Russischer Albtraum Welche ukrainische Drohne fliegt über 1200 Kilometer weit?


Angriffe auf Ziele in der russischen Teilrepublik Tatarstan zeigen, dass die Ukraine über Kampfdrohnen verfügt, die mehr als 1200 Kilometer weit fliegen können. Handelt es sich dabei um speziell entwickelte Drohnen oder "einfach" nur um umgebaute Sportflugzeuge?
Die Ukraine hat offenbar erfolgreich mit unbemannten Flugzeugen eine Drohnenfabrik und eine Öl-Raffinerie in der russischen Teilrepublik Tatarstan angegriffen, mehr als 1200 Kilometer hinter der Frontlinie. Das Institute for the Study of War (ISW) nennt dies einen bedeutenden Fortschritt der ukrainischen Fähigkeiten, weitreichende Angriffe tief im Feindesland durchzuführen. Möglicherweise setzt Kiew dafür Drohnen ein, die der staatliche Rüstungskonzern Ukroboronprom seit vergangenem November angeblich in Massen produziert. Es könnte sich aber auch um umgebaute Sportflugzeuge handeln.

Das ist alles, was Ukroboronprom bisher von der geheimnisvollen neuen Kampfdrohne gezeigt hat.
(Foto: Ukroboronprom)
Bereits im Oktober 2022 hatte Ukroboronprom auf Facebook geschrieben, man entwickle eine Flugdrohne mit rund 1000 Kilometern Reichweite und einer Tragkraft von etwa 75 Kilogramm. Laut Reuters führte das Unternehmen bereits 2020 einen erfolgreichen Versuch durch. Vergangenen November gab es dann bekannt, die Massenproduktion gestartet zu haben.
In einem Interview sagte Ukroboronproms Generaldirektor Herman Smetanin, die Drohnen hätten bereits russische Ziele getroffen, die weiteste gemessene Distanz habe 1000 Kilometer betragen. Der Minister für digitale Transformation, Mychajlo Fedorow, bestätigte am Montag in einem Interview mit der "Welt" die Existenz solcher Drohnen.
Bis auf das Foto eines Bauteils, das eine Motorhaube darstellen könnte, hat der Hersteller bisher keine Bilder der neuen Langstrecken-Drohne gezeigt. Sie ähnelt offenbar aber kaum den Shahed-Drohnen, mit denen Russland fast tagtäglich die ukrainische Bevölkerung terrorisiert. Man arbeite an komplexeren und teureren Projekten mit höherer Leistung, längerer Laufzeit und Reichweite, sagte Smetanin.
Modifiziertes Sportflugzeug?
Auf einem Video sieht es eher so aus, als sei die Shahed-Fabrik in Jelabuga in Tatarstan von einer Art umgebauten Sportflugzeug getroffen worden. Das würde zu Berichten passen, wonach es sich um eine modifizierte A-22 des ukrainischen Herstellers Aeroprakt handelt. Sie hat mit Pilot eine Reichweite von 1100 Kilometern und kann bis zu zehn Stunden in der Luft sein. Ihre Reisegeschwindigkeit beträgt 150, die Höchstgeschwindigkeit 190 Kilometer pro Stunde.
"Army Recognition" hält einen Umbau der A-22 zur Kamikazedrohne für möglich, zählt aber zahlreiche nötige Modifikationen auf. Dazu gehören unter anderem strukturelle Verstärkungen, um mehr Treibstoff und eine höhere Nutzlast über die große Distanz zu ermöglichen. Das würde erklären, dass in einem Video, das die Bergung einer offensichtlich nicht explodierten Drohne zeigt, das Wrack kaum Ähnlichkeit mit einer A-22 hat. Eventuell sei auch ein leistungsstärkerer Motor nötig, und eine große Herausforderung sei die Steuerung beziehungsweise Kommunikation mit der Drohne, so die Militärexperten.
Die Umwandlung der A-22 hätte alles in allem unter höchster Geheimhaltung eine koordinierte Anstrengung von Spezialisten für Luft- und Raumfahrttechnik, Avionik und Militärstrategie sowie erhebliche Ressourcen und umfangreiche Tests erfordert, schreibt "Army Recognition".
Dass die selbstfliegenden Flugzeuge ihre Ziele erreichen konnten, liegt möglicherweise daran, dass sie als langsam und niedrig fliegende Objekte nicht aufgefallen sind oder für harmlos gehalten wurden. Aber auch dann war die Navigation ein Meisterstück. "Army Recognition" zitiert einen russischen Reserveoberst, der es für möglich hält, dass fortschrittliche westliche Systeme zur präzisen Zielerfassung zum Einsatz kamen. Darunter das Navigationssatellitensystem NAVSTAR der United States Space Force oder das Starlink-System von Elon Musk. Er zweifelt aber auch an den Fähigkeiten der russischen Luftverteidigung und der militärischen Führung.
Autonome Navigation mit KI-Unterstützung
CNN zitiert eine Quelle, die angeblich über das ukrainische Drohnenprogramm informiert ist. Demnach wurden die Drohnen mit KI-Hilfe navigiert, was sie gegen Störsignale unempfindlich gemacht haben könnte. Das heißt, die unbemannten Flugzeuge verfügen über Bordcomputer, auf deren Chips ein Modell installiert ist, das gespeicherte Satelliten- und Geländedaten in Echtzeit mit der Umgebung abstimmen kann.
"Die Flüge werden im Voraus mit unseren Verbündeten festgelegt und die Flugzeuge folgen dem Flugplan, damit wir Ziele metergenau angreifen können", so die Quelle. Das KI-System namens "Machine Vision" erfordere keine Kommunikation, sondern arbeite vollständig autonom, sagte Noah Sylvia von der britischen Denkfabrik Royal United Services dem US-Nachrichtensender.
Dieses Ausmaß an Autonomie habe es bei Drohnen bisher nicht gegeben, sagte Chris Lincoln-Jones CNN. Er ist ein ehemaliger britischer Militäroffizier und Experte für Drohnenkrieg und künstliche Intelligenz. Das Potenzial der Technologie sei bisher nicht ausgeschöpft, man befinde sich noch ganz am Anfang.
Oder doch eine Weiterentwicklung?

Eine Ukrjet UJ-22 Airborn könnte als Vorbild für die neue Langstrecken-Drohne der Ukraine gedient haben.
(Foto: Ukrjet)
Der Einsatz derart hoch entwickelter Technologie könnte auch für eine weitere Theorie sprechen, wonach die in Tatarstan eingesetzten Drohnen eine Weiterentwicklung der UJ-22 Airborne des ukrainischen Herstellers Ukrjet sind. Sie hat eine Reichweite von bis zu 800 Kilometer, wovon sie 100 Kilometer ferngesteuert werden kann. Die UJ-22 wurde in jüngster Zeit unter anderem bei erfolgreichen Angriffen auf russische Öl-Raffinerien eingesetzt.
Die Langstrecken-Drohne ist mit fortschrittlichen Sensoren, Kameras und Kommunikationssystemen ausgestattet und kann laut Hersteller auch bei widrigen Wetterbedingungen, bei schlechter Sicht und trotz Störsignalen manövrieren. Sie ist bis zu 160 Kilometer pro Stunde schnell, kann 50 Meter tief oder bis zu 6000 Meter hoch fliegen und bis zu 20 Kilogramm Nutzlast tragen.
Die UJ-22 ist in der Lage, verschiedene Waffen zu transportieren oder mit Spezialkameras ausgestattet zur Aufklärung zu dienen. Dabei kann sie bis zu sieben Stunden in der Luft bleiben. Normalerweise kehrt sie an ihre Ausgangsbasis zurück, es ist aber auch möglich, sie zur Kamikazedrohne umzubauen.
Die geborgene Drohne ist deutlich größer als die mit rund fünf Metern Spannweite relativ kleine UJ-22. Allerdings ähneln sich die Fahrwerke, was aber wiederum bei einer verstärkten A-22 ebenfalls der Fall sein könnte. Letztlich wird nur die ukrainische Militärführung sagen können, welche ihrer Drohnen Ziele in über 1200 Kilometer Entfernung im Feindesland angreifen kann.
Quelle: ntv.de