Meilenstein für den Abgeschriebenen Mertesacker ist unflexibel und unverzichtbar
21.06.2014, 13:24 Uhr
Per Mertesacker brachte in seiner Nationalmannschaftskarriere schon einige Angreifer zu Verzweiflung - so wie vor einigen Tagen Cristiano Ronaldo.
(Foto: AP)
Die Fußball-EM 2012 war für Per Mertesacker ein Trauma. Nach null Spielminuten lag seine Nationalmannschaftskarriere in Trümmern. In Brasilien ist Mertesacker wieder Stammspieler, schreibt jetzt Geschichte – und will den finalen Makel tilgen.
- Lothar Matthäus 150 14.06.1980 20.06.2000
- Miroslav Klose 132 24.03.2001 06.06.2014
- Lukas Podolski 115 06.06.2004 16.06.2014
- Jürgen Klinsmann 108 12.12.1987 04.07.1998
- Philipp Lahm 107 18.02.2004 16.06.2014
- Jürgen Kohler 105 24.09.1986 04.07.1998
- Franz Beckenbauer 103 26.09.1965 23.02.1977
- Bastian Schweinsteiger 102 06.06.2004 06.06.2014
- Joachim Streich 102 08.12.1969 20.10.1984*
- Thomas Häßler 101 31.08.1988 20.06.2000
- Hans-Jürgen Dörner 100 22.06.1969 18.05.1985*
- Ulf Kirsten 100 08.05.1985 20.06.2000**
* DFV
** DFV/DFB
Viele sind nicht übrig geblieben. Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski, Miroslav Klose. Die waren im DFB-Team dabei, als Per Mertesacker im Oktober 2004 debütierte. Sie werden wieder dabei sein, wenn der 29-jährige Innenverteidiger heute im zweiten Spiel bei dieser Weltmeisterschaft gegen Ghana aufläuft. So unglaublich wie 2004 in Teheran vor 110.000 euphorisierten Iranern wird es in Fortaleza nicht werden, das Stadion dürfte nicht voll sein. Für Mertesacker wird es trotzdem eine besondere Partie. Als Letzter der Generation Sommermärchen tritt er im Castelão in einen exklusiven Fußballzirkel ein: den Hunderter-Klub der Nationalmannschaft.
Per Mertesacker, hundertfacher Fußball-Nationalspieler für Deutschland? Hätte er vor ein paar Jahren nicht wirklich erwartet. Umso schöner ist es jetzt: "Ich bin verdammt stolz auf die Zeit, seit fast zehn Jahren Teil des DFB-Teams zu sein. Es macht mir viel Spaß und solche Turniere wie hier in Brasilien sind natürlich Highlights."
Zum Highlight für Mertesacker macht diese Fußball-WM auch der Umstand, dass er Stammspieler im Abwehrzentrum ist. Das war er bei den Turnieren 2006 und 2010 zwar auch. Beim letzten großen Turnier aber, der Europameisterschaft 2012, war er es nicht mehr. Nach einer Saison mit Verletzungssorgen und Eingewöhnungsproblemen beim FC Arsenal fand er sich plötzlich auf der Bank wieder, ein Novum in seiner Karriere. Die Innenverteidigung bildeten die Youngster Mats Hummels und Holger Badstuber, und sie machten ihre Sache überzeugend. Mertesacker, mit seiner Antizipation und perfektem Stellungsspiel über Jahre der Prototyp des modernen Innenverteidigers, galt plötzlich als Auslaufmodell. Per wer?
"Wie ein Schlag"
Überrascht war er damals von der Degradierung, und enttäuscht: "Klar, wenn die Mitteilung kommt, ist es wie ein Schlag", sagt Mertesacker: "Das war für mich eine ganz neue Erfahrung. Ich hab kurz gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass ich wirklich nur ein kleiner Teil von diesem Ganzen bin. Wenn ich das nun mit 2012 vergleiche, dann habe ich natürlich diesmal ein richtig gutes Gefühl."
Keine Minute hat Mertesacker bei der EM 2012 gespielt. Das Turnier ist trotzdem nicht der Anfang vom Ende geworden, sondern eine Schlüsselerfahrung für Mertesacker. Er hat sich zurückgekämpft in die Startelf, aber er hat auch einen anderen Blick auf seine Mitspieler gewonnen. Das bringe einen enorm weiter, "wenn man plötzlich merkt, wie es den anderen immer so geht". Ihn hat es auch vorwärts gebracht, sportlich und menschlich: "Ich hab‘s wirklich schnell geschafft, da zu sein für die Mannschaft." Jetzt ist er wieder mittendrin.
Beim FC Arsenal ist Mertesacker unumstritten, er trug mehrfach die Kapitänsbinde. Die Fans feiern ihn als "Big fucking German". Auch für Joachim Löw ist er wieder unabkömmlich, obwohl der 1,98 Meter Mann in der flexibelsten Nationalmannschaft aller Zeiten der unflexibelste Spieler ist. 99 Mal ist Mertesacker bislang im DFB-Trikot aufgelaufen, 99 Mal spielte er im Abwehrzentrum, das wird auch gegen Ghana so sein.
"Das Ding endlich ins Ziel bringen"
Ein Wettbewerbsnachteil bei einer Vierer-Abwehrkette, die mittlerweile von vier gelernten Innenverteidigern gebildet wird? Besser so, sagt Mertesacker: "Ich habe mein erstes Bundesligaspiel, damals in Köln, als rechter Verteidiger gespielt." Gute Erinnerungen verbindet er damit nicht: "Ich wurde nach 45 Minuten ausgewechselt und war fertig mit der Welt." Seither kam kein Trainer mehr auf die Idee, ihn woanders einzusetzen als in der Innenverteidigung, schreibt der DFB dazu höchstselbst auf seiner Homepage. Im Abwehrzentrum fühlt sich Mertesacker wohl und wichtig: "Ich habe entgegen aller Prognosen immer noch das Gefühl, dass ich Frische reinbringe, die uns weiterhilft."
Schweinsteiger, Lahm, Podolski, Klose, Mertesacker. Viele sind nicht übrig geblieben, aber sie haben alle dasselbe Problem. Sie haben hundert Länderspiele und mehr gemacht, begeisternde Turniere gespielt, im Finale gestanden. Nur einen Titel gewonnen haben sie nicht. "Dieses letzte Extra fehlt uns. Der letzte Schuss Cleverness, der letzte Schuss Genialität, der letzte Schuss Antrieb oder Spirit, es war bei jedem Turnier etwas anderes", sagte Mertesacker vor seinem Jubiläum der "Süddeutschen Zeitung": "Aber eines war leider immer gleich: dass wir das im entscheidenden Spiel nicht mehr aktivieren können."
Jetzt müsse die Mannschaft "das Ding endlich ins Ziel bringen", fordert Mertesacker. Die Uhr tickt: "So langsam komme ich ja in die Jahre, aber das eine oder andere Highlight will ich noch erleben."
Quelle: ntv.de