Zapp Maier - die WM-TV-Kolumne In einem Schland vor unserer Zeit
13.07.2014, 13:06 Uhr
Kaum zu glauben, aber 1990 verließ keine einzige Twitter-Nachricht die Kabine der Weltmeister-Elf.
(Foto: picture-alliance / dpa/dpaweb)
Die Vergangenheit ist ein fernes Land und die Menschen verhalten sich merkwürdig dort: Ein ganz persönlicher Blick zurück ins Jahr 1990, als die Nationalteams von Deutschland und Argentinien zuletzt ein WM-Finale bestritten.
Meine Mannschaft des Jahres 1990? Klarer Fall: Die Auswahl des LFC Subway. In Kiel, meiner alten Heimat, war das Subway der Indie-Punkrock-Gothic-Undergroundschuppen der Stunde, mit dem LFC vertraten wir seine Farben in der örtlichen Kneipenliga. Im ersten Jahr hatten wir dem Namen - ‚L‘ stand für ‚Letzter‘ - einiges an Ehre gemacht und rangierten unter ferner liefen. Schon im Jahr drauf füllten wir das Schlagwort von der "Goldenen Generation" mit Leben und räumten alles ab.
Spitzenteams wie "Haake Kate", "Imbiss Bremm" und "Holstenschwemme" spielten wir schwindlig. Legenden wie Stefan "Löckomotive" Löck, Teamkapitän Lutz Lück, Butzi, Thomas Lohr und all die anderen trugen sich in die Geschichtsbücher ein. Ich hütete damals den Kasten und unterschrieb im Spielbogen mit meinem Künstlernamen, Dr. Peter Kunter. War es diese unvergleichliche Saison, die uns den Blick auf die WM in Italien etwas verstellte? Berauscht von unserer Leistung, sattgesehen an den eigenen Pokalen? Oder war es die, im Vergleich zum Medien-Overkill und Public-Viewing-Spektakel von heute, geradezu mickrige Präsenz des Ereignisses?
Eine Woche des WM-Turniers etwa verbrachte ich als studentische Servicekraft auf dem Europäischen Markt der Kieler Woche. An jenem Ort also, dem Rathausplatz der Landeshauptstadt, wo die Örtlichen alljährlich die Handball-Meisterschaft ihres THW feiern. Der Public-Viewing-Anteil dort, anno domini 1990: Null. Nichts. Ein Fernseher oder ein Radio: Fehlanzeige.
"Schön gehört? Rijkard hat Völler angerotzt"

Nicht auszudenken, was diese Szene auf den sozialen Netzwerken angerichtet hätte.
(Foto: picture alliance / dpa)
Blumenketten unterlagen noch hawaiianischem Monopol, Gesichtsbemalung gab es nur am Kinderschminkstand und die Spielergebnisse - auch Handys, die Älteren werden sich erinnern, gab es noch nicht - riefen uns angetrunkene Kumpels über den Verkaufstresen zu. "Schon gehört? 2:1 Deutschland. Und Rijkaard hat Völler angerotzt." Wie, was, was war da los? Zuhause erwischten wir nach Dienstschluss vielleicht noch die Zusammenfassung oder die Tagesthemen. Das war's.
Während des Viertelfinales gegen die Tschechen spielten wir ein Konzert mit unserer Band und verpassten so das 1:0 von Matthäus. Immerhin sahen wir das legendäre Halbfinale gegen England. Ich weiß es wie gestern: Erst Minigolf beim MGC Olympia, dann Biere vom "Ostring Grill". Pearce scheitert an Illgner, Waddle haut ihn drüber. Finale! Gerade hatten wir Higuita und Valderrama ins Panini-Album eingeklebt und uns den Fahnenstangen-Tanz von Roger Milla draufgeschafft, da war der Spaß fast schon wieder vorbei.
Das Endspiel sahen wir schließlich in unserer WG. Ich habe keine Ahnung mehr, welcher Teufel mich geritten hatte, aber ich trug tatsächlich meine komplette Keeper-Kluft: Das Jersey mit der Nummer 1, gepolsterte Hose, Stutzen und - was habe ich mir dabei bloß gedacht - meine Fußballschuhe mit Schraubstollen.
Revolutionärer Vier-Auto-Korso
Im Haus gegenüber konnte man in eine andere Studentenbude blicken und die hatten es noch dicker hinter den Ohren: Aus dem Fenster baumelten die während der WM leergetrunkenen Warsteiner-Partyfässer, in einer Art Wohnzimmer hatten sich die Bewohner eine dreistöckige Mini-Tribüne gebaut, mit Geländer, Sitzschalen, allem Zipp und Zapp. Ein Wagen von Sat.1 stand vor der Tür, ein Filmteam drehte einen Bericht über die Fußballverrückten fürs Regionalfernsehen.
Das Spiel selbst dann ein langer ruhiger Fluss bis zur 85. Minute. Sensini berührt Völler, Völler sinkt dahin, ein Pfiff, Elfmeter. Brehme legt ihn sich zurecht, guckt nur kurz hoch, Anlauf, Tor. Das war es schließlich. Wir köpften die letzten Holsten-Vasen, ich zog mir die Buffer wieder aus und plötzlich hörten wir es draußen hupen.
Vom Fenster aus sahen wir dann so etwas wie einen ersten, kleinen Vorgeschmack auf kommende Jahre. Ganze vier Autos, mit schwenkenden Fahnen, bretterten über die Kreuzung. Deutschlaaand. Trööt. "Na, die lassen’s krachen", dachten wir und schlossen das Fenster. Die Straßen beinah wieder so leergefegt wie während des ganzen Spiels. Those were the Days. Der 8. Juli 1990 in einem Schland vor unserer Zeit.
Quelle: ntv.de