"Der Fünfziger macht Männer!" Russland triumphiert, Lesser übergibt sich

"Ich hatte Krämpfe, es war hart - aber ich würde es wieder machen": Erik Lesser nach seinem ersten offiziellen "Fuffziger".

"Ich hatte Krämpfe, es war hart - aber ich würde es wieder machen": Erik Lesser nach seinem ersten offiziellen "Fuffziger".

(Foto: dpa)

Gastgeber Russland räumt im olympischen Ski-Höllenritt über 50 Kilometer alle Medaillen ab, angeführt von Alexander Legkow. Hinten im Feld leiden zwei deutsche Gaststarter: Falsches Wachs, Krämpfe, Würgereiz, alles ist dabei. Ins Ziel kommen sie dennoch.

Arnd Peiffer kam auf dem respektablen 40. Platz ins Ziel.

Arnd Peiffer kam auf dem respektablen 40. Platz ins Ziel.

(Foto: dpa)

Als sich Arnd Peiffer zum wiederholten Male übergeben hatte, wurde ihm der Irrwitz seines olympischen Abenteuers bewusst. "Ich habe gedacht: Meine Güte, Du könntest jetzt so schön im Bett liegen", sagte der zweimalige Biathlon-Weltmeister, nachdem er sich gemeinsam mit Erik Lesser als "Gast" durch den olympischen Skilanglauf-Marathon gequält hatte - 16 Stunden nach dem gemeinsamen Staffel-Silber mit der Waffe.

Für den gefürchteten Fünfziger waren kurzfristig zwei Startplätze zu haben gewesen, Lesser und Peiffer griffen ohne großes Nachdenken zu: "So eine Chance lässt man sich nicht entgehen", sagte Lesser. Beide verzichteten am Vorabend auf die Medaillen-Fete mit ihren Kollegen und quälten sich als 40. (Peiffer) und 42. (Lesser) tapfer über die brutale Distanz - auch wenn sich der Körper wehrte und sich die Techniker verwachst hatten.

"Ich hatte Krämpfe, es war hart - aber ich würde es wieder machen", sagte Lesser, der im Biathlon-Einzel Silber geholt hatte. Im Vergleich mit den Topstars der Loipe war er wie Peiffer zwar chancenlos, aber zumindest kaum später im Ziel als die beiden deutschen Spezialisten. Thomas Bing wurde 36., Ex-Weltmeister Axel Teichmann war als 39. mit 4:08 Minuten Rückstand in seinem letzten Rennen eher Fremdenführer für die Biathlon-Gäste, die er verbal adelte: "Der Fünfziger macht Männer!"

Russisches Podium: Alexander Legkow führte den Olympia-Gastgeber zum ultimativen Triumph in der Königsdisziplin.

Russisches Podium: Alexander Legkow führte den Olympia-Gastgeber zum ultimativen Triumph in der Königsdisziplin.

(Foto: dpa)

Die Medaillen in der Königsdisziplin auf Langlauf-Skiern gingen alle nach Russland. Alexander Legkow siegte vor seinen Landsleuten Maxim Wylegschanin und Ilja Tschernussow. Doppel-Olympiasieger Dario Cologna aus der Schweiz büßte  seine Chance auf das dritte Gold in Sotschi durch einen Skibruch bei Kilometer 48 ein. Mit dem zwölften Gold hat sich Gastgeber Russland vorzeitig Platz eins im Medaillenspiegel gesichert. Für die Russen ist es der erste Sieg in der Länderwertung seit 20 Jahren.

Höllenritt durch die kaukasischen Wälder

An olympische Ehren dachten die Biathlon-Gaststarter im Ski-Marathon nie. Im Gegenteil: Dass es ein Höllenritt durch die kaukasischen Wälder werden würde, ahnte Peiffer bereits vor dem Start. "Wir werden wahrscheinlich unendliches Leid erfahren", sagte der 26-Jährige, der bereits Ende Dezember beim Prolog der Tour de Ski in Oberhof ein Langlauf-Gastspiel gegeben hatte - mit Platz 66 über 4,5 Kilometer.

Biathleten, die sich unter die Spezialisten mischen, sind keine Seltenheit. Rekord-Olympiasieger Ole Einar Björndalen hat neben seinen 93 Siegen im Biathlon-Weltcup auch einen im 15-Kilometer-Langlauf auf dem Konto. Sein norwegischer Landsmann Lars Berger wurde 2007 Weltmeister über die gleiche Distanz. Miriam Gössner holte 2010 olympisches Staffel-Silber.

Bei Olympia den brutalen Fünfziger für einen Abstecher in fremdes Metier zu wählen, ist allerdings praktisch ein Novum. Zumal Lesser und Peiffer die Herausforderung recht unbedarft angingen. "Mein erster Fuffziger war letztes Jahr mit einem Kumpel in Oberhof. Wir haben aber nach 30 Kilometern am Schneekopf eine Pause mit Essen und Getränken gemacht", sagte Lesser augenzwinkernd: "Dieses Jahr habe ich einmal 60 Kilometer gemacht, aber nicht im Wettkampftempo. Das ist doch eine ganz gute Basis, oder?"

"Eine Ehre, mit Axel zu laufen"

Sie war leidlich gut: Lesser, dessen Großvater Axel 1972 Olympia-Zwölfter im 30-Kilometer-Langlauf war, musste nach einem Sturz bei Kilometer zwei abreißen lassen, schloss wieder auf und tummelte sich fortan mit Peiffer und Ex-Weltmeister Teichmann am Ende des Feldes. Nach 30 Kilometern wurde es vorne schnell, die Biathlon-Gäste und Langlauf-Altstar Teichmann liefen bis ins Ziel als "Gruppetto" hinterher. "Es war eine Ehre, mit Axel in seinem letzten Rennen zu laufen", sagte Peiffer.

Ihre persönliche Marathon-Erfahrung haben Lesser und Peiffer gemacht, dennoch stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Maßnahme. Die Tatsache, dass deutsche Langläufer in einem olympischen Rennen nur die Hälfte der zustehenden Startplätze aus dem eigenen Lager besetzen können, ist ein verheerendes Signal - ausgerechnet im letzten Wettkampf, der in der öffentlichen Wahrnehmung haften bleibt.

Verständlich ist, dass beide Biathleten die Gelegenheit nutzen wollten. "Was kann uns Schlimmeres passieren, als Letzter zu werden?", meinte Peiffer. Aber ist dies der olympische Anspruch einer Langlauf-Nation, die sich in der Weltklasse sieht?

Quelle: ntv.de, cwo/sid

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