Tödlicher Leichtsinn Wie Smartphones in der Ukraine Stellungen verraten
13.05.2022, 19:27 Uhr
Diese Karte soll russische Truppenkonzentrationen in der Ukraine anhand von Smartphone-Ortungsdaten zeigen.
(Foto: Twitter/@ua_industrial)
Im Internet wird ein Kartenausschnitt diskutiert, der offenbar anhand von Smartphone-Lokalisierung die russischen Truppenkonzentrationen in der Ukraine zeigt. Woher die Daten dafür stammen, ist unbekannt. Sicher ist aber, dass die Mobilfunkortung im Krieg eine wichtige Rolle spielt.
Auf Twitter erregt ein Kartenausschnitt Aufsehen, auf dem angeblich zu sehen ist, wo russische Soldaten mit SIM-Karten ihres Landes im ukrainischen Mobilfunknetz angemeldet sind. Dort, wo die Truppenkonzentration besonders hoch ist, leuchtet die Karte gelb bis rot. So könnte das ukrainische Militär unter anderem genau sehen, wo Russland Verbände zusammenzieht, um Angriffe vorzubereiten und so die Verteidigung vorbereiten.
Fragliche Herkunft
Die Herkunft der Karte ist allerdings fraglich und weist einige Ungereimtheiten auf. Unter anderem stimmen die roten und gelben Gebiete nicht mit den aktuellen Kampfzonen überein. Dies lässt sich aber vermutlich noch relativ einfach erklären: Im Original-Post heißt es nämlich, die Karte zeige wahrscheinlich die Situation im März.
Grundsätzlich ist es für Betreiber eines Mobilfunknetzes möglich, anhand der Basisstationen, an denen sich Smartphones anmelden, deren Positionen zu bestimmen. Ebenso können sie feststellen, ob es sich um ausländische SIM-Karten handelt. Ein Twitter-Nutzer verweist allerdings auf die Nachricht eines Freundes, der beim ukrainischen Mobilfunkanbieter Kyivstar arbeitet. Dieser schreibt, in den von Russland besetzten Gebieten seien die ukrainischen Stationen zerstört oder getrennt worden, einheimische Mobilfunkanbieter hätten daher keine solchen Daten mehr. Die Karte müsse also ein Fake sein.
Ortung gestohlener Geräte
Außerdem blockten ukrainische Provider laut ukrainischer "Prawda" ihre Netze für russische und belarussische SIM-Karten bereits direkt nach Beginn der Invasion. Dies ist auch einer der Gründe, warum russische Soldaten Ukrainern ihre Smartphones abnahmen und zur Herausgabe von Geräte- und SIM-PIN zwangen.
Das wiederum ermöglichte es in vielen Fällen, die Positionen von Plünderern zu ermitteln. Denn sowohl bei iPhones als auch Android-Smartphones gibt es die Möglichkeit gestohlene oder verlorene Geräte orten zu lassen. Es gibt auch die Option, Smartphones zu sperren, allerdings ist dies in diesem Fall erst ratsam, wenn die Besatzer abgezogen sind.
Viele russische Soldaten sollen daher ukrainische SIM-Karten in ihren Smartphones nutzen, oft aus dubiosen Quellen. Das macht es den Ukrainern leicht, sie abzuhören, vor allem, wenn sie ihnen die Karten selbst verkauft haben.
Drohnen simulieren Mobilfunkmasten
Militärisch höchst relevant ist eine andere Art der Smartphone-Ortung, bei der es auch keine Rolle spielt, ob eine SIM-Karte blockiert wird. Denn für sie genügt es, dass die Geräte versuchen, zu einer Mobilfunkantenne Kontakt aufzunehmen.
Dieser Umstand wird genutzt, indem Empfänger in Drohnen oder Fahrzeugen untergebracht werden, die Sendemasten simulieren (Zellstandort-Simulatoren). Nimmt ein Smartphone Verbindung zu so einem Köder auf, ist es unter Umständen für Angreifer möglich, direkt GPS-Daten oder andere Informationen abzurufen.
Durch die Stärke des Signals kann der Simulator aber auch die Entfernung zu einem Smartphone bestimmen. Geschieht dies aus mehreren Richtungen, kann der ungefähre Standort bestimmt werden. Möglich ist auch, dass Köder die Position eines Smartphones ermitteln, indem sie die Signalstärken zu verschiedenen echten Sendemasten in der Nähe eines Smartphones abrufen.
Russen setzen Leer-3 ein
Laut "Sky News" ist bekannt, dass die Russen das elektronische Kriegsführungssystem Leer-3 einsetzen, das aus einem Kommando-Lastwagen und zwei Flugdrohnen (Orlan-10) besteht. Es ist auch in der Lage, gegnerische Netzwerke zu stören.
"Inform Napalm" zufolge wurde Leer-3 bereits 2015 im besetzten Donezk gesichtet. Das System soll in einem Umkreis von sechs Kilometern mehr als 2.000 Telefone empfangen können. Man gehe davon aus, dass die ukrainische Armee eine ähnliche Technologie einsetze, so "Sky News".
In der ukrainischen Armee gab es wegen der Smartphone-Problematik schon entsprechende Anweisungen für Soldaten im Einsatz gegen von Russland geführte Separatisten im Donbass vor der Invasion am 24. Februar. Unter anderem sollten sie nicht ihre eigene SIM-Karte verwenden, sondern vor Ort eine kaufen. Zum Telefonieren sollten sie sich weit von der Truppe entfernen und falls möglich, dafür in Ortschaften mit vielen Zivilisten gehen. Ansonsten sollten sie ihr Telefon immer ausgeschaltet lassen.
John Scott Railton von der University of Toronto sagte "Sky News" allerdings, dass Angreifer über den Drohnen-Zugriff ein Smartphone auch so hacken könnten, dass es aussehe als sei es ausgeschaltet, aber in Wirklichkeit wie ein Leuchtfeuer auf dem Schlachtfeld sei. Den Akku zu entfernen sei eine Lösung, bei aktuellen Smartphones ist dies aber praktisch unmöglich.
Auch die Russen benötigen intaktes Netz
Angesichts der Gefahr durch Smartphones im Einsatz fragt man sich, warum die russische Armee die ukrainischen Mobilfunknetze durch Angriffe nicht komplett ausgeschaltet haben. Sam Cranny-Evans vom Verteidigungs-Thinktank RUSI sagte "Sky News", dass es nicht leicht sei, ein Mobilfunknetz mit vielen Zellen zu zerstören. Selbst in Mariupol habe es noch nach wochenlangen Kämpfen Empfang gegeben.
Möglicherweise brauchen die Russen das ukrainische Mobilfunknetz auch selbst. Ihre Kommunikationsprobleme sind bekannt, offenbar haben sie nicht einmal genügend digitale Militär-Funkgeräte. Laut Christo Grozev von der Recherche-Plattform "Bellingcat" legten sie Anfang März das Netz in Charkiw tatsächlich lahm, wodurch sie aber auch den Einsatz ihrer Era-Kryptophone unmöglich gemacht hätten, die auf vorhandene 3G-/4G-Netzwerke angewiesen seien.
Dieser Umstand könnte zum Tod von Generalmajor Vitali Gerasimow geführt haben. Aus vom ukrainischen Geheimdienst veröffentlichten Mitschnitten eines abgehörten Gesprächs zweier russischer Offiziere über den Tod des Generals geht hervor, dass Era nicht funktionierte. Die Offiziere nutzten laut Grozev ukrainische SIM-Karten.
Putin verbietet Smartphones
Um weitere Verluste durch den Gebrauch von Smartphones zu verhindern, hat Präsident Putin am 6. Mai ein Dekret unterzeichnet. Laut "Radio Free Europe" heißt es darin, Militärangehörige dürften keine Geräte besitzen, die Standorte ermitteln und Audio- und Fotomaterial übertragen können. Ein Verstoß gegen die Vorschrift werde als grobes Disziplinarvergehen gewertet.
Quelle: ntv.de