Frotzelei nach Elfmeter-Krimi Hrubesch macht DFB-Heldin erstmal zur Schnecke

Berger avancierte zur Heldin des DFB-Teams.

Berger avancierte zur Heldin des DFB-Teams.

(Foto: REUTERS)

Zwei Elfmeter gehalten, den entscheidenden selbst verwandelt. Ann-Katrin Berger ist die Matchwinnerin des DFB-Teams bei den Olympischen Spielen. Das Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Kanada reißt sie phänomenal an sich. Und kassiert prompt einen Anraunzer von Trainer Horst Hrubesch.

"Er hat mich zur Schnecke gemacht." Horst Hrubesch war nach dem Krimi im Viertelfinale des Olympischen Fußball-Turniers schon wieder zu Scherzen aufgelegt. Während Torhüterin Ann-Katrin Berger von ihren Teamkolleginnen und den Fans als Matchwinnerin im entscheidenden Elfmeterschießen gegen Kanada gefeiert wurde, meckerte der Bundestrainer. "Er hat mich zur Schnecke gemacht, warum ich den dritten Elfmeter nicht gehalten habe", sagte Berger: "Er ärgert mich immer gerne. Halt doch mal die Bälle fest, hat er mir gesagt."

Berger hatte das Elfmeterschießen schon fast entschieden. Die deutsche Torfrau, die von Hrubesch vor Beginn der Olympischen Spiele den Vorzug vor der bisherigen Stammtorhüterin Merle Frohms erhalten hatte, hatte die Elfmeter von Ashley Lawrence und Adriana Leon gehalten. Fürs DFB-Team hatten Giulia Gwinn und Janina Minge eiskalt verwandelt. Aufseiten Kanadas hatte Quinn mit einem Treffer begonnen. Es stand also 2:1, ehe Berger begann, sich zur Heldin aufzuschwingen.

Deutschlands dritter Schützin, Sydney Lohmann, versagten zunächst die Nerven, ihr Schuss ging deutlich über das Tor. Weiter also, immer weiter. Und Berger machte eben da weiter, mit der Parade gegen Leon. Felicitas Rauch traf dann wieder souverän fürs DFB-Team und dann passierte Berger eben das kleine Missgeschick. Sie hatte den Schuss von Janine Beckie erahnt, hatte ihn pariert - ehe ihr der Ball aus den Händen rutschte und unter ihrem Körper durch doch noch ins Tor kullerte.

"Wenn ich den schon hab, dann kann ich ihn auch festhalten", monierte Hrubesch mit einem Lächeln. Es ging also weiter mit dem Nervenspiel, nachdem in der regulären Spielzeit und in der Verlängerung kein Tor gefallen war. Und wie! Berger schnappte sich als fünfte deutsche Schützin den Ball, legte ihn auf den Punkt. Und verwandelte.

"Manuel Neuer hat auch schon mal schießen müssen"

An den Fertigkeiten seiner neuen Nummer eins habe er keine Zweifel gehabt, auch nicht als Schützin. "Sonst hätten wir sie ja nicht schießen lassen", sagte Hrubesch. "Wer Anne kennt, weiß, dass sie schießen kann, dass sie auch Elfmeter schießen kann. Sie war eine der Ersten, die mit auf dem Zettel standen", so der 73-Jährige. "Der Manuel Neuer hat auch schon mal schießen müssen, kein Problem." Allerdings sagte die Torhüterin, die für NJ/NY Gotham FC in den USA spielt, dass es ihr erster Elfmeter überhaupt war, den sie in einem Spiel geschossen hat. "Es war ein cooles Gefühl, es hat Spaß gemacht."

Emotional scheinbar völlig unterkühlt hatte Berger agiert. Die Hände hinter dem Körper verschränkt stand sie stoisch auf der Linie. Erst während des Anlaufs der Schützin bewegte sich die 33-Jährige. Ein Lächeln, die Faust, wenn sie pariert hat. Und bei ihrem eigenen Schuss? "Als Torhüterin weiß man, auf was man achten muss. Das einzige, was dich manchmal nur in den Allerwertesten beißen kann, ist die Emotion."

Berger hat schon alles erlebt

Aber hey, es war ja nur ein Elfmeterschießen in einem K.-o.-Spiel bei den Olympischen Spielen. Kurz vor den Medaillen. Kein Grund zur Nervosität, oder? Berger hat jedenfalls schon ganz anderes erlebt. Lebenswichtiges. Bei dem sie zum Nichtstun verdammt war, abwarten musste. Völlig allein in einem Krankenhaus-Zimmer. 2017 hatte sie die Schockdiagnose Schilddrüsenkrebs erhalten, mit gerade einmal 26 Jahren. Sie hatte Tabletten mit niedrig dosiertem radioaktivem Jod geschluckt, das erkrankte Zellen des Schilddrüsengewebes absterben lässt. Weil sie aber selbst wegen der Tabletten radioaktiv strahlte, wurde sie isoliert. Die härteste Etappe der Therapie, trotz sechseinhalbstündiger Operation: "Die Radiojodtherapie war das Schlimmste von allem, weil du einfach vier Tage lang in einem Zimmer sitzt und nichts machen kannst."

2022 wiederholte sich das, der Krebs war zurückgekehrt. Sie wusste von der Diagnose bereits während der EM in England, bei der das DFB-Team Vize-Europameister geworden war. Sie hielt die niederschmetternde Wahrheit vor ihren Teamkolleginnen geheim, wollte niemanden vom Sport ablenken. Als Nummer zwei hinter Merle Frohms kam sie nicht zum Einsatz. Abreisen wollte sie aber nicht, "weil ich zu Hause verrückt geworden wäre", so die Schwäbin.

"Ich war so wütend. Ich hatte doch alles richtig gemacht: wenig Zucker, kein Alkohol, ausreichend Schlaf, viel Bewegung. Ich war super diszipliniert - und dann kriege ich wieder Krebs. Es hat sich zutiefst ungerecht und gemein und unfair angefühlt", sagte sie dem "Stern". Nach der erfolgreichen EM folgte wieder die Therapie in der Einsamkeit, wieder das bange Warten, dass sie anschlägt.

Zwei Spiele bis zur Medaille

Was soll sie da so ein Elfmeterschießen nervös machen? Und auch im Halbfinale hat Berger nichts zu verlieren. Wieder muss das DFB-Team gegen die USA ran, in der Gruppenphase hatten die Amerikanerinnen die Deutschen mit 4:1 eine deutliche Niederlage beigefügt. Auch, weil Berger gepatzt und das zweite Gegentor verursacht hatte. Auch gegen Sambia war sie im dritten Gruppenspiel nicht fehlerfrei geblieben - und doch ließ Hrubesch keine Diskussion an seiner Wahl der Nummer eins aufkommen.

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Gibt es nun die Revanche gegen die USA (Dienstag, 18 Uhr, ARD, Eurosport und im ntv.de-Liveticker)? Für Hrubesch sind sie neben den Weltmeisterinnen aus Spanien die Topfavoriten auf Gold. Aber gibt es wirklich den Klassenunterschied, den das Ergebnis vermuten lässt? Nicht für Gwinn: "Es hat nicht unbedingt die viel bessere Mannschaft gewonnen, sondern die effektivere." Das gilt es im Halbfinale zu ändern. Auch wenn das DFB-Team auch gegen Kanada wieder vielversprechende Chancen auf die Führung gab. Noch in der 113. Minute hätte Lohmann alles klar machen können, ihr Kopfball traf aber nur die Latte.

Mit dem Einzug ins Halbfinale haben die DFB-Frauen die Rente ihres Trainers ganz nebenbei erneut verschoben. Der Interims-Bundestrainer darf nun die volle Zeit der Olympischen Spiele genießen. Denn die Ausgangslage ist vielversprechend für das DFB-Team. Ein Sieg aus zwei Spielen muss her, dann gibt es die ersehnte Medaille.

Quelle: ntv.de

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