Wirtschaft

Staatschefin wird beleidigt Brasiliens WM-Klatsche freut Börsianer

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(Foto: dpa)

Für Brasiliens Präsidentin Rousseff ist die Niederlage der Seleção gegen Deutschland ein "Alptraum". Tatsächlich hat sie nun ein Problem. Und die Börsianer? Die können dem Debakel durchaus Positives abgewinnen.

Wer glaubt, dass Fußball und Politik nichts miteinander zu tun haben, irrt gewaltig. Während die ruhmreiche brasilianische Mannschaft im Halbfinale der Weltmeisterschaft von den Deutschen vermöbelt wird, hallen wüste Beschimpfungen durchs Stadion. Einer der Adressaten ist nicht auf dem Feld, ja nicht einmal im Stadion: Staatschefin Dilma Rousseff.

Die Präsidentin muss sich ernsthaft Sorgen um ihre Wiederwahl im Oktober machen. Hat sie sich doch nach Kräften bemüht, mit dem Turnier ihr angekratztes Image aufzupolieren. Das rächt sich nun, die historische Pleite fällt auf sie zurück.

Nach Ansicht der brasilianischen Finanzmärkte ist das eine gute Nachricht. Die Währung Real gewann etwas an Wert. Die Börse war am Tag der Niederlage zwar feiertagsbedingt geschlossen und öffnet erst am Donnerstag wieder. Doch bisher kletterte der Leitindex Bovespa immer dann, wenn Meinungsumfragen eine sinkende Popularität der Präsidentin feststellten. Angesichts schwindender Beliebtheitswerte hat der Bovespa seit seinem Tief Mitte März 19 Prozent aufgeholt. Das ändert aber nichts daran, dass der Index seit ihrem Amtsantritt 2011 rund ein Viertel eingebüßt hat.

Konjunktur schwächt sich ab

Nicht nur an der Börse wird sie für eine schwache wirtschaftliche Entwicklung verantwortlich gemacht. Dabei ist ihre Bilanz durchwachsen. Die Arbeitslosigkeit liegt unter 5 Prozent, Millionen Menschen sind während ihrer Regierungszeit und der ihres Vorgängers Lula da Silva der Armut entkommen. Doch das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wächst nur noch schwach, die Inflation von mehr als 6 Prozent frisst selbst kräftige Lohnerhöhungen auf und der Haushalt in keinem guten Zustand.

Die Notenbank beurteilt die Wachstumsaussichten alles andere als rosig. Für dieses Jahr erwartet sie ein Plus von 1,6 Prozent, im Vorjahr hatte das BIP noch 2,5 Prozent zugelegt. Korruption, Schutzzölle und die Abwertung des Real machen der Wirtschaft zu schaffen. Aus dem aufstrebenden Schwellenland ist ein Problemfall geworden.

Noch führt Rouseff in den Umfragen vor ihren wichtigsten Herausforderern, dem Sozialdemokraten Aécio Neves und dem Sozialisten Eduardo Campos. Das kann sich angesichts der traumatischen Niederlage allerdings ändern. Die allgemeine Unzufriedenheit hatte sich schon vor dem Eröffnungsspiel Bahn gebrochen, als einige Proteste gegen die Weltmeisterschaft in Gewalt umschlugen. Trotz aller Begeisterung für den Fußball ärgern sich viele Brasilianer über die hohen Kosten des Turniers in Höhe von etwa 11 Milliarden Euro. Ihr Argument: Das viele Geld hätte besser in Schulen, Krankenhäuser und Infrastruktur gesteckt werden sollen.

Rousseff stand seit Monaten unter großem Rechtfertigungsdruck, der angesichts der Kostenexplosion stetig stieg. Hätte Brasilien aber in der Heimat den ersehnten sechsten Titel gewonnen, wäre Kritik im allgemeinen Begeisterungstaumel sicher verstummt. Nun aber wird sie die Frage beantworten müssen, ob die WM tatsächlich die Wirtschaft wie versprochen ankurbeln wird - die Zweifel daran wachsen.

Teures Desaster

Obszöne Beleidigungen, Ausschreitungen, frustrierte Brasilianer - ein optimaler Wahlkampfauftakt sieht anders aus. Und so versucht Rousseff den richtigen Ton zu treffen. Sie sei wie alle Brasilianer "sehr, sehr traurig". Das Spiel gegen Deutschland gehe über ihre "schlimmsten Albträume" hinaus. Doch präsent bleibt, dass sie beitrug, das Turnier zu einer nationalen Mission zu stilisieren. Sie bezeichnete die Spieler als "Krieger" in einer "Schlacht". Die ging dann krachend verloren.

Noch herrscht in Brasilien das Gefühl der Leere. Rund 90 Tage vor der Wahl ahnt die Regierung aber, dass dieses Vakuum nicht lange bleibt. Wenn Fußball wieder Nebensache wird, werden die Alltagsprobleme wieder zur Hauptsache. Und für die wird die Präsidentin verantwortlich gemacht - genauso wie für das kostspielige Desaster, zu dem die WM wurde.

Vorher muss sie sich noch einem Plebiszit stellen. Am Sonntag wird sie dem Kapitän der Siegermannschaft den Pokal überreichen - im Fußballtempel Maracanã, dem Heiligtum des brasilianischen Fußballs. Sollte sie dort ausgerechnet dem Argentinier Lionel Messi gratulieren müssen, würden ihr viele Landsleute diese Demütigung wohl niemals verzeihen.

Quelle: ntv.de

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