Trübe Aussichten Brasiliens Wirtschaft lahmt gewaltig
18.08.2014, 15:24 Uhr
Brasilien kommt nicht in Schwung - die Sorge bei Experten wächst.
(Foto: REUTERS)
Die Stimmung in der brasilianische Wirtschaft lässt zu wünschen übrig: Die WM ist passé und die Prognosen bleiben mau. Auch die bevorstehende Präsidentschaftswahl verspricht vor allem Stagnation. Bank-Experten sehen wenig Hoffnungsschimmer.
Brasilien hat in diesem Jahr nicht nur auf dem Fußballplatz viel von seinem Glanz eingebüßt. Auch sein Ruf als "Boom-Land" bekommt im WM- und Wahljahr weitere Kratzer. Die Industrieproduktion ging deutlich zurück, der viertgrößte Automarkt der Welt stottert mit heftigen Aussetzern und die Analysten senkten gleich elfmal in Folge ihre Wachstumsprognosen. 2014 dürfte das Bruttoinlandsprodukt wohl nur mit Glück die Ein-Prozent-Marke reißen, auch wenn die Regierung das noch anders sieht.
Die hochgelobte Fußball-WM machte der heimischen Industrie durch die verordneten Sonderfeiertage bei den Seleção-Spielen und den damit verbundenen Arbeitsausfällen ein zweifelhaftes Geschenk. Allein im WM-Monat Juni sank die Industrieproduktion um 6,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Das war ein Negativ-Rekord seit September 2009 (minus 7,4 Prozent). Im ersten Halbjahr schrumpfte die Industrieproduktion im Vorjahresvergleich um 2,6 Prozent, wie die amtliche Statistikbehörde IGBE mitteilte. Ihr fällt derzeit die undankbare Rolle zu, fast im Wochentakt schlechte Eckdaten zu vermelden.
Auch der Fahrzeugherstellerverband Anfavea hat dem wenig Erfreuliches entgegenzusetzen. In den ersten sieben Monaten wurden 1,82 Millionen Autos, Lkw und Busse produziert und damit 17,4 Prozent weniger als im Vergleichszeitraum 2013. Auch wenn Afavea im zweiten Halbjahr auf Besserung hofft, die Stimmung ist derzeit mehr als gedrückt. Deshalb rechnen die Marktanalysten in der wöchentlichen Zentralbank-Umfrage "Boletim Focus" nur mit 0,81 Prozent BIP-Anstieg in diesem Jahr. Zu Jahresbeginn hatten die Experten noch ein Plus von 1,95 Prozent prognostiziert.
Mit großen Reformen rechnet im Wahljahr niemand
"Nicht heute ... nicht morgen", überschrieben Commerzbank-Experten ihre Brasilien-Analyse vor zwei Wochen. "Unsere Wachstums- Einschätzungen zeigen, dass Brasilien sich glücklich schätzen könnte, wenn das Wachstum 2014 die Ein-Prozent-Marke überschreitet und es 2015 ein Wachstum über 1,6 Prozent gäbe", heißt es bei den "Commerzbankern", die ein schnelles Comeback bei Industrie-Produktion, Privat-Konsum und Investitionen bezweifeln. "Der Mangel an Wachstumsquellen in Brasilien bestätigt unsere Sicht, dass die strukturelle Art der Abwärtsbewegung wahrscheinlich vorherrschend bleibt, solange es keine Änderung im Wirtschaftspolitik-Mix gibt und Reformen ausbleiben."
Doch an Reformen ist im Wahljahr eher nicht zu denken. Am 5. Oktober sind Präsidentschaftswahlen, deren Ablauf durch den Tod des Oppositionskandidaten Eduardo Campos bei einem Flugzeugunglück in der vergangenen Woche eine tragische Wende nahm. Wie Amtsinhaberin Dilma Rousseff hatte auch Campos die Wirtschaftspolitik und soziale Gerechtigkeit als einen Schwerpunkt seiner Kampagne gesetzt.
Rousseffs derzeit aussichtsreichster Gegenkandidat Aécio Neves sieht Brasilien in der "größten Deindustrialisierungs-Krise seiner Geschichte". Und er nennt gleich die Schuldigen: "Die Regierung hat die Fähigkeit verloren, den richtigen Weg für den Aufschwung zu zeigen. Die Regierung schafft kein Vertrauen und ohne Vertrauen gibt es keine Investitionen."
Durststrecke bis 2016
Das sieht Präsidentin Rousseff naturgemäß ganz anders. Sie verweist auf die Erfolge ihrer Regierung bei der Armutsbekämpfung und sieht auch die Inflation unter Kontrolle. Doch trotz rückläufiger Tendenz liegt die Teuerungsrate im Zwölf-Monats-Zeitraum bei 6,5 Prozent und damit exakt auf der offiziell vorgegebenen Obergrenze.
Die trüben Aussichten dürften auch bei den deutschen Autobauern BMW, Mercedes-Benz und Audi für Ernüchterung sorgen. Sie investieren hohe Millionen-Beträge, um in Brasilien die Pkw- Produktion aufzunehmen oder wieder neu aufzulegen. Brasiliens BMW-Chef Arturo Piñero sieht jedenfalls eine Durststrecke bis 2016. "Wir haben zweieinhalb Jahre vor uns, die sehr schwierig werden", zitierte die Zeitschrift "Época" den Manager vorige Woche. "Wir müssen vorbereitet sein, diesem Szenario der Unsicherheit und der wirtschaftlichen Apathie zu begegnen."
Quelle: ntv.de, Helmut Reuter, dpa