Der Lauf seines Lebens Auf Albtraum Krebs folgt Olympia-Gold
07.02.2022, 11:40 Uhr
Max Parrot hat die Konkurrenz und den Krebs besiegt.
(Foto: imago images/UPI Photo)
Bei den Olympischen Winterspielen 2018 gewinnt Max Parrot die Silbermedaille. Zehn Monate später erreicht ihn die Diagnose Lymphdrüsenkrebs. Der Kanadier besiegt den Krebs und nimmt an den Spielen in Peking teil. Dort absolviert er den Lauf seines Lebens.
Da steht er nun. Und reckt die Arme in den Himmel, wie es Sieger bei olympischen Wettbewerben eben tun. Aber plötzlich streckt Max Parrot seine Zunge raus, als wolle er es seinem größten Feind zeigen. "Es fühlt sich so großartig an", sagt der 27-jährige Kanadier der BBC nach seinem Goldlauf im Slopestyle. Seine im zweiten Lauf gesammelten 90,96 Punkte bringen ihm die Medaille, vor dem 17-jährigen Chinesen Yiming Su und seinem Landsmann Mark McMorris. "Es ist so viel passiert in den letzten vier Jahren", sagt Parrot dann und es sprudelt aus ihm heraus.
"Das letzte Mal bei Olympia, in Pyeongchang, habe ich Silber geholt und dann kam der Krebs", erzählt Parrot. "Es war ein Albtraum. Ich kann überhaupt nicht beschreiben, was ich durchgemacht habe. Du hast keine Energie mehr, keine Muskeln mehr. Und dann wieder zurück hier bei den Olympischen Spielen zu sein, auf dem Podest, nur diesmal sogar mit einer Goldmedaille. Es ist unglaublich. Das war der beste Lauf meines Lebens."
Eine Leidenschaft kehrt nicht zurück
Mit 23 Jahren absolviert Parrot 2018 seine zweiten Olympischen Winterspiele. Er gewinnt Silber im Slopestyle. Und ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Dann, im Dezember 2018, bricht das Unheil über ihn herein. Die Diagnose: Lymphdrüsenkrebs. Die Aussichten? Nicht so rosig. Seine Diagnose macht er im Januar 2019 trotzdem öffentlich und beginnt eine Chemotherapie. Sechs Monate, 12 Sitzungen, eine alle zwei Wochen stehen da vor ihm. Er kämpft sich durch und nimmt in der Zeit der Übelkeit und des Erbrechens keine fünf Kilo ab. Irgendwann müssen jedoch seine Haare dran glauben, der Haarausfall ist einfach zu massiv.
Parrot hat Angst. Er denkt über den Tod nach, doch unweigerlich auch darüber, ob er jemals wieder aufs Snowboard zurückkehren kann. "Ich wusste einfach nicht, ob die Behandlung anschlagen oder wie mein Körper reagieren würde", erzählt er auf einer Videokonferenz vor den Olympischen Spielen: "Es gab so viel Unbekanntes. Wir haben uns einfach auf den alltäglichen Kampf konzentriert und nicht auf das große Ganze. Jeder Tag bringt Dich näher an das Ziel. Heute bin ich einfach für jeden Tag dankbar und für so viel mehr. Früher habe ich mein Leben und meine Leidenschaft für selbstverständlich gehalten." Für so selbstverständlich wie die Café Lattes, die er bis zu seiner Diagnose jeden Morgen in sich hineinstürzt und seither nicht mehr anrührt. Weil er danach kein Verlangen mehr spürt.
Nach acht Monaten ist Parrot zurück
Selbstverständlich ist in der Therapiezeit ohnehin wenig. In einer Dokumentation über Parrot mit dem passenden Namen "Max - Life as a Gold Medal" (Max, das Leben als Goldmedaille) erzählt seine Partnerin davon, wie sie ihn in den ersten Tagen der Therapie überhaupt nicht mehr wiedererkannt hat. "Da war Max und da war er dann doch nicht", sagt sie in der bewegenden 85-minütigen Doku, die gegen eine kleine Spende auf Parrots Webseite angeschaut werden kann.
Die wenigen Höhen und vielen Tiefen teilt er schon damals auf seinen Social-Media-Accounts. Weil er auch dort echt sein will, weil er zeigen will, was die Krankheit mit einem macht. Die Reaktionen darauf sind überwältigend, sagt er. Fans melden sich bei ihm, aber auch Menschen, die eine ähnliche Diagnose mit ihm teilen. Gemeinsam helfen sie sich durch die Zeit.
Nach sechs Monaten ist der Krebs auf dem Rückzug, im August 2019, zwei Monate nach seiner letzten Chemotherapie-Sitzung, steht er wieder an der Startrampe bei einem Event in Oslo - und gewinnt. "Das war ein besonderer Moment für mich, den ich nie vergessen werde", erzählt er kurz vor den Spielen in Peking der Zeitschrift "Coping": "Es war ein tolles Gefühl, mit den anderen Fahrern zu fahren, die ich ja seit Monaten nicht mehr gesehen hatte. Der Sieg war wirklich nur die Verzierung am Ende. Es ging mir nur ums Snowboarden und den Spaß haben." Den hat Parrot nun auch auf dem Siegerpodest. Er hat dem Krebs die Zunge rausstrecken können. Und dann noch Gold gewinnen können.
Quelle: ntv.de