschchen edlen Champagners zu investieren.
Es war eine feierselige und doch immer sportlich sehr fokussierte Truppe damals in München bei den Bayern versammelt. Eine Mannschaft, die nach dem urdeutschen Prinzip funktionierte: "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps." Und das wusste sich ihr Trainer Udo Lattek durchaus zunutze zu machen: "Einmal bin ich reingekommen, am Tag vor dem Spiel, im Trainingslager und die Spieler hatten vergessen, die Tür abzuschließen. Ich mache die Tür auf und bleibe erst einmal stehen. Die Spieler dachten, jetzt gibt's ein riesengroßes Donnerwetter … Ich bin ans Telefon, hab die Rezeption angerufen - noch vier Weißbier bitte, die Gläser sind alle leer. Da war das Eis gebrochen. Am nächsten Tag sind die gerannt wie die Hasen."
"Ich bin der Hans Albers der Bundesliga"
Lattek erinnert sich: "Die hatten oft ein derart schlechtes Gewissen wegen ihres lockeren Lebenswandels, dass sie beim Spiel nur an eines dachten: Enttäuscht ja nicht den Lattek. So einen wie den kriegen wir niemals mehr!" Und damit hatte Lattek recht, denn er selbst ging mit dem besten Beispiel voran - immer unter dem Motto: "Ich bin der Hans Albers der Bundesliga. Der konnte saufen wie ich und auch arbeiten."
Angesichts des doppelten Triumphs löste Udo Lattek schließlich auch noch ein altes Versprechen ein. Denn bereits im Angesicht seiner ersten Meisterschaft in der Saison 1971/72 hatte er im "Aktuellen Sportstudio" beim Gewinn des Titels mit dem FC Bayern versprochen, er werde zu Fuß von Nürnberg nach München laufen. Als die Meisterschaft dann tatsächlich errungen wurde, kniff Lattek aber plötzlich. Den enttäuschten Fans erklärte der erfolgreiche Coach: Der Arzt habe ihm abgeraten! Doch dann spielte Lattek in München lieber einige Runden Tennis mit ein paar Spezis. Das kam - man kann es sich denken - nicht sonderlich gut an bei den Fans, wurde ihm aber angesichts der herausragenden Saison schnell vergessen.
Nun, zwei Jahre später, holte Udo Lattek schließlich sein Versprechen nach. Zusammen mit einigen Spielern, vielen eingefleischten Fans und einer Menge an flüssigem Proviant machte man sich auf den Weg nach Nürnberg. Der Mannschaft hatte Lattek damals nach dem Debakel von Mönchengladbach gesagt: "Auslaufen? Die anderen sollen auslaufen, wir gehen jetzt zum Aussaufen!" Und ganz unter dieser Devise fand auch der Fußmarsch statt.
Man darf gespannt sein, was sich Lukas Hradecky und seine Kollegen dieses Jahr so alles einfallen lassen. Denn ein doppelter, wenn nicht sogar dreifacher Triumph ist für Bayer Leverkusen ja nun zum Greifen nahe. Und dann wird sich auch der Keeper des neuen Deutschen Meisters sicherlich noch einmal das eine oder andere Getränk auf die Titelsammlung gönnen. Ganz genau wie schon damals die Bayern vor fünfzig Jahren.
Quelle: ntv.de