Maschinen in die Metropole Berlin lockt die Industrie
07.09.2010, 08:59 UhrBerlin ist attraktiv für Firmen aus kreativen Branchen, aber weniger für Industrieunternehmen. Das wollen die Stadtoberen nun ändern - und damit an eine große Vergangenheit anknüpfen.
Touristen verirren sich selten hierher. Dabei war der Berliner Stadtteil Oberschöneweide, direkt an der Spree gelegen, einst weltberühmt: Für seine Industrieunternehmen. Der AEG-Konzern eroberte von hier aus die Märkte. Für dessen Tochter "Nationale Automobilgesellschaft" (NAG) baute der Architekt Peter Behrens 1915 bis 1917 ein Gebäudeensemble, darunter ein imposanter Verwaltungsbau mit Turm. Vor fünf Jahren verließ der letzte Hauptnutzer, der koreanische Elektronikkonzern Samsung, das NAG-Areal, Hunderte Arbeiter verloren ihren Job. Nun bröckelt der Putz. Eine typische Episode für die deutsche Hauptstadt, die sich von ihrer glanzvollen industriellen Vergangenheit längst verabschiedet hat.
Verweis auf industrielle Vorbilder
Modemacher, Musiker, Gastronome und Lobbyisten - eine bunte Schar an Dienstleistern prägt in den 2000er Jahren das Bild Berlins als Wirtschaftsmetropole. Doch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, selbst ein Aushängeschild eben jener "Kreativen", will Berlin als Industriestandort nicht verloren geben. Am Montag präsentierte er zusammen mit Wirtschaftsvertretern unter dem Motto "Ich bin ein Berliner" eine Initiative, die die Stadt Investoren schmackhaft machen soll und auf industrielle Vorbilder verweist. Denn immerhin produzieren Konzerne wie BMW, Daimler und Siemens immer noch in der Hauptstadt, und die zahlreichen Hochschulen bieten Unternehmen einen engen Draht zum Nachwuchs und zur Forschung.
Doch der Weg zurück zur Industriemetropole ist weit. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg verlegten große Unternehmen Sitz und Herstellung in die Bundesrepublik und florierten in ihrer neuen Heimat - Siemens etwa ist zum größten Teil nach München und Erlangen abgewandert. Der Westteil der Stadt zog als Insel kaum Produktion an, im Osten mussten zahlreiche Industriebetriebe nach der Wende dicht machen. Von einst knapp zwei Millionen Jobs in der Industrie Mitte der zwanziger Jahre waren 1991 nach Angaben des Amts für Statistik noch rund 260.000 übrig, inzwischen sind es lediglich 76.000.
Aus Fabriken wurden Eigentumswohnungen
Die Wahrnehmung der Berliner Szeneviertel Prenzlauer Berg und Friedrichshain wird heute beherrscht vom Stereotyp der "digitalen Bohème", deren Vertreter mit Laptop und aufgeschäumter Milch im Café sitzen. Doch vor hundert Jahren strömten aus den Hinterhöfen der ehemaligen Arbeiterviertel die Fabrikangestellten zur Schicht, ihr Alltag im "Miljöh" festgehalten in den garstig-liebevollen Zeichnungen des Künstlers Heinrich Zille. Noch heute prägen Schlote die "Skyline" in vielen Kiezen, doch ihr Rauch ist längst verpufft und die dazugehörige Fabrik meist umgebaut zu Eigentumswohnungen, Kultureinrichtungen oder Büros für die "Kreativen". In kaum einer anderen Stadt dürfte dieser Wandel so radikal wie in Berlin abgelaufen sein.
Während der Wirtschaftskrise fuhr Berlin nicht schlecht mit seinem Schwerpunkt auf Dienstleistungen - die Einbrüche bei Industrieaufträgen machten sich in Stuttgart und kaum in der Hauptstadt bemerkbar. Allerdings ist das absolute Niveau sehr niedrig, und nach der Studie "Berlin 2020" der Unternehmensberatung McKinsey ist die Metropole "weltweit die einzige Hauptstadt, die ökonomisch unter dem Durchschnitt ihres Landes liegt". Dagegen empfiehlt McKinsey große Schritte - zum Beispiel mit der Gründung eines Batterie-Herstellers für Elektroautos, einer Art "Deutsche Batterie-Union".
So ein Name klingt ganz wie die große Vergangenheit in Oberschöneweide. Dort, auf dem Areal der "Nationalen Automobilgesellschaft", warten heute riesige Hallen für 2,50 Euro je Quadratmeter auf "jede Art der gewerblichen Nutzung, egal ob als Werkstatt, Lager, Produktions- oder Logistikfläche", wie der derzeitige Eigentümer in einem Immobilien-Portal anpreist. Vielleicht ein interessantes Schnäppchen für Zukunftsinvestoren. Und vielleicht schauen auch mal wieder Touristen vorbei - zum Beispiel am "Tag des Offenen Denkmals" am kommenden Wochenende.
Quelle: ntv.de, Alexander Missal, dpa