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Jogis Jungs und die Problem-Fans Wenn Pfeifen pfeifen

Immer schön die Fähnchen schwenken: deutsche Fans in der HSH-Nordbank Arena.

Immer schön die Fähnchen schwenken: deutsche Fans in der HSH-Nordbank Arena.

(Foto: dpa)

Basel, St.Jakobs-Park, 21.46 Uhr. Die Eidgenossen rumpeln sich mit einem unansehnlichen 0:0 gegen die ab der 60. Minute nur noch zu Zehnt spielenden Israelis zur Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika. Nach dem erlösenden Schlusspfiff bebt das Stadion vor Jubel, Spieler und Fans liegen sich in den Armen.

Hamburg, HSH-Nordbank Arena, zwei Stunden zuvor. Das Publikum verabschiedet die deutsche Nationalmannschaft mit einem schrillen Pfeifkonzert aus einer WM-Qualifikation, die mit acht Siegen und zwei Unentschieden kaum hätte erfolgreicher sein können. Außer einem einsamen "Wir fahren zur WM"-Transparent erinnerte rein gar nichts an die Euphorie, die der 1:0-Sieg in Moskau drei Tage vorher ausgelöst hatte. Der Kapitän versteht die Welt nicht mehr. "Viel mehr Applaus und viel mehr Geduld" hätte das Team verdient gehabt, gibt Michael Ballack erzürnt zu Protokoll.

Er hat recht. Aber wo sonst als im einstigen Volksparkstadion, wo in der Bundesliga jede Ecke werbewirksam auf der Videotafel präsentiert wird, wo vor den Spielen ohrenbetäubend laute Musik jegliche Stimmung erdrückt, sollte sich manifestieren, wohin der Fußball sich mit seiner Event-Fixierung manövriert hat?

Jari wer?

Die schlechte Leistung der Deutschen an diesem Abend lässt sich kaum wegreden. Aber wer hatte denn ernsthaft mit einem lockeren Kantersieg gerechnet, mit einer besseren B-Mannschaft, für die es um nichts ging? Die Ausrede, man wolle für sein gutes Geld auch eine gute Vorstellung sehen, gilt nicht. Denn für Fußballkenner war genug geboten. Etwa der wahrscheinlich letzte Auftritt des großen Jari Litmanen auf der internationalen Fußballbühne. Oder ein weiterer Hinweis darauf, dass Bayer Leverkusen mit dem Transfer von Sami Hyypiä das beste Geschäft der Sommer-Transferperiode gemacht hat. Letztlich sogar der Beweis, dass Mario Gomez zurzeit nicht mal zusammen mit seinem einstigen Stuttgarter Edelhelfer Cacau zur Hochform auflaufen kann.

Die Nationalmannschaft als Showtruppe: öffentliches Training in Hamburg.

Die Nationalmannschaft als Showtruppe: öffentliches Training in Hamburg.

(Foto: dpa)

Das interessierte die 51.500 offenbar genauso wenig wie die insgesamt souveräne Art, mit der sich Deutschland für die WM qualifiziert hatte. Von einer kollektiven Amnesie befallen, verweigerten sie schon ab der 20. Minute ihrer Mannschaft die Unterstützung. Jeden Ballverlust der mit Protagonisten aus der zweiten Reihe gespickten Nationalelf quittierten die Zuschauer mit immer lauter werden Pfiffen. Der glücklose Mario Gomez musste sich bei seiner Auswechslung einen Spießrutenlauf gefallen lassen, der den Fans ein Armutszeugnis ausstellte. Zur Erinnerung: Der erst 24-Jährige ist Fußballer des Jahres 2007, hat in 129 Bundesligaspielen 66 mal getroffen und war auch in der Nationalelf bereits 11 Mal erfolgreich.

Hamburg bot ein absurdes Schauspiel. Man stelle sich vor, der VfL Wolfsburg würde in dieser Saison durch einen Auswärtssieg in Dortmund am 33. Spieltag Meister, lieferte am letzten Spieltag im heimischen Stadion ein mageres Unentschieden gegen Eintracht Frankfurt ab und würde daraufhin ausgepfiffen. In der Liga unvorstellbar, für die Nationalelf bittere Realität.

Wenn Fußball zur Unterhaltung wird

Sucht man nach den Wurzeln des Übels, läuft unweigerlich die Weltmeisterschaft 2006 vor dem geistigen Auge ab. Bar jeglichen Sachverstandes feiern grotesk geschminkte Teilzeit-Anhänger mäßig talentierte Kicker wie Odonkor oder Huth als Fußballgötter. Hunderttausende Fanmeilen-Gänger bejubeln den Sieg im Spiel um die Goldene Ananas gegen Portugal, als hätten Poldi, Schweini und Co. gerade den Franzosen im Finale eine Lehrstunde erteilt.

Das gleiche Bild wiederholte sich zwei Jahre später. Nach dem verlorenen EM-Finale gegen die haushoch überlegenen Spanier wollte Teammanager Bierhoff seinen Kapitän zwingen, mit einem "Danke"-Transparent näher zu den Fans zu gehen. Nur knapp entging er einer ansatzlosen Rechten Ballacks. Spätestens dann hätte der Ex-Stürmer merken müssen, dass die Spieler genug von der Kuschelei mit den Fans haben. Stattdessen mussten die Verlierer von Wien am darauffolgenden Tag in Berlin eine grenzdebile Feier über sich ergehen lassen, die nicht nur DFB-Sportdirektor Sammer die Zornesröte ins Gesicht trieb: "Da wird das Gefühl vermittelt, dass eine Niederlage in einem großen Finale sportlich betrachtet keine Bedeutung hat."

Wenn diese Fans nach vernichtenden Niederlagen besinnungslos feiern können, dann können sie auch wegen eines kleinen Schönheitsfehlers in einer tadellosen Qualifikation pfeifen. Nur darf man sich dann nicht wundern, wenn die Spieler ihrem Publikum nicht das liefern, was es verlangt.

Quelle: ntv.de

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