Sechs Dinge, die wir gelernt haben DFB-Elf hofft auf den letzten Kick
27.06.2014, 15:06 Uhr
(Foto: imago/Fotoarena International)
Mit zwei Siegen und einem Remis schafft es die DFB-Elf ins Achtelfinale der WM. Kann man nicht meckern. Oder? Die Frage ist: Kommt da noch mehr? Und reicht das alles für den großen Coup?
Tor: 0:1 Müller (55.) USA: Howard - Johnson, Gonzalez, Besler, Beasley - Beckerman, Jones - Zusi (84. Yedlin), Bradley, Davis (59. Bedoya) - Dempsey
Deutschland: Neuer - Boateng, Mertesacker, Hummels, Höwedes - Lahm, Schweinsteiger (76. Götze) - Özil (89. Schürrle), Kroos, Podolski (46. Klose) - Müller
Schiedsrichter: Irmatow (Usbekistan)
Zuschauer (in Recife): 41.876 in Recife
1. Ein bisschen fehlt dann doch noch
Die Bilanz der deutschen Mannschaft bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft liest sich gut: drei Spiele, zwei Siege, ein Unentschieden. Da kann man nicht meckern, zumal viel dabei war: Ein klarer Erfolg gegen Portugal, ein wildes Remis mit viel Herz und Leidenschaft gegen Ghana und ein eher kühler Sieg gegen die USA am Donnerstag in Recife, bei dem das gute Pferd DFB-Elf mit einem 1:0 nicht viel höher sprang, als es musste. Oder als es konnte? Fußt der Optimismus, den die Spieler ausstrahlen, auf der Fähigkeit zum ganz großen Wurf? Das ist die Frage, die das Team des Bundestrainers Joachim Löw nun beantworten muss. Denn Weltmeister werden wollen sie, das habe sie oft genug betont.
Entwickelt sich hier eine Mannschaft, die an ihren Aufgaben wächst? Oder ist viel mehr nicht drin, als mit einem ordentlichen Spiel eine eher limitierte Mannschaft wie die des deutschen US-Trainers Jürgen Klinsmann knapp, aber verdient zu besiegen? Der letzte Kick jedenfalls fehlt noch, ein Geniestreich von Mesut Özil, um nur ein Beispiel zu nennen. Und was passiert, wenn es dann im Viertelfinale gegen Argentinien oder Frankreich und im Halbfinale zum Beispiel gegen Brasilien geht? Abgesehen davon, dass es die DFB-Elf erst einmal bis dahin schaffen muss. Garantien gibt es keine. Aber das ist ja schließlich Fußball. Die Leute gehen hin, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.
2. Brasiliens Norden ist nicht mehr selbstmörderisch
Im Jahr 1943, schreibt Martin Curi in seinem Buch "Brasilien - Land des Fußballs", unternahm der Santa Cruz Futebol Club aus Recife eine Rundreise durch Brasiliens Norden. Sie ist als "Selbstmordausflug" in Erinnerung geblieben, der Torwart erlebte das Reiseende aufgrund tückischer Tropenkrankheiten leider nicht. Auch das DFB-Team hat mit dem Regenspiel in Recife nicht nur die WM-Vorrunde beendet, sondern auch den Nordosten kennengelernt, zumindest durch die Scheiben des Teambusses. Wenn Joachim Löw am Freitag im Campo Bahia in seinen Kommunen durchzählt, wird er nicht nur Torwart Manuel Neuer wohlauf vorfinden. Das gesamte Team hat die Reise personell unbeschadet und sportlich durchaus erfolgreich überstanden, auch ein Lagerkoller ist nicht überliefert.
Auf ihren Städtereisen gastierten die deutschen Kicker in Salvador mit seinem karibischen Flair und den Favelas direkt am Stadion, in Fortaleza mit seiner schwülen Hitze und der eigentümlich charmanten Hotelhochhaus-Strandpromenade, sowie in Recife mit seiner hübschen historischen Innenstadt und den weniger hübschen Wassermassen, in denen die Stadt in dieser Woche versank. Das alles lässt das DFB-Team jetzt hinter sich, nächster Halt ist Porto Alegre tief im Süden des Landes. Von dort geht es über Rio de Janeiro (Viertelfinale) weiter nach Belo Horizonte (Halbfinale) und zurück nach Rio. Dort ist für den 13. Juli das WM-Finale angesetzt. Der Reiseplan verschiebt sich nur, wenn das DFB-Team früh rausfliegt oder wie 2006 und 2010 im Halbfinale scheitert. Das "kleine Finale" allerdings, das die Löw-Elf inzwischen perfektioniert hat, würde in der Hauptstadt Brasilia stattfinden. Den Westen des Landes hätte Deutschland dann auch abgehakt – ganz ohne Verluste.
3. Das Problem der Teilzeitarbeiter bleibt
Gegen die USA war das Mittelfelddreieck mit Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos der dominierende Mannschaftsteil. Was allerdings auch daran lag, dass die von Jürgen Klinsmann trainierten Amerikaner den Deutschen viel mehr Platz zum Spielen ließen, als die es vorher befürchtet hatten. Aber es lief gut, keine Frage, der angestrebte Ballbesitz und die damit einhergehende Dominanz waren deutlich zu Erkennen. Das Problem der Teilzeitarbeiter aber bleibt. Überraschend kommt es nicht. Dass Sami Khedira es sieben Monate nach seinem Kreuzbandriss überhaupt in den Kader geschafft hat, grenzt an ein zumindest kleines Wunder. Hundertprozentig fit ist er nicht.
Gegen Portugal hielt Khedira 90 Minuten durch, gegen Ghana war nach 69 Minuten Schluss. Und gegen die USA saß er auf der Bank. "Ich wollte Sami eine Pause gönnen", hatte der Bundestrainer den sinnvollen Wechsel zu Bastian Schweinsteiger begründet. Aber auch der ist nicht im Vollbesitz seiner Kräfte, wie es Löw gerne formuliert. Schon die gut 20 Minuten in Fortaleza hatten ihn sichtlich mitgenommen, am Donnerstag in Recife musste er nach 76 Minuten raus. Was aber passiert, wenn es in einem K.-o.-Spiel Spitz auf Knopf steht, wenn eine Verlängerung - man muss es in diesem Fall so sagen - droht? Klappt die Arbeitsteilung im Kader auch dann? Wieder so eine Frage, die sich erst in der Rückschau beantworten lässt. Falls es nicht gleich beim ersten Ernstfall schiefgeht.
4. Der deutsche WM-Kader ist kleiner als gedacht
23 Spieler durfte Bundestrainer Joachim Löw mit nach Brasilien nehmen, 23 hat er tatsächlich auserwählt. Die drei Vorrundenpartien haben aber gezeigt: Verwendung hat er nur für 16 Spieler, so viele WM-Fahrer hat er insgesamt eingesetzt gegen Portugal, Ghana und die USA. Der Kreis der Spieler, auf die Löw in den anstehenden K.o.-Spielen wirklich setzt, ist sogar noch kleiner, sagt WM-Experte Josef Hickersberger: "Ich glaube nicht, dass Jogi Löw derzeit über mehr als dreizehn, vierzehn Spieler verfügt, die sein uneingeschränktes Vertrauen in schweren Spielen genießen." Sicher scheint, dass die Dortmunder Außenverteidiger Erik Durm und Kevin Großkreutz bei der WM bestenfalls Benefizminuten sammeln dürfen, wenn überhaupt. Auch Gladbachs Christoph Kramer wird die WM als Minuten-Nullinger beenden, Schalkes Julian Draxler ebenso und Freiburgs Matthias Ginter wohl auch. So komfortabel es für Löw ist, von der Bank gestandene Nationalspieler wie Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose bringen zu können. Dahinter wird die Luft dünn. Schnappatmung in Fußball-Deutschland ist nicht ausgeschlossen.
5. Die USA waren harmloser als ihr Ruf
Joachim Löw hat hinterher ganz gönnerhaft davon gesprochen, dass die Qualifikation fürs Achtelfinale ein weiterer Entwicklungsschritt für den Fußball in den Vereinigten Staaten sei. Wer Ghana schlage und Portugal einen Punkt abtrotze, der habe es sich redlich verdient, zu den 16 besten Mannschaften dieses Planeten zu gehören. Das war bestimmt als Kompliment für seinen Freund Jürgen Klinsmann gemeint. Was der Bundestrainer nicht gesagt hat: Gegen Deutschland verlieren sie trotzdem. Eine kleine Spitze erlaubte er sich zudem. Zwar sprach er von dem erwartet schweren Spiel und davon, was die Amerikaner alles können. Er sagte aber auch: "Wir hätten sie ein bisschen aktiver erwartet."
In der Tat überließ der Gegner den Deutschen die meiste Zeit das Mittelfeld nahezu kampflos. Klinsmann sprach hinterher davon, sein Team habe schlichtweg zu viel Respekt gezeigt. In der Tat hatten seine Spieler in den zwei Partien zuvor viel aggressiver und früher attackiert. Gegen die DFB-Elf aber waren sie harmloser als gedacht. Was natürlich auch an der deutschen Mannschaft gelegen haben könnte. Nun geht es im Achtelfinale gegen Belgien. Josef Hickersberger traut den harmlosen Amerikanern eine Überraschung zu. Man darf gespannt sein.
6. Die Fifa verdirbt sogar Regenschlachten
Ja, der Fußball-Weltverband hatte wegen der Dauer-Wolkenbrüche in Recife erwogen, den Anpfiff zwischen den USA und Deutschland um eine Stunde zu verschieben. Der Grund war aber nicht die Unbespielbarkeit des Platzes, sondern die Unerreichbarkeit des Stadions für viele Fans und auch Pressevertreter. Weil Straßen in den nicht enden wollenden Regengüssen zu Flüssen wurden, blieben Busse und Taxis im Wasser oder Staus stecken. Für viele Stadionbesucher wurde die Anreise zur Odyssee, sie brauchten oft mehrere Stunden für wenige Kilometer. Am Ende wurde vor fast vollen Rängen dennoch pünktlich angepfiffen, und auch der Rasen hielt.
"Fifa raus!"-Rufe gab es auch, sie galten aber den Ordnern und ihrer Ordnungswut, was Banner anging. Wer auf wilde Spritzgrätschen gehofft, plötzlich in Pfützen liegend bleibende Bälle befürchtet und unkontrollierte Rutschpartien erwartet hatte, wer sich also an Frankfurt 1974 erinnert hatte, der wurde in Recife maßlos enttäuscht. Ins Wasser fiel die Partie in der Arena Pernambuco nur auf einigen Plätzen nahe am Spielfeldrand, die nicht vom Stadiondach vorm Regen geschützt waren. Auf dem erstaunlich gut bespielbaren Rasen gab es ganz normalen Fußball zu sehen. Es war eine Regenschlacht nach Fifa-Standard.
Quelle: ntv.de