Chinas Politisierung von Olympia Mao glänzt auf dem Podium
06.08.2021, 19:32 Uhr
Bao Shanju und Zhong Tianshi begeisterten die Regierung in China nicht nur sportlich.
(Foto: picture alliance/dpa)
China verurteilt die Politisierung Olympias. Staatliche Medien wettern aber zugleich gegen Amerikaner oder loben ihre Athleten, wenn diese öffentlich Mao Zedong huldigen. Teilnehmer aus Hongkong und Taiwan werden beschimpft. Der Zorn kann sich auch gegen eigene Sportler richten.
Als Großer Steuermann, zu dem er einst erkoren wurde, hätte Chinas verstorbener Staatsgründer Mao Zedong vielleicht eine Siegerehrung für den chinesischen Ruder-Achter bevorzugt. So aber kaperten die beiden Bahnrad-Sprinterinnen Bao Shanju und Zhong Tianshi nach ihrem Goldtriumph sein Antlitz. Die beiden Athletinnen hatten zur Medaillenzeremonie jeweils einen Sticker an die Brust geheftet, der das Konterfei Maos zeigte - klein, aber aus der Nähe deutlich erkennbar.
Die Sticker entzündeten eine Kontroverse, weil sie als politisches Symbol vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) als Verstoß gegen Artikel 50 der olympischen Charta hätten bestraft werden können. Das IOC forderte eine Stellungnahme der chinesischen Mannschaft an und entschied sich schließlich gegen eine Sanktionierung. Die chinesische Teamleitung hatte versprochen, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholen wird.
Vielleicht fühlten sich die Bahnradfahrerinnen zu ihrer Aktion ermutigt, weil auch die US-Kugelstoßerin Raven Saunders ungestraft davon gekommen war, nachdem sie bei der Siegerehrung ihre Arme über dem Kopf gekreuzt hatte. Sie habe die Geste als Unterstützung "der Unterdrückten" gemeint, erklärte sie später. Ein Dilemma für das IOC, das der Ehrerweisung für einen brutalen Diktator wie Mao, der mit seiner Politik Millionen Menschenleben auf dem Gewissen hatte, die gleiche Nachsicht zuteil werden lassen musste wie der Unterstützung einer gesellschaftlichen Bewegung, die weitgehend als Symbol gegen die Ungleichheit in der Welt wahrgenommen wird.
Kontroverse um ein Wettkampffoto
In der Volksrepublik jedenfalls wurde die Geste wohlwollend aufgenommen, obwohl die Regierung so oft wie keine andere in der Welt gebetsmühlenartig wiederholt, dass sie eine Politisierung des Sports strikt ablehne. Das tat sie schon 2008, als sie selbst Ausrichter der Sommerspiele war. Das Nachrichtenportal Cankao Xiaoxi beispielsweise pries die Aktion als gelungen. Das Portal ist angebunden an die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua und hat vor allem Funktionäre der Kommunistischen Partei als Zielgruppe. Angesichts des engen Korsetts, in das auch staatliche Medien in China gezwängt werden, ist es nahezu unmöglich, dass der Widerspruch zur eigenen Maxime versehentlich durchgerutscht ist.
Es scheint fast so, als solle der Grundsatz der Nicht-Politisierung eher für alle anderen gelten als für die Volksrepublik China. Vergangene Woche wetterte die chinesische Botschaft in Sri Lanka gegen ein Foto der Nachrichtenagentur Reuters, das eine chinesische Gewichtheberin im Moment großer Kraftanstrengung und verzerrtem Gesicht zeigte. Die Diplomaten erkannten böswillige Absicht, wohl um Chinas Sportler absichtlich unvorteilhaft aussehen zu lassen, wenn sie schon so viele Medaillen gewinnen - eine politisch motivierte Breitseite gegen ein westliches Medium, das wie viele andere für seine Berichterstattung über die Volksrepublik China von chinesischer Seite kritisiert wird.
Auch die staatliche chinesische Tageszeitung Global Times konnte sich einen politischen Seitenhieb in Richtung der USA nicht verkneifen, als sie die US-Niederlage gegen Frankreich im Basketball vergangene Woche als Symbol für die Entwicklung der globalen Kräfteverhältnisse interpretierte. Es sei Zeit, dass die US-Amerikaner aus ihrem Traum der Unbesiegbarkeit aufwachen, lautete der Appell. "Vielleicht können die Vereinigten Staaten noch in Anspruch nehmen, dass ihre Profiliga das höchste Level des Basketballs repräsentiert. Aber sie sollten sich im Klaren sein, dass die Welt schnell aufholt und sich die Lücke schneller schließen wird, als sie sich das vorstellen können", hieß es.
"Mein Land, Taiwan"
Dabei hätten die Chinesen solche Spitzen aus rein sportlicher Sicht gar nicht nötig, wenn man sich den Medaillenspiegel der Tokio-Spiele anschaut. Das Land steht ganz vorne mit den meisten gewonnenen Goldmedaillen. Schon seit 2008 macht China den US-Amerikanern regelmäßig erfolgreich den Spitzenplatz streitig.
Es befinden sich jedoch nicht alle im Siegesrausch. Chinesische Analysten kommen in staatlichen Medien zu Wort, die betonen, dass Medaillen nicht alles sind. Es gehe stattdessen um Hoffnung für die Zukunft und die Einigkeit der Welt. Doch immer schon war der Sport für Weltmächte eine Bühne zum Kräftemessen der Systeme. Sowohl in Zeiten des Kalten Krieges, als die USA und die Sowjetunion sich noch unerbittliche Wettkämpfe lieferten, als auch heutzutage.
Wie sensibel politische Äußerungen bei den Olympischen Spielen in China aufgenommen werden, wenn sie den nationalen Interessen des Landes zuwiderlaufen, zeigen derweil die wütenden Beschimpfungen gegen das taiwanische Badminton-Doppel Lee Yang und Wang Chi-lin. Im Finale hatten die Taiwaner gegen ein chinesisches Doppel gespielt und gewonnen. Bei der Siegerehrung wehte weder die taiwanische Nationalflagge noch erklang die Nationalhymne. Stattdessen müssen sich taiwanische Athleten mit einer neutralen Fahne und Hymne begnügen - ein Kompromiss zwischen IOC und Peking. Olympiasieger Lee widmete die Goldmedaille daraufhin "meinem Land, Taiwan." Chinesische Nationalisten wetterten gegen die Athleten wegen deren Patriotismus.
"Solltest du Nike nicht boykottieren?"
Rechtfertigen musste sich auch der Hongkonger Badminton-Spieler Angus Ng Ka-long, der zum Wettkampf ein schwarzes T-Shirt getragen hatte, statt das offizielle Trikot der Hongkonger Mannschaft. Dieses trägt das Logo der Hongkong Special Adminstrative Region (HKSAR), einem Symbol für die Zugehörigkeit der Stadt zur Volksrepublik China. Auf Ngs Oberteil hatte er lediglich seinen Namen drucken lassen. Die Zeit sei zu knapp gewesen, auch noch das HKSAR-Logo zuzufügen, erklärte er. Schwarze Kleidung war während der Massenproteste in Hongkong gegen Chinas wachsenden Einfluss als Zeichen der Einigkeit unter den Demonstranten beliebt. Entsprechend wütend forderten die chinesischen Nationalisten, einer wie Ng sollte gar nicht bei den Olympische Spielen antreten dürfen.
Der Zorn kann sich in Einzelfällen aber auch gegen die Athleten des eigenen Landes richten, wie das Tischtennis-Mixed Liu Shiwen und Xu Xin nach ihrer Finalniederlage gegen den Erzrivalen Japan feststellen mussten. Sie hätten die Nation im Stich gelassen, lautete der Tenor in Teilen der Sozialen Medien. Auch die unterlegenen Badminton-Spieler, die gegen das taiwanische Doppel verloren hatten, wurden zur Zielscheibe des Ärgers. Das mag nicht zwingend die Haltung einer Mehrheit widerspiegeln. Doch die pure Existenz solcher Äußerungen zeigt, dass hier Patriotismus vor Sportsgeist kommt.
Die Schützin Wang Luyao, die mit der Luftpistole das Finale verpasst hatte, musste sich in einigen Kommentaren sogar die Frage gefallen lassen: "Haben wir dich zu den Olympischen Spielen geschickt, damit du schwach bist?", schrieb der BBC zufolge ein Nutzer auf der Sozialplattform Weibo. Ihrer Teamkollegin Yang Qian, die im Schießen das erste Gold für China in Tokio gewann, wurde trotz ihres Sieges ein Foto zum Vorwurf gemacht, auf dem sie ihre Schuhe des US-Sportartikelherstellers Nike zur Schau gestellt hatte. Nike hatte angekündigt, Baumwolle aus Xinjiang wegen Vorwürfen der Zwangsarbeit gegen deren Produzenten nicht mehr verwenden zu wollen. "Solltest du als chinesische Athletin nicht vorangehen und Nike boykottieren?" Yang hatte das Foto daraufhin gelöscht.
Quelle: ntv.de