"Er war ein göttlicher Kicker!"Das verdammte Fußball-Leben des Genies Wolfram Wuttke
Von Ben Redelings
Er galt als eines der größten Talente des deutschen Fußballs - doch Wolfram Wuttke konnte häufig seinen Mund nicht halten. Nach vielen Schicksalsschlägen meldete sich Wuttke Weihnachten vor 20 Jahren voller Optimismus in der Öffentlichkeit zurück.
Lange hatte Fußball-Deutschland nichts von ihm gehört - dann tauchte Wolfram Wuttke plötzlich wieder auf. Vor zwanzig Jahren sendete eines der größten Fußballtalente, die Deutschland je hatte, kurz vor Weihnachten endlich wieder ein Lebenszeichen und sagte in einem viel beachteten Interview: "Letztens träumte ich davon, Trainer in Kaiserslautern zu sein." Doch dann wachte Wuttke auf und wusste, dass die Realität eine ganz andere war: "Für mich gibt es keinen Platz mehr im Profifußball." Und er ahnte auch warum: "Ich war früher zu frech!"
Und tatsächlich hatte der ehemalige Nationalspieler in seiner Karriere nur selten einmal ein Blatt vor den Mund genommen. Den eigenen Manager beim HSV, Günter Netzer, einen "Blinden" zu nennen, war bei Wolfram Wuttke quasi an der Tagesordnung. Und dennoch hat sein früherer Mannschaftskollege Dieter Schatzschneider hat einmal völlig zurecht gesagt: "Die Leute wollen doch gern Typen wie Wolfram Wuttke, Dieter Schatzschneider oder Mario Basler. Typen entstehen aber dadurch, dass sie Fehler machen und dann auch dazu stehen. Das zeichnet einen echten Typen aus. Und das war der Dicke auf jeden Fall."
"Zwischen Genie und Weinfass"
Der "Dicke" wurde vom "Kicker" früher auch "Wolfram Wahnsinn" genannt. Die "Süddeutsche Zeitung" überschrieb einen Artikel über den damaligen Profi des 1. FC Kaiserslautern mit der denkwürdigen Zeile "Zwischen Genie und Weinfass" und sein ehemaliger Trainer beim Hamburger SV, Ernst Happel, sagte über Wuttke: "Er ist eine Biene, die keinen Honig gibt!" Und das war noch nett. Ein anderes Mal meinte Happel nur: "Dem Wuttke ham's ins Hirn geschissen."
Wolfram Wuttke hatte mehrere Laster und war dabei sehr geschickt. Als er einmal von seinem Klub, dem 1. FC Kaiserslautern, bestraft werden sollte, weil er zu später Stunde beim Weintrinken gesehen worden war, argumentierte der gebürtige Castrop-Rauxler: "Ein Wolfram Wuttke geht auf keine Weinfeste. Er ist Biertrinker." Dass er jedoch gerne einmal ein Glas Alkohol zu sich nahm, verriet sein populärer Spruch: "Immer, wenn ich breit bin, werde ich spitz!"
Das zweite Laster war das gute Essen. Folgender Dialog zwischen einem Journalisten des "Kicker" und dem damaligen Bundesligaprofi vom 1. FC Kaiserslautern entspann sich 1989 im Hinblick auf die Weltmeisterschaft ein Jahr später in Italien. Reporter: "Der Teamchef sagt, Sie seien zu schwer." Wuttke: "Dem kann ich nicht zustimmen, das ist eine reine Vermutung von ihm." Reporter: "Hans-Peter Briegel vermutet dasselbe."
Wuttke: "Na, gut, ich habe zwei Kilo mehr als früher. Das kommt aber nur davon, weil ich mit dem Rauchen aufgehört habe." R: "Briegel spricht von mindestens vier Kilogramm, Beckenbauer gar von fünf." Wuttke: "Okay, es sind zweieinhalb. Aber die sind kein Problem, die trainiere ich in ein paar Tagen ab. Und ich habe mit diesen zweieinhalb Kilo schon Weltklasse gespielt, zum Beispiel in Köln. Da haben mich alle gelobt."
Über sein Äußeres sagte Wuttke auch einmal diese fabelhaften Sätze: "Ich bin ganz zufrieden mit meiner Figur, auch wenn manchmal ein Pfund zu viel drauf ist. Das macht mir nichts aus. Im Gegenteil, das stabilisiert."
Über das dritte Laster meinte er selbst einmal: "Ich rauche gelegentlich 'ne Zigarette. So nach dem Spiel kann das nicht schaden, das mindert die Leistung überhaupt nicht. Man muss ja nicht gleich hundert Stück paffen." Peter Neururer, sein Trainer beim 1. FC Saarbrücken, sagte zum selben Thema: "Wutti hatte vor den Spielen immer eine Zigarettenpackung im Stutzen versteckt. Dann ging er auf die Toilette und schmauchte eine. Er war ein göttlicher Kicker. Aber er stand sich auch selbst im Weg." Dazu gehörte sicher auch sein persönliches "Erfolgsgeheimnis": "Eine Stunde vor dem Spiel eine Tasse Kaffee und eine eiskalte Cola, dann läuft's wie geschmiert!"
Fehde mit Heynckes
Seine lockere Art zeigte sich auch in einem anderen Bereich, denn Wuttke war stets für einen feinen Streich zu haben. Zusammen mit seinem Gladbacher Teamkollegen Frank Mill entdeckte er einmal in einem Container vor dem Mannschaftshotel eine Schaufensterpuppe. Und da Wuttke mit seinem Trainer Jupp Heynckes, dem er auch den Spitznamen "Osram" verpasst hatte, eher ein gespaltenes Verhältnis pflegte, entschloss man sich, dem Coach die Puppe ins Bett zu legen. Und der fiel auf den Schabernack tatsächlich rein. Heynckes dachte, es handele sich um eine echte Frau, die sich da in seinen Laken räkelte, und rannte sofort mit hochrotem Kopf zur Rezeption. Dort hatten sich schon Wuttke und Mill positioniert und lachten bei der Ankunft ihres Übungsleiters Tränen.
Im Herbst 1982 hatte Wuttke schließlich keine Lust mehr auf Borussia Mönchengladbach und vor allem nicht auf seinen Trainer Jupp Heynckes. Der Streit eskalierte, doch der Verein hielt zu seinem Übungsleiter. Wuttke verzweifelte: "Andere Klubs hätten ihren Trainer in einer solch brenzligen Situation sicherlich entlassen, Heynckes wurde gehalten. Ein Radioreporter sagte einmal völlig zu Recht, Heynckes habe keinen Trainerstuhl, sondern einen Beamtensessel."
"Was wollt ihr Arschlöcher hier?"
Zoff mit seinen Trainern gehörte für Wuttke zum Standardprogramm. Beim 1. FC Kaiserslautern redete er sich einmal um Kopf und Kragen. Im Radio erzählte er freimütig, dass er extra seinen Sohn Benjamin mit zu einer Mannschaftssitzung genommen habe, um ihm einmal hautnah zu vermitteln, "mit was für dummen Menschen ich es hier zu tun habe". Natürlich waren seine Teamkollegen von diesem Spruch nicht sonderlich begeistert und stellten ihn zur Rede.
Wuttke beteuerte sofort, dass er mit "dummen Menschen" natürlich nur den wenig beliebten Trainer Sepp Stabel gemeint habe. Doch nur wenige Wochen später ging ein erneuter Besuch seines Sohns auf dem FCK-Gelände nach hinten los. Als die Spieler nach dem Training in die Kabinen trotteten, trafen sie auf den wenig erfreuten Benjamin Wuttke, der die überraschten Profis lauthals anblaffte: "Was wollt ihr Arschlöcher denn hier?"
Leider ist es nie erschienen, aber der talentierte Fußball-Nationalspieler aus Castrop-Rauxel hatte sich schon einen Buchtitel für seine Autobiographie ausgedacht: "Das verdammte Fußballeben des Wolfram Wuttke."
"Ich bin heute glücklich"
Vor zwanzig Jahren, als sich Wolfram Wuttke in der Öffentlichkeit nach einer längeren Auszeit zurückmeldete, erzählte er, dass er ab sofort als Tennistrainer arbeiten werde. Denn von seinem verdienten Geld ("Ich habe insgesamt 1,3 Millionen Mark in den Sand gesetzt") war nichts mehr übrig. Doch Wuttke sagte damals: "Ich bin heute glücklich. Auch wenn ich nur eine Drittel von dem verdiene, was ich als 17-Jähriger auf Schalke bekam."
Als Wolfram Wuttke zehn Jahre später verstarb, hatte er sich bereits wieder seit längerem aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Wehmütig erinnerte sich sein alter Mannschaftskollege Dieter Schatzschneider an die gemeinsamen Stunden und Erlebnisse mit seinem Freund und meinte: "Geschichten aus einer anderen Zeit. Heute gibt es so was nicht mehr. Leider."
