Noch in der Warteschleife Brasiliens "Trem-Bala"
31.08.2009, 10:49 Uhr
Der "Trem-Bala" versteht sich als Alternative zur viel genutzten Luftbrücke São Paulo-Rio.
(Foto: REUTERS)
"1 Stunde, 33 Minuten" - das ist das magische Ziel des geplanten Hochgeschwindigkeitszuges "Trem-Bala" in Brasilien. Der soll in Zukunft die Millionenmetropolen São Paulo und Rio de Janeiro verbinden. Das Milliarden-Projekt geistert schon seit Jahren durch die Gazetten. Jetzt, im Zugzwang der langsam nahenden Fußball-WM 2014, kommt offenbar Bewegung in das Vorhaben. "Der Hochgeschwindigkeitszug wird 2014 fahren", versichert die Regierung. Ein mehr als ehrgeiziges Ziel, finden Industrievertreter. Dennoch: Die Signale für die Ausschreibung sollen bis Anfang 2010 auf Grün stehen.
Nach einer kürzlich mit acht Monaten Verspätung vorgestellten Studie der britischen Beratungsfirma Halcrow wird das Projekt teuer: 34,6 Milliarden Reais (rund 13,3 Mrd Euro) veranschlagen die Planer. Und auch das könnte zu tief gegriffen sein. Das "Worst-Case"-Szenario geht von bis zu 37 Milliarden Reais aus. Wieviel davon der Steuerzahler aufbringen muss, ist noch ungewiss.
Alternative zur Luftbrücke
Der "Trem-Bala", wie der "Trem de Alta Velocidade" (TAV) im Volksmund genannt wird, versteht sich als Alternative zur viel genutzten Luftbrücke São Paulo-Rio. Auf einem weiteren Teilstück - zwischen São Paulo und dem rund 100 Kilometer nördlich gelegenen Industriezentrum Campinas - soll der Zug die Tagespendler bewegen, ihr Auto stehen zu lassen und so den quälenden Mega-Staus zu entgehen.

Acht bis zehn Haltepunkte sind geplant, drei Flughäfen sollen angebunden werden.
(Foto: REUTERS)
Insgesamt sehen die Planer für die 512 Kilometer lange TAV-Strecke ein Potenzial von 31 Millionen Passagieren pro Jahr, wobei aber nur sieben Millionen auf die rund 400 Kilometer lange Gesamtstrecke São Paulo-Rio entfallen. Der "Rest" soll die Verbindungen zwischen São Paulo und Campinas sowie São Paulo und der 80 Kilometer östlich gelegenen Industriestadt São José dos Campos nutzen. Acht bis zehn Haltepunkte sind geplant, drei Flughäfen (Campinas, São Paulo und Rio) sollen angebunden und 91 Kilometer Tunnel sowie rund 108 Kilometer Brücken gebaut werden.
Auftragsvolumen lockt Baukonzerne
Allein das schiere Auftragsvolumen lockt internationale Baukonzerne und Technologie-Multis. Von deutscher Seite hat Siemens gemeinsam mit dem brasilianischen Baugiganten Odebrecht den Finger gehoben. Und auch die deutschen Transrapid-Bauer rechnen sich aufgrund des geringeren Landschaftsverbrauchs der Magnetschwebebahn Chancen aus - zumindest für die Strecke São Paulo-Campinas. Frankreich steht mit Alstom in den Startlöchern und auch Chinesen, Japaner, Südkoreaner und Spanier haben ihre Hüte in den Ring geworfen und antichambrieren in Brasília.
Dort wird eine Lösung aus einem Guss favorisiert. Die Konsortien sollen nicht nur bauen, sondern den "Trem-Bala" auch betreiben. Bis der erste Zug mit geplanten über 300 Stundenkilometern durch Brasiliens Landschaft braust, wird es aber dauern. Die Ausschreibung wurde immer wieder verschoben. Erst hieß Anfang 2009, dann Sommer 2009 und jetzt wird es vermutlich erst zum Anfang des brasilianischen Wahljahres 2010 etwas werden. Das Finanzkonzept muss noch aufgestellt und das Projekt zudem vom Rechnungshof geprüft und abgenickt werden.
Kritiker sprechen von "Größenwahn"
Dabei läuft den Brasilianern die Zeit weg. 500 Kilometer Trasse mit Tunneln und Brücken und Kurven, zahlreiche Enteignungen mit möglicherweise langwierigen Prozessen und, wenn alles einmal gebaut ist, noch mindestens ein halbes Jahr Probebetrieb - selbst Optimisten glauben, dass dies bis Mitte 2014 nicht zu schaffen ist. Und es gibt es bei weitem nicht nur Optimisten. Kritiker wie der brasilianische Wirtschaftsprofessor Eduardo Fernandez Silva sprechen von "Größenwahn".
Der "Trem-Bala" komme letztlich nur den vergleichsweise wenigen gut betuchten Brasilianern zu Gute, die die "Rushhour"-Tickets zwischen 200 Reais (77 Euro, 2. Klasse) und 325 Reais (125 Euro, 1. Klasse) für die einfache Fahrt São Paulo-Rio bezahlen können. Auch der Zeithorizont sei völlig unrealistisch, warnte Silva auf der regierungskritischen Internet-Seite "Congresso em Foco": "Man muss die 98 Kilometer Tunnel für den Trem-Bala mit der U-Bahn São Paulos vergleichen: Deren Netz umfasst bis heute nicht einmal 70 Kilometer und das nach mehr als 30 Jahren Arbeit."
Quelle: ntv.de, Helmut Reuter, dpa