Fußball-WM 2018

Argentinien will das Titel-Paradox Eine neue Hand Gottes

Messi will den dritten WM-Titel für Argentinien - ob er dabei wie Maradona 1986 die Hand zur Hilfe nimmt?

Messi will den dritten WM-Titel für Argentinien - ob er dabei wie Maradona 1986 die Hand zur Hilfe nimmt?

(Foto: dpa)

Die Argentinier stehen erstmals seit 1990 wieder im WM-Finale. Nach einer schier endlosen Durststrecke in den vergangenen 20 Jahren träumen sie nun vom Titel und laden ihre Hoffnungen auf den schmalen Schultern Lionel Messis ab. Ob der zu einem alten Erfolgsrezept greift?

"Die Hand Gottes" schrieb die argentinische Zeitung "Diario Popular" am Donnerstag unter ein Foto von Nationaltorwart Sergio Romero. Nicht Lionel Messi stand diesmal im Mittelpunkt, sondern der Torwart. Dank seiner zwei gehaltenen Elfmeter gegen die Niederlande stieg er zum neuen Helden der argentinischen Nationalmannschaft auf, die nach 24 Jahren wieder im Finale einer Fußball-Weltmeisterschaft steht. Viele erinnerte der Schlussmann an seinen Vorgänger Sergio Goycochea, der Argentinien 1990 mit seinen gehaltenen Elfmetern gegen Jugoslawien und Italien ins Finale brachte. Nachdem Romero Argentinien den Einzug ins Endspiel gesichert hatte, feierten Hunderttausende Fans im ganzen Land den Sieg.

Dass man sich in Argentinien jetzt an das umstrittene Tor Diego Maradonas gegen England von 1986 und die Paraden Goycocheas von 1990 erinnert, ist kein Zufall. Damals erlebte die argentinische Nationalmannschaft ihre bislang letzten ruhmreichen Momente. In den folgenden fünf Weltmeisterschaften scheiterte die Mannschaft immer spätestens im Viertelfinale. Spieler wie Javier Mascherano, Martin Demichelis, Lionel Messi und Sergio Romero haben in den vergangenen Südamerika- und Weltmeisterschaften eine Pleite nach der anderen erlebt. Einige von ihnen verloren sogar zweimal gegen Deutschland, bei den Weltmeisterschaften 2006 und 2010. Das Finale in Rio ist ihre Chance, diese schwarze Serie endlich zu beenden.

Vom Tiefpunkt zu den "Die fantastischen Vier"

Der Weg dorthin war nicht einfach. 2011 richtete Argentinien die Südamerikameisterschaft aus und galt als Favorit - doch dann flog die Mannschaft nach einer Niederlage gegen Uruguay wieder im Viertelfinale aus dem Turnier. Wenige Monate später quälte die Mannschaft von Alejandro Sabella das Publikum in Buenos Aires mit einem Unentschieden gegen ganz schwache Bolivianer. Die Beziehung zwischen den Anhängern und der Mannschaft war auf ihrem Tiefpunkt angelangt - auch den vermeintlichen Fußballgott Lionel Messi wollte kaum jemand mehr anbeten.

Erst ein 3:1-Auswärtssieg gegen Kolumbien wendete Ende 2011 das Blatt. Seitdem blühte der Wunderspieler vom FC Barcelona auf und wurde endlich zum echten Führungsspieler. Die Mannschaft steigerte sich deutlich und beflügelte bei den Fans wieder die Hoffnungen für die kommende WM in Brasilien, dem sportlichen Erzfeind.

Ihre Offensivstärke wurde zur wichtigsten Waffe der argentinischen Nationalmannschaft. Neben Messi waren Ángel di María, Gonzalo Higuaín und Sergio Agüero die entscheidenden Trümpfe des Teams. Die Presse nannte sie "Die fantastischen Vier". Die Defensive galt dagegen als der schwächere Mannschaftsteil.

Verteidiger sind die neuen Stars

Im Juni reisten die Fans zu Tausenden nach Brasilien und träumten von Glanztaten Messis und dem WM-Sieg. In den ersten drei Spielen erlebten sie starke Spiele des Superstars, der die Mannschaft gegen Bosnien, den Iran und Nigeria zum Sieg führte. Die Fans sahen sich in ihrer Verehrung für ihr großes Idol bestätigt.

D och nach dem mühseligen Sieg über die Schweiz schien Trainer Sabella an seiner Offensivabteilung zu zweifeln. Die herausragenden Spieler waren plötzlich nicht mehr die Angreifer, sondern die Verteidiger. Nach den Verletzungen von Di María und Agüero und einer schwachen Vorstellung Messis ließ Sabella gegen Belgien und die Niederlande deutlich vorsichtiger spielen. Nun prägten Mittelfeldspieler wie Javier Mascherano und Lucas Biglia neben den Verteidigern Martin Demichelis und Ezequiel Garay das argentinische Spiel. Die Ergebnisse gaben dem Trainer Recht. Die Mannschaft verlor zwar an offensiver Durchschlagskraft, stand dafür aber hinten sicherer.

Die Fans kümmerte die neue Spielweise der Mannschaft wenig. Sie feierten den Sieg im Elfmeterkrimi gegen die Niederlande und blendeten die nahezu ereignislosen 120 Minuten davor aus. Die Leute liefen glücklich auf die Straße und feierten, statt sich über Ungerechtigkeiten zu beklagen. So etwas schafft in Argentinien fast nur der Fußball. Noch am Vortag hatten die Argentinier den deutschen Sieg über Brasilien wie einen eigenen gefeiert. Nach jedem Tor der Deutschen schallte ein Hupkonzert durch die Straßen.

Den Pokal aus Brasilien entführen

Doch noch fehlt der letzte Schritt. Das Gefühl des Gleichstandes, das sich nach den Endspielen von 1986 und 1990 eingestellt hatte, ist in den vergangenen Jahren verschwunden. Heute wird Deutschland als Fußball-Großmacht gesehen, die nicht nur ein Beispiel an Organisation und Einsatz ist, sondern auch noch den besseren Fußball spielt. Argentinien musste das 2006 und 2010 leidvoll erfahren.

Heute hoffen die Argentinier dennoch auf einen Sieg im Finale, weil sie genau gegen die Mannschaft antreten, gegen die sie 1986 ihren letzten großen Sieg gefeiert haben. Wenn die Südamerikaner sich tatsächlich durchsetzen, wäre die Fußballgeschichte um ein Paradox reicher: Brasilien hätte dann zwei Weltmeisterschaften ausgerichtet (1950 und 2014) und dabei zusehen müssen, wie die ewigen Rivalen Uruguay und Argentinien den Pokal mit nach Hause nehmen. Messi hat nun die Chance, sich seinen Platz auf dem Altar der großen Idole des Landes zu sichern. Wird die Hand Gottes wieder zuschlagen? 

Javier Szlifman lebt und arbeitet in Buenos Aires als freier Journalist. Sein Text wurde von Volker Petersen aus dem Spanischen übersetzt.

Quelle: ntv.de

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