
Tolle Erinnerungen: Stuttgarts Karsten Neitzel in der Zange von zwei Nürnbergern.
(Foto: imago/Pressefoto Baumann)
In früheren Zeiten begeisterten sich die deutschen Fußballfans an einem ganz besonderen Spektakel - dem Hallenfußball. Die Anhänger liebten das hautnahe Erlebnis an der Bande, während die Spieler die Angst vor Verletzungen nicht aus dem Kopf bekamen. Und dennoch: Am Ende bleiben die schönen Erinnerungen.
"Eine Riesensauerei, was sich die ARD geleistet hat: Im Spiel um Platz drei beim Hallen-Masters blenden die sich direkt vor dem entscheidenden Achtmeterschießen aus! Am besten, man meldet seinen Fernseher ab und geht dafür schick essen." Wolfgang Nitz aus Duisburg war damals richtig sauer, als das Erste Deutsche Fernsehen ihm den Spaß an seiner großen Leidenschaft madig machte. Die Fans liebten über viele Jahrzehnte ihre Hallenturniere. Doch dann war plötzlich Schluss im Jahr 2001. Das hatte viele Gründe - aber vor allem auch einen: Das Spektakel in der Halle war für die Spieler immer eine gefährliche Angelegenheit gewesen. BVB-Keeper Teddy de Beer bezeichnete die hitzigen Duelle deshalb sogar einmal als "Hölle".
Als sich Bayerns Bernd Dürnberger bei einem Hallenturnier einmal alle Kreuzbänder, das Innenband und den Meniskus riss, meinte er hinterher: "Es war damals ein Schmerz, wie wenn dich einer mit einem heißen Bügeleisen streift." Das tut schon beim Hören weh. Aber solche Verletzungen waren damals keine Seltenheit. Während die Fans hinter den Banden hautnah dabei waren und ihre Stars ekstatisch - und nicht selten auch alkoholisiert - nach vorne peitschten, gaben die Spieler auf den unterschiedlichsten Belägen alles. Ob auf Kunstrasen, Parkett oder Linoleum - es wurde seit den 70er-Jahren gespielt, wo man nur konnte und genügend Zuschauer unterbrachte. Und das, obwohl die wenigsten Trainer Fans dieser Turniere waren. Bremens Legende Otto Rehhagel schimpfte schon früh: "Ich selbst bin gegen Hallenfußball. Aber die Vereine brauchen das Geld."
Aber Rehhagel konnte andererseits auch nicht bestreiten, dass die Nähe zwischen den Fans und den Spielern einerseits, aber auch zwischen den Vertretern der einzelnen Klubs untereinander etwas für sich hatte. Legendär ist die Geschichte aus dem Januar 1993, als es dem Bremer Coach bei einem Hallenturnier in Berlin besonders ein Akteur angetan hatte: "Der Mario hat alles zusammengeschossen, das war der Wahnsinn." Basler selbst hat in seinem Buch "Eigentlich bin ich ein Supertyp" über dieses Turnier geschrieben: "Ich tobte mich richtig aus und machte mit meinen Gegenspielern, was ich wollte. Das schien nicht unbemerkt geblieben zu sein."
Basler traf Rehhagel am Pissoir
Und Basler erinnert sich auch noch daran, was dann geschah: "Nach dem Halbfinale stand ich am Pissoir, als plötzlich Werder-Trainer Otto Rehhagel reinkam. Er wartete, bis ich mir die Hände gewaschen hatte und drückte mir einen Zettel in die Hand." Beim Rausgehen habe ihm der Coach der Bremer dann schließlich noch zugeraunt, dass er ihn anrufen solle. Und tatsächlich: Nur wenige Monate später spielte Mario Basler dann bereits im Trikot der Grün-Weißen. Auch das war Hallenfußball damals. Angesichts solcher Geschichten kann man die Fans im Nachhinein gut verstehen, dass sie diese ganz besondere Atmosphäre gereizt hat. Doch Ende der 80er-Jahre überwogen erst einmal die Bedenken.
Paul Breitner hatte schon als Bayern-Star die Hallenturniere gehasst - und machte nun auch als Kolumnist aus seiner ablehnenden Haltung kein Geheimnis: "Die Spieler kommen aus dem Winterurlaub, stellen daheim ihre Koffer ab - und ab geht es zu den Hallenturnieren. Das ist hirnrissig. Wer als Hochleistungssportler aus der Regeneration kommt, muss behutsam aufgebaut werden." Doch beim Budenzauber war natürlich genau das Gegenteil der Fall. Es ging ständig rauf und runter in stickigen Hallen und auf stumpfen Böden. Wenn die Sirenen das Ende einer Partie einläuteten, waren die allermeisten Spieler komplett fertig.
Aus Sorge, nicht mithalten zu können, spielten sich auch immer wieder kuriose Geschichten ab. Der damalige Bochumer Roland Wohlfarth besorgte sich in der Apotheke extra den Appetitzügler "Recatol N", um ein paar seiner Kilos zu verlieren. Das klappte zwar - aber bei einem Dopingtest nach einem Hallenturnier verlor er auch die Berechtigung zu spielen. Denn die im Appetitzügler enthaltene verbotene Substanz "Norephedrin" stand auf der Dopingliste. Das Abenteuer Hallenfußball wurde für Wohlfarth und den VfL Bochum ein teurer Spaß. Zwei Monate Sperre und 60.000 Mark Bußgeld waren die Folge.
FIFA verzichtete auf Plexiglas
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Da konnten die Preisgelder - Ende der 80er-Jahre kassierten die Turniersieger zwischen 15.000 und 30.000 DM - nicht mithalten. Für die Klubs war es dennoch ein schöner Nebenverdienst in den Wochen und Monaten ohne Zuschauereinnahmen. In den fünf Wochen der Winterpause fanden damals zwischen 15 und 20 Turniere in Deutschland statt. Und erstmals richtete auch die FIFA Anfang 1989 in den Niederlanden eine Hallen-Weltmeisterschaft aus. Doch da das für den DFB finanziell eher uninteressant war und die Vereine lieber selbst ihr Geld auf den Turnieren verdienten, sagte Deutschland ab.
Aber noch einen Grund führte der DFB damals bei seiner Entscheidung gegen die Hallen-Weltmeisterschaft mit an. Anders als in den deutschen Hallen sollte in den Niederlanden ohne die beliebten Plexiglas-Banden gespielt werden, die den Zuschauern immer ganz besonders gefielen, weil sie das Gefühl des hautnahen Erlebnisses vermittelten. Und so schrieb der ehemalige Meistertrainer und damalige Kolumnist, Max Merkel, gewohnt frivol: "Hallenfußball ohne Banden, ist wie eine Hochzeitsnacht ohne Frau." Und damit - da konnte er sicher sein - sprach er den Fans, die den Hallenfußball in diesen Tagen so sehr liebten, direkt aus dem Herzen.
Quelle: ntv.de