Zwei Schritte zur Unsterblichkeit Olympia schrumpft zur Bolt-Show
15.08.2016, 09:42 Uhr
Erstes Rennen, erste Show, erstes Gold: Über 100 Meter schreibt Usain Bolt nicht nur Geschichte. Er schrumpft die Konkurrenz und schraubt den bizarren Bolt-Kult in neue Höhen. Wohin seine Mission führen soll, verrät er auch.
Kürzester Wettkampf, größtes Spektakel, das galt für die 100 Meter bei Olympischen Spielen schon immer. Usain Bolt hat das Tamtam um die schnellsten Männer der Welt nochmal in neue Dimensionen geführt, seit er 2008 in Peking mit offenen Schnürsenkeln und Weltrekord zum ersten Olympiagold spaziert war. In Rio de Janeiro reichten ihm 9,81 Sekunden, um Olympia erneut zur Kulisse seiner persönlichen Bolt-Gold-Show zu schrumpfen. Er selbst fand nach dem 100-Meter-Finale: "Es war brillant."
Was dem Sprint-Phänomen aus Jamaika nach seinem historischen Gold-Hattrick auf der Ehrenrunde im ausverkauften Olympiastadion entgegenschlug, war nicht weniger als Heldenverehrung. Ein Triumphzug mit Fahne um den Schultern, Olympia-Maskottchen Vinicius unterm Arm, Selfies mit nun sicher auf ewig glückseligen Fans. Und zwischendurch seine Pose des Blitzeschleuderers, sie entlockte dem euphorieschwangeren Publikum spitze Freudenschreie.
Bolt kritisiert Organisatoren für "dämliche Idee"
"Die Leute waren wundervoll, die Energie war großartig", sagte Bolt später auf der Pressekonferenz. Nur die Buhrufe für seinen US-Rivalen Justin Gatlin vor dem Start hätten ihn geschockt, "ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll". Und natürlich die Entscheidung der Organisatoren, das Finale nur 80 Minuten nach dem Halbfinale anzusetzen, "wirklich dämlich".
Als der nun siebenfache Olympiasieger aufs Podium spaziert war, hatte ihn Applaus empfangen. Er dankte mit Siegerposen ins Publikum. Gebe es Goldmedaillen für das Spiel mit den Kameras, den Fans, auch den Medien, Bolt wäre ebenfalls mehrfacher Olympiasieger. Vor dem Start verwandelte sich das Olympiastadion in ein Meer aus Blitzlichtern und gezückten Handys, die Pressetribüne war keine Ausnahme.
Sprinter würden 365 Tage im Jahr arbeiten, um dann "für neun Sekunden hier zu sein", bemerkte der deklassierte Gatlin nach dem Rennen. Aber genau diese Sekunden wollten viele im Stadion nicht nur erleben, sondern mitnehmen. Der 400-Meter-Fabelweltrekord des Südafrikaners Wayde van Niekerk, der die 17 Jahre alte Bestmarke von Michael Johnson (USA) in Bolt-Manier um unglaubliche 0,15 Sekunden auf 43,03 Sekunden gedrückt hatte, war nur die Ouvertüre für den Auftritt des Meisters.
Die Bolt-Show vor, im und nach dem 100-Meter-Finale mutierte zur nächsten Stufe des bizarren Kults, der mit seiner Pressekonferenz samt Samba-Einlage nur einen vorläufigen Höhepunkt erreicht hatte. Fast hätte man erwartet, Rios berühmte Christusstatue auf dem Corcovado am Finaltag plötzlich in Bolts Blitzpose statt mit ausgebreiteten Armen zu sehen. Stattdessen marschierte Bolt ein wie Christus, die Hände erst vor der Brust gefaltet, dann weit ausgebreitet. Usain, der Erlöser? Usain, der Entertainer. Das Stadion wurde zum Zirkus, die Leute wollten Spektakel und Bolt spielte mit. Olympia in Rio, das bedeutete dank Bolt zum ersten Mal auch Glamour.
"Meine schwächste Strecke"
Doch bei allem Bohei, bei aller Überhöhung: Bolt lieferte auf der Bahn. Er werde in Rio kein Gold verlieren, hatte er angekündigt. Über 100 Meter, "seine schwächste Strecke", hielt er schon mal Wort. Es wirkte fast spielerisch.9,81 Sekunden, das klingt gemessen am Bolt-Standard durchwachsen, sein Weltrekord liegt bei absurden 9,58 Sekunden. Aber 9,81 Sekunden bedeutete trotz des engen Zeitplans mit Halbfinals und Finale binnen anderthalb Stunden einen so komfortablen Vorsprung auf Gatlin, dass Bolt das Rennen austrudeln lassen konnte.
Der 34-jährige US-Amerikaner Gatlin, Olympiasieger von 2004, zweimal wegen Dopings gesperrt und hochumstritten, konnte die ihm zugedachte Rolle als großer Herausforderer nicht annähernd ausfüllen. Gut 85 Meter sahen die Zuschauer zwar ein Rennen, das Gatlin nach explosivem Start anführte. Aber da war Bolt längst klar, es würde nur einen Sieger geben: Usain Bolt.
"Ich weiß, dass ich einen schlechten Start hatte, aber ich hab mir gesagt: Keine Panik, lass dir Zeit", analysierte er sein Rennen so lässig, wie er es letztlich gewann. Nach 50 Metern habe er gewusst "ich werde sie kriegen". Als er nach 85 Metern mit seinen raumgreifenden Schritten vorbeizog, schienen Gatlin und Co. fast zu stehen. Der US-Amerikaner rettete immerhin Silber ins Ziel vor dem Kanadier Andre De Grasse (9,91 Sekunden). Sie waren die schnellsten Statisten beim ersten Teil von Bolts Gold-Mission.
Die soll enden wie in Peking und London, mit dem Gold-Triple aus 100 Metern, 200 Metern und der 4x100-Meter-Staffel. "Es ist ein guter Start. Es wird immer Zweifler geben, aber ich bin in besserer Form als letzte Saison", findet Bolt. Nach den Goldmedaillen Nummer 4 bis 6 hatte er sich in London schon selbst zur Legende erklärt. Auf die Frage, was Nummer 7 bis 9 als Triple-Triple bedeuten würden, antwortete er nun in Rio mit Bolt'scher Bescheidenheit: "Irgendjemand hat gesagt, wenn ich dreimal Gold gewinne, werde ich unsterblich sein. Das hat mir gefallen."
Quelle: ntv.de