Redelings Nachspielzeit

Redelings hofft auf WM-QualiOhne Holland macht es keinen Spaß!

28.03.2017, 10:16 Uhr
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Ein weiteres Fußball-Großereignis ohne den Erzrivalen? Ohne Neckereien, wilde Geschichten und hitzige Duelle auf dem Rasen? Das wäre verdammt schade. Denn ohne die Niederländer fehlt der Pfeffer in der Suppe, meint unser Kolumnist.

Der alte Rivale schon wieder bei einem großen Turnier nicht dabei? Godverdomme. Das macht doch keinen Spaß mehr. Beim ersten Mal 2002 haben wir noch herzlich gelacht, beim letzten Mal 2016 nur noch müde mit den Achseln gezuckt – und jetzt? Da wäre die Trauer groß. Denn nichts ist schöner, als sich an einem echten Erzrivalen zu reiben. Einst dichtete Götz Widmann von der Band "Joint Venture" die folgenden Zeilen und traf mit seinem feinen Humor direkt in die Herzen der deutschen Fußballfans: "Ich liebe Superskunk und ich liebe Sauce special. Aber eine Sache gibt's, da bin ich meganational. Es kam über die Jahre und jetzt sitzt es ziemlich fest. Solang es um Fußball geht, hasse ich Holland wie die Pest."

Kinder, die in den 70er-Jahren geboren worden sind, erinnern sich an einen Klassiker unter den Witzen. "Papa, warum haben die niederländischen Kinder eigentlich so große Ohren?" "Das kommt davon, mein Junge, dass ihre Väter die Kleinen an der Grenze immer an den Ohren gen Osten in die Lüfte heben und sagen: Guck mal, da drüben wohnt der Weltmeister!" Die Rivalität wird seit Anbeginn auf niederländischer Seite verbissener geführt als auf deutscher. Das hat mit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg zu tun.

"Ein Tor würde dem Spiel gut tun"

Ben Redelings ist "Chronist des Fußballwahnsinns" (Manni Breuckmann) und leidenschaftlicher Anhänger des VfL Bochum. Der Autor, Filmemacher und Komödiant lebt in Bochum und pflegt sein Schatzkästchen mit Anekdoten. Seine kulturellen Abende "Scudetto" sind legendär. Für n-tv.de schreibt er stets dienstags die spannendsten und lustigsten Geschichten auf. Sein Motto ist sein größter Bucherfolg: "Ein Tor würde dem Spiel gut tun".

Als damals die Wehrmacht das Land verlassen musste, klauten nicht wenige Männer das nächsterreichbare Zweirad. Daraus hat sich bis heute das geflügelte Wort für allzu unsensibel auftretende Deutsche im eigenen Land erhalten: "Gib mir mein Fahrrad zurück". Und als die Nachbarn 1988 bei der EM in Deutschland im Halbfinale auf den Gastgeber trafen, hingen im Volksparkstadion Banner, auf denen stand: "Oma, wir haben dein Fahrrad gefunden!" Auch der niederländische Schiedsrichter Frans Derks war geprägt durch die Berichte seines Vaters über diese Zeit. Einmal erzählte der Uefa-Schiri die folgende Geschichte.

"Als mein Vater starb, habe ich ihm kurz vor seinem Tod noch zwei Dinge versprochen: Ich werde erstens niemals nur aus Vergnügen nach Deutschland fahren. Und zweitens: Unter meiner Leitung wird ein deutscher Klub nie gewinnen. Daran habe ich mich gehalten. Wenn wir über Deutschland sprechen, dann reden wir auch über ein Volk, das solche Menschen wie Goethe und Schiller hervorgebracht hat. Nach jahrelangen Studien darf ich euch aber einen Ratschlag geben: Passt auf, denn sie werden es wieder tun! Vor dem Europapokal-Spiel zwischen Katowice und dem 1. FC Köln habe ich damals Auschwitz besucht. Ich war danach vollkommen von der Rolle und hatte eigentlich keine Lust mehr, ein Spiel zu pfeifen. Das Einzige, was ich tun konnte, war, den Moffenverein nicht gewinnen zu lassen. Am Ende ging es unentschieden aus. Nach dem Abpfiff waren sie auch noch zufrieden mit mir. Das muss man sich mal vorstellen: Da habe ich bei den Arschlöchern auch noch einen guten Eindruck hinterlassen!"

Johan Cruyff in Erklärungsnot

Über viele Jahre steigerte sich die Rivalität von Spiel zu Spiel und Turnier zu Turnier. 1974 bei der WM in Deutschland eskalierte der Konflikt das erste Mal so richtig. Die berühmte Legende von der "Krautkrämer-Affäre" erzählt für viele Zeitzeugen die eigentliche Wahrheit der Finalniederlage der Niederländer. Einige Tage vor dem Endspiel
 in München titelte damals die "Bild"-Zeitung: "Cruyff, Sekt,
 nackte Mädchen und ein kühles Bad!" Angeblich 
sollten sich die Nationalkicker Johan Cruyff, Rob Rensenbrink, Piet Schrijvers und Pleun Strik mit "drei knusprigen Mädchen" und viel Alkohol bis in den frühen Morgen hinein nackt im Swimmingpool des Hotel Krautkrämer in Münster Hiltrup mit "fröhlichen Wasserspielen" vergnügt haben.

Ein Eklat, der besonders dem verheirateten Superstar der niederländischen Nationalelf, Johan Cruyff, große Probleme bereitete. In stundenlangen Telefonaten musste er seine Ehefrau Danny beruhigen. In den Nächten vor dem Finale schlief er wenig und trabte stattdessen rauchend im Hotelzimmer hin und her. Sein Schlafgenosse Johan Neeskens verzweifelte am nervösen und Kette rauchenden Star. Zum Endspiel erschien Cruyff übernächtigt und "mental todmüde", wie er später selber sagen wird. In all dem Treiben sah Bondscoach Rinus Michels eine Kampagne des deutschen Boulevards und spricht von "Krieg" ("Im Moment gibt es Krieg, und Krieg ist Krieg. Sonntag nach dem Spiel herrscht wieder Friede").

Allerdings sagte er dies nur auf Niederländisch. Nach der Veröffentlichung der "Bild" vergaß Michels komplett seine Deutschkenntnisse. Den niederländischen Journalisten versuchte der Trainer allerdings betont gelassen gegenüberzutreten. Über das nächtliche Nacktbaden sagte er: "Nicht so schlimm. So weiß ich wenigstens, dass Johan und die anderen gesund sind."

Ein weiteres großes Turnier ohne den Erzrivalen würde auch bedeuten, dass es später für die neue Generation keine Geschichten zum in Erinnerung schwelgen geben wird. Wer die Spiele der EM 1988 und der WM 1990 zwischen den beiden Nachbarn live miterleben durfte, hat erstens fürs ganze Leben verstanden, welche Emotionen Fußball hervorrufen kann und zweitens begriffen, dass es (fast) egal ist, ob du als Gewinner oder Verlierer aus diesen Duellen hervorgehst – am Ende zählt, dass es sie überhaupt gibt und du sie niemals vergessen wirst. In diesem Sinne: Liebe Elftal, van harte alles Gute. In der Hoffnung, dass wir uns doch noch bei der WM 2018 sehen: Oranje boven!

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