Zur Olympia-Halbzeit ist die Kritik verstummt Wladimir Putins Sotschi-Inszenierung
15.02.2014, 17:00 Uhr
Jahrelang arbeitete Putin am Projekt Olympia. Nun genießt der die Spiele.
(Foto: dpa)
Ein Überraschungsbesuch hier, ein paar Scherze dort. Kreml-Chef Putin genießt die Zeit in Sotschi. Auch die Russen lieben ihre Spiele, die Kritik aus dem Westen ist viel leiser geworden. Doch die wirtschaftliche Lage des Landes wirft einen Schatten auf Olympia.
Russlands Präsident Wladimir Putin ist ganz in seinem Element. Locker, witzig und weltoffen - so gibt sich der Kreml-Chef in Sotschi. Der Eishockey-Fan besucht das Kanada-Haus. Er würdigt die Nordamerikaner als große Eishockey-Nation, die in Russland Millionen Verehrer habe.
"Wir sind glücklich, unsere Idole hier in Russland zu sehen. Ich wünsche Euch viel Erfolg bei Olympia, das betrifft allerdings nicht alle Spiele …", scherzt Putin. Die letzten Worte gehen im Lachen unter, bevor er ein paar gestrickte Fausthandschuhe mit einem Ahorn-Blatt geschenkt bekommt. Ein Endspiel Russland gegen Kanada, das wär's, nicht nur für Putin.
Ja, es sind seine Spiele - lange hat er darauf hingearbeitet. Putin hat die Planung von Sotschi über zehn Jahre vorangetrieben. Nun genießt er diese Tage, mal als locker plaudernder Überraschungsgast bei den Sportlern, mal als Fan im roten Overall im Stadion, zwischendurch ein bisschen Politik in Sotschi, wenn nötig aber auch in Moskau.
Bilder aus der Konserve
Die Russen haben es doch noch geschafft, Sotschi in der ersten Woche der Spiele ein positives Image zu verpassen. Korruption, Umweltzerstörung, schlechte Unterkünfte, Terror-Angst - die Kritiker sind für den Moment weitgehend verstummt. Reporter, die vor einer Woche noch die Mängel in den manchmal erst halbfertigen Hotels anprangerten, berichten inzwischen über die gute Organisation in Sotschi. Auch die aus Angst vor islamistischen Terror-Anschlägen eingeführten extremen Sicherheitsmaßnahmen werden von Teilnehmern der Spiele als relativ dezent wahrgenommen.
Russland inszeniert sich viel weniger als bombastisch-patriotische Großmacht als viele befürchtet hatten. Und auch Putin gibt nicht den omnipräsenten Macho-Präsidenten. Im russischen Fernsehen feiert sich das Land dennoch patriotisch. Putin wird für das eigene Volk selbst dann in Szene gesetzt, wenn er sich eigentlich im Hintergrund aufhält. Zudem darf das russische Fernsehvolk nicht alles sehen. So war die Eröffnungs-Panne bei der Entzündung des fünften Olympiarings in der Live-Berichterstattung hinter Bildern aus der Generalprobe versteckt. Eine Kleinigkeit und nicht weiter dramatisch.
Weit schwerer wiegt, dass die Zuschauer nicht erfahren, dass Umweltaktivist und Olympia-Gegner Jewgeni Witischko am Mittwoch zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. Er soll öffentlich gegen den Austragungsort Sotschi gewettert und den Zaun des Gouverneurs-Anwesens gewaltsam beschädigt haben.
Die Wirtschaft schwächelt
Die Außendarstellung der Olympischen Spiele kommt beim russischen Publikum durchaus an. Die viele Häme aus dem Westen hatte hier ohnehin viele Menschen verletzt. Für die Boykottaufrufe wegen des repressiven Gesetzes, das die Propagierung von Homosexualität in der Öffentlichkeit unter Strafe stellt, hatten die Wenigstens Verständnis. Gerade mal elf Prozent der Russen glauben, dass die erste Reihe der westlichen Politiker aus diesem Grund den Spielen fern bleibt.
In den Augen der meisten Russen ist Sotschi bislang ein Erfolg. Selbst dass die Stadien an den ersten Tagen nur halbvoll waren, haben sie inzwischen in den Griff bekommen. Im Zentrum von Moskau gab es Mitte der Woche lange Schlangen vor den Ticket-Countern, die mit Eintrittskarten für die Entscheidungen an diesem Wochenende warben.
Trotzdem treibt viele Menschen die Sorge um, dass die Spiele zu teuer sind und das große Erwachen noch kommen werde. Erste Vorboten dafür gibt es bereits. Der Rubel steht seit Jahresbeginn unter großem Druck. Die Wirtschaft, die sehr lange vom Öl- und Gasboom der letzten Jahre profitiert hat, wächst bei weitem nicht mehr so dynamisch wie in den ersten beiden Amtszeiten Putins. Auch der weiß das und fliegt aus Sotschi immer wieder mal zurück nach Moskau.
Fehlen nur noch Medaillen
Am Mittwoch nahm sich Putin die Regierung zur Brust und kritisierte Premierminister und Ex-Präsident Dmitri Medwedew. Mit zuletzt nur noch 1,6 Prozent Wachstum wird Putin weder seine Wahlversprechen einhalten noch die Milliarden-Ausgaben für Sotschi einlösen können. Doch mit den Schatten, die Sotschi noch verbreiten könnte, wollen sich viele Russen erst später beschäftigen.
Jetzt geht es erst einmal in die zweite Olympia-Woche. Die Russen hoffen, dass in den nächsten Tagen endlich ein paar Medaillen dazugekommen. Bislang nimmt der Gastgeber mit nur zwei Goldmedaillen lediglich Platz Acht in der Nationen-Wertung ein. Das ist zu wenig. Viel zu wenig.
Wenn es am Ende im Eishockey klappt und die "Sbornaja ", wie die Nationalmannschaft genannt wird, die Goldmedaille holt - womöglich dann auch noch gegen Kanada - dann wäre Sotschi für Russland am Ende wirklich das ganz große Ding, auch sportlich.
Quelle: ntv.de