Technik

Vollständig lokale InfrastrukturUkraine entwickelt eigenes KI-Modell für zivilen und militärischen Einsatz

03.12.2025, 19:08 Uhr
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Für ihre Künstliche Intelligenz erhebt die Ukraine Daten bei über 90 staatlichen Institutionen. (Foto: IMAGO/Christian Ohde)

Die ukrainische Regierung und der führende Telekommunikationsanbieter des Landes starten ein Projekt, dessen Ziel ein KI-Modell für den zivilen und militärischen Sektor ist. Es basiert zunächst auf Googles Open-Source-Modell Gemma, soll aber schon bald eigenständig mit vollständig lokaler Infrastruktur arbeiten.

Was für Deutschland unmöglich zu sein scheint, geht die Ukraine einfach an: Das Land entwickelt ein KI-Modell, das künftig unabhängig von ausländischen Unternehmen Aufgaben im zivilen und militärischen Sektor übernehmen soll. Reuters berichtet, das große Sprachmodell (Large Language Model/LLM) werde zunächst auf einem quelloffenen Gemma-Modell von Google basieren. Zunächst sollten auch für das Training des LLM die Server des Unternehmens dienen, bevor es vollständig auf lokale Infrastruktur umgestellt werde. Die operative Leitung hat Kyivstar, das führende Telekommunikationsunternehmen der Ukraine.

Militär plant tiefe Integration

Die Ukraine wolle ihr eigenes KI-Modell entwickeln, anstatt Millionen von Dollar an ausländische Unternehmen zu zahlen, sagt der stellvertretende Digitalisierungsminister Oleksandr Bornyakov. Man habe bewusst proprietäre Systeme wie ChatGPT von OpenAI vermieden. Chinesische LLM-Systeme wie DeepSeek und Qwen seien ebenfalls abgelehnt worden. Ein Grund dafür sei, dass das ukrainische Militär die KI in die Gefechtsfeldführungssysteme zur Truppenkoordination und Feindüberwachung zu integrieren beabsichtige.

KI kommt schon jetzt bei der Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg zum Einsatz, doch von Unabhängigkeit kann hier bisher keine Rede sein. Der ukrainische Digitalisierungsminister Mychajlo Fjodorow sagte im August, das Militär setze KI für die Luft- und Satellitenaufklärung sowie die Drohnensteuerung ein. Werkzeuge des US-amerikanischen Unternehmens Palantir Technologies helfen bei der Analyse russischer Angriffe, der Überwachung von Desinformationskampagnen und der Festlegung von Prioritäten für die Minenräumung.

Google schlägt Llama

"Die Wahl von Gemma für das ukrainische LLM bietet uns das beste Verhältnis zwischen Leistung und Ressourceneinsatz sowie eine qualitativ hochwertige Ausbildung", sagt Mykhailo Nestor, Direktor für digitale Produktentwicklung bei Kyivstar . "Das Modell unterstützt über 140 Sprachen, darunter Ukrainisch, verfügt über ein Kontextfenster von bis zu 128.000 Tokens, bietet multimodale Funktionen und eine flexible Architektur, die sich an verschiedene Aufgaben anpassen lässt."

Google sei nach eingehender Prüfung auch ausgewählt worden, "da es die technologischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Ukraine und den Vereinigten Staaten stärkt – Beziehungen, die durch den Nasdaq-Börsengang von Kyivstar im August 2025 noch weiter vertieft wurden", teilte Kyivstar außerdem mit. Auch die KI-Modelle von Llama (Meta) und dem französischen Unternehmen Mistral seien in der engeren Wahl gewesen, schreibt Reuters mit Verweis auf "mit der Angelegenheit vertrauten Quellen".

Dialekte überfordern bestehende KI-Modelle

Das Projekt sei unter anderem aus Kommunikationslücken entstanden, die aktuelle KI-Systeme beeinträchtigten, sagt Vize-Digitalisierungsminister Bornyakov. Wenn er mit Menschen aus seiner Heimatstadt Bolhrad in der Oblast Odessa spreche, verwendeten diese eine Mischung aus Ukrainisch, Russisch und Bulgarisch – einem Dialekt, mit dem bestehende KI-Modelle nur schwer umgehen könnten.

"Sobald man mit dem produktiven Einsatz von Anwendungen beginnt, stößt man sehr schnell auf Grenzen", erklärt Misha Nestor, Chief Product Officer von Kyivstar und Projektleiter. Als Beispiele nennt er Übersetzungsfehler in juristischen Dokumenten und KI-generierte "Halluzinationen".

Russische Angriffe erwartet

Für das Training des ukrainischen LLM werden bereits Daten bei über 90 staatlichen Institutionen erhoben. Unter ihnen sind Gerichtsregister, Bildungsverlage, Regionalarchive und Aufzeichnungen über russische Aktionen während des andauernden Krieges. Wann der Start des Modells geplant ist, verraten die Beteiligten aus guten Gründen nicht. "Wir gehen davon aus, dass es unmittelbar nach der Veröffentlichung angegriffen wird", so Bornyakov. Auch andere KI-Dienste seien offenbar bereits Ziel von Attacken gewesen.

Auch ein Name wird für das LLM noch gesucht. Das Ministerium für digitale Transformation bittet um Vorschläge, die man noch bis zum 5. Dezember auf Instagram einreichen kann.

Kyivstar, das im August als erstes ukrainisches Unternehmen an einer US-Börse notiert wurde, hat mehr als 3.500 Notstromaggregate installiert, um den Betrieb angesichts der zunehmenden russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur zu stabilisieren.

Das fertige KI-System soll zunächst Regierungsanwendungen und die Plattformen von Kyivstar unterstützen, bevor es auf den Privatsektor ausgeweitet wird. Offizielle Stellen erklären, das Projekt zeige, wie kleinere Nationen offene Technologien nutzen könnten, um strategische Unabhängigkeit im Bereich KI zu erlangen und so der Abhängigkeit von dominanten ausländischen Systemen entgegenzuwirken.

Quelle: ntv.de, kwe/rts

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