Olympia-Vorgaben krass verfehlt Friedrich wollte 28 Goldmedaillen
10.08.2012, 20:29 Uhr
Haben ihre Vorgabe voll erfüllt: Die Kanutinnen Franziska Weber und Tina Dietze.
(Foto: dpa)
Erst als es durch eine Klage dazu gezwungen wird, veröffentlicht das Innenministerium die Medaillenvorgaben, die es den Olympioniken gemacht hat. Es kommt heraus: Gefordert waren rund doppelt so viele Medaillen wie dann erreicht wurden. Nun entbrennt eine Diskussion über die deutsche Sportförderung sowie Sinn und Unsinn solcher Vorgaben.
Der deutsche Sport hat seine selbst gesetzten Medaillenziele in London krass verfehlt. Unmittelbar vor dem großen Olympia-Finale stand fest, dass die in der internen Zielvereinbarung zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und den Fachverbänden angestrebte Anzahl von 86 Medaillen, davon 28 aus Gold, deutlich an der Realität vorbeiging. Nach mehr als 80 Prozent der 302 Entscheidungen hatte das 391-köpfige Team lediglich 38 Mal Edelmetall (10 Gold, 17 Silber, 11 Bronze) gewonnen. Die betroffenen Fachverbände müssen nun Mittelkürzungen durch das Bundesinnenministerium (BMI) befürchten.
Laut Unterlagen, die am Freitag vom BMI erstmals veröffentlicht wurden, haben von den 23 in London vertretenen Sportarten bisher lediglich Tischtennis und Kanuslalom das angepeilte Ziel erreicht. Als große Verlierer kehren vor allem die Schwimmer, Fechter und Schützen nach Hause zurück. Im Fußball, Basketball und Handball hatten sich die Deutschen erst gar nicht qualifiziert.
Die Zielvorgaben hatte das Ministerium eigentlich geheim halten wollen. Anfragen der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) beantwortete das BMI nicht. Die WAZ reichte daraufhin Klage ein, der auch stattgegeben wurde. Dennoch weigerte sich Friedrich. Erst, als das Gericht eine Strafzahlung von 10.000 Euro androhte, reagierte er: Nach Angaben der WAZ veröffentlichte das BMI die Unterlagen wenige Minuten vor Ablauf des gerichtlichen Ultimatums.
DOSB-Generaldirektor Michael Vesper verteidigte die getroffenen Vereinbarungen. "Es handelt sich hierbei um Ziele, auf die sich jeder einzelne Sportfachverband mit dem DOSB zu Beginn des olympischen Zyklus vor vier Jahren verständigt hat", sagte Vesper. "Dies als konkrete Medaillenplanwirtschaft zu interpretieren, wäre naiv und ginge an der Sachlage vorbei. Jeder, der sich im Sport auskennt, weiß, dass sich erfahrungsgemäß nur ein Teil der Jahre zuvor identifizierten Medaillenchancen realisieren lässt."
"Keine andere Wahl als zu unterschreiben"
Nach außen hatte die Dachorganisation stets kommuniziert, das Niveau von Peking mit 41 Medaillen (16 Gold, 10 Silber, 15 Bronze) und Rang fünf in der Nationenwertung halten zu wollen. "Nach dem Ausgang der Olympischen Spiele werden wir gemeinsam mit dem Sport nach einer sorgfältigen sportfachlichen Analyse die notwendigen Schlüsse für die zukünftige Sportförderung ziehen", kündigte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich an.
Die politische Diskussion hat allerdings schon begonnen. "Der DOSB kann nach den Spielen nicht zur Tagesordnung übergehen", sagte Stephan Mayer (CSU), Mitglied des Bundestags-Sportausschusses. Martin Gerster, sportpolitischer Sprecher der SPD, brachte die Idee ins Spiel, dass sich eine Gruppe unabhängig vom DOSB das Fördersystem anschaut. Forderungen nach mehr Geld erteilte Gerster eine Absage.
Bereits vor der Veröffentlichung war aus den Verbänden Kritik an den Zielvereinbarungen zu hören. Es habe harte Diskussionen statt offener Gespräche gegeben, sagte Frank Hensel, Generalsekretär des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). Konkrete Medaillenpläne seien seiner Ansicht nach unrealistisch. "Wir haben die Zielvereinbarung letztlich unterschrieben, damit wir handlungsfähig bleiben. Wir hatten keine andere Wahl", sagte Hensel in einem Zeitungsinterview.
Friedrich sieht sich bestätigt
Weil das deutsche Team vor den letzten Entscheidungen auf Peking-Niveau liegt, fühlt sich Minister Friedrich in seinem Vorgehen bestätigt. "Wir sind in vielen Sportarten gut aufgestellt, haben in vielen Sportarten Medaillen gewonnen, und ich glaube, das ist auch Tradition in Deutschland, sich so breit aufzustellen", sagte der CSU-Politiker im "ZDF-Morgenmagazin". Er sei mit dem Abschneiden "nicht unzufrieden".
Viele deutsche Sportler sehen sich im Vergleich mit anderen Nationen aber im Nachteil: "Wir setzen in Deutschland eher auf die duale Karriere, aber gerade die duale Karriere ist eher kontraproduktiv. Die Belastung der Athleten wird falsch eingeschätzt", klagte Diskus-Olympiasieger Robert Harting in der ARD. Mit seiner Forderung nach mehr Geld und anderen Strukturen steht der Berliner nicht alleine da.
Das meiste Geld für den deutschen Spitzensport kommt mit rund 130 Millionen Euro aus dem Innenministerium. Die Bundeswehr lässt sich seine Sportsoldaten zusätzlich rund 30 Millionen Euro kosten, von der Deutschen Sporthilfe kamen über die Jahre insgesamt 14,3 Millionen Euro dazu.
Quelle: ntv.de, che/dpa