Fußball-WM 2018

Mythos ist nur noch eine Hülle Umbau hat Maracanã entweiht

Das Maracanã vor dem Umbau: Im seinerzeit größten Stadion Südamerikas fanden rund 210.000 Menschen Platz.

Das Maracanã vor dem Umbau: Im seinerzeit größten Stadion Südamerikas fanden rund 210.000 Menschen Platz.

(Foto: AP)

Das Maracanã in Rio de Janeiro war einst der Inbegriff eines Stadions, das für eine egalitäre brasilianische Gesellschaft stand. Nach seinem Umbau steht es vor allem für ein elitäres Verständnis der Fifa. Für viele Fans ist der Geist des Ortes für immer verloren.

Maracanã! Allein das Wort elektrisiert Fußball-Fans und -Spieler weltweit. "König" Pelé erzielte hier sein 1000. Tor, Garrincha, Zico, Sócrates, Romário und Ronaldo verzauberten in diesem Fußball-Tempel die Massen. Das Maracanã ist ein Sehnsuchtsort und von Mythen umrankt wie kein anderes Stadion. Auch Brasiliens "Hiroshima", wie der berühmte Schrifsteller Nelson Rodrigues das 1:2 bei der WM 1950 gegen Uruguay nannte, trägt den Namen dieser Arena: "Maracanazo".

Maracanã 2014 mit gut 70.000 Plätzen: Nur der Himmel über dem Stadion ist der selbe geblieben.

Maracanã 2014 mit gut 70.000 Plätzen: Nur der Himmel über dem Stadion ist der selbe geblieben.

(Foto: picture alliance / dpa)

"Nur drei Männer haben das Maracanã verstummen lassen", sagte Alcides Ghiggia, der Schütze des 2:1 für Uruguay später, "Frank Sinatra, Papst Johannes Paul II. - und ich." Doch das stimmt nicht mehr. Das Maracanã, wie es die Brasilianer kannten und liebten, ist tot - und Ghiggia, ein gebeugter, aber wacher Mann von 87 Jahren, kann gar nichts dafür. Den "Mord am Maracanã", wie es eine Zeitung nannte, haben die Brasilianer selbst begangen. Sie haben ihren Tempel entweiht.

Das Maracanã war von Anfang an mehr als nur ein Fußball-Stadion. Erbaut für die WM 1950, sollte es ein Denkmal der neuen Größe Brasiliens sein, ein Versprechen für die Zukunft. Benannt nach einer Papageienart und einem gleichnamigen Bächlein, das hinter der Tribüne plätschert, wurde sein Standort nicht zufällig gewählt: An diesem Rinnsal trafen reicher, weißer Süden und armer, schwarzer Norden aufeinander. Ein Stadion als Schmelztiegel. Die Architektur war ein Symbol für die junge Demokratie: Im Rund sollte jeder gleich gute Sicht auf den Rasen haben. Das Maracanã war egalitär, nicht elitär. Ein Ort des Volkes. Jetzt, nach der Renovierung für die WM, ist es für viele ein Ort für VIPs. Manche hatten Tränen in den Augen, als sie die runderneuerte Arena erstmals betraten.

Nur noch Sepp Blatter glaubt an "alten Geist"

Das neue Maracanã hat hat eine Aura wie das neue Wembley oder die Allianz Arena - mächtig, aber irgendwie kalt. Der Mythos ist zur leeren Hülle verkommen. Bunte Schalensitze sollen Fröhlichkeit ausstrahlen; sie haben die Stehplätze verdrängt. Vor den neuen Logen sitzen die Schönen und Reichen in schweren Sesseln und schlürfen Champagner.

Die Befürchtung, dass sich der gemeine Fan nach dem 420 Millionen Euro teuren Umbau keine Karte mehr würde leisten können, ist allerdings nicht eingetreten. Beim Fla-Flu-Derby zwischen Flamengo und Fluminense am 11. Mai war das billigste Ticket für 30 Reais (etwa zehn Euro) zu haben. Früher, maulen manche Fans, hätten sie für die Stehplätze hinter den Toren fünf Reais bezahlt. Außerdem seien große Fahnen und Trommeln verboten, statt heimischer Kost gebe es amerikanische Hotdogs.

Die Verantwortlichen weisen die Kritik zurück. Man hätte das Maracanã den Erfordernissen des modernen Fußballs anpassen müssen. Aus der Vogelperspektive sehe es noch fast aus wie früher, sagte Bauleiter Ícaro Moreno. Und die Privatisierung nach der WM, die viele empörte? "Das Stadion wird nur privat betrieben, es gehört dem Staat." Sepp Blatter spürt im Maracanã noch "den alten Geist". Dabei war Blatters FIFA mitverantwortlich beim Austreiben desselben. Für die vom Weltverband geforderte Anzahl an Parkplätzen musste eine Favela weichen. 650 Familien - umgesiedelt. Das erste Indianer-Zentrum in Lateinamerika, einen Steinwurf entfernt, wurde zwangsgeräumt. Die Stadt dementierte indes eine Umsiedlung.

Fla-Flu wollten nur 26.178 zahlende Zuschauer sehen. Bei normalen Ligaspielen sind es noch weniger, die Stimmung ist schlechter als bei manchem deutschen Fünftligakick. Nur wenn Brasilien spielte, war wie beim Confed-Cup-Finale 2013 Feuer unterm neuen Dach. Während die Seleção drinnen Spanien verprügelte, riefen draußen ein paar Leute: "O Maraca é nosso!" Das Maracanã gehört uns. Das war einmal. Und die Seleção ist auch nicht mehr das, was sie einmal war.

Quelle: ntv.de, Marco Mader, sid

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