Inflationssorgen und Angebotsrisiken Brent läuft WTI davon
11.10.2012, 06:34 Uhr
Viele Röhren, viel Öl: Die USA produzieren soviel Öl wie seit 16 Jahren nicht mehr.
Seit dem Sommer ist der Preis für europäisches Öl um rund ein Viertel gestiegen. Gleichzeitig vergrößert sich die Preisschere zwischen der Nordseesorte Brent und der US-Sorte WTI. Das hat mehrere Gründe - und könnte drastische Auswirkungen haben.
Am Rohölmarkt entwickeln sich die Preise in Europa und den USA immer weiter auseinander: Derzeit liegt die Differenz zwischen den weltweit meistgehandelten Ölsorten, der Nordseesorte Brent und US-Öl der Marke West Texas Intermediate (WTI), bei mehr als 22 Dollar. Größer war der Unterschied zuletzt vor etwa einem Jahr.
Beobachter begründen die Entwicklung mit Faktoren sowohl diesseits als auch jenseits des Atlantiks. So ist das Überangebot in den USA nach wie vor groß, was die Preise für amerikanisches Rohöl drückt. Hingegen sorgen in Europa vor allem politische Risiken in der Golfregion für steigende Ölpreise. Zudem profitiert der Ölmarkt generell von der extrem lockeren Geldpolitik der Notenbanken.
Zurzeit kostet ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent rund 114 Dollar. Rekordpreise von mehr als 140 Dollar wie während der Finanzkrise 2008 liegen zwar in weiter Ferne. Allerdings hat der Brentpreis seit diesem Sommer kräftig um rund 25 Prozent angezogen. Unterdessen kostete ein Fass der amerikanischen Ölsorte WTI aktuell 92 Dollar und damit viel weniger als Nordseeöl. Größer war der Preisunterschied zuletzt vor einem Jahr, als Brent etwa 25 Dollar mehr als WTI gekostet hatte. Bis Anfang 2011 hatten sich die Ölpreise auf etwa gleichem Niveau bewegt. Warum klaffen die Ölpreise nun so stark auseinander?
USA im Produktionsrausch
"Die Gründe für die Entwicklung liegen in den USA, in Europa und der Golfregion", sagt Rohstoffexperte Eugen Weinberg von der Commerzbank. Den viel geringeren Preis von US-Rohöl erklärt er vor allem mit der Angebotsseite: So produzieren die USA zurzeit so viel Öl wie seit 16 Jahren nicht mehr. Hinzu kommt, dass die Transport-Kapazitäten knapp sind, insbesondere über die wichtigen Ölpipelines. Aus diesem Grund kann das geförderte Rohöl nicht schnell genug an den Golf von Mexiko transportiert werden, um dort weiterverarbeitet zu werden. Entsprechend niedrig sind derzeit die Lagerbestände an Ölprodukten wie Benzin oder Heizöl.
Ganz anders sieht die Lage in Europa aus: In der Nordsee sorgen seit Wochen Wartungsarbeiten an zahlreichen Förderanlagen für eine Verknappung des Angebots. Noch wichtiger schätzen Beobachter die politischen Risiken in der Golfregion ein, aus der Europa einen guten Teil seines Rohöls bezieht. Ob nun der Streit um das iranische Atomprogramm, der Bürgerkrieg in Syrien oder die angespannte Lage in Libyen: "In Europa herrscht die Angst vor, dass es zu Angebotsengpässen kommen könnte. Das lässt den Ölpreis steigen", sagt Experte Weinberg.
Inflationssorgen und Angebotsrisiken
Neben spezifischen Faktoren aus den USA und Europa gibt es auch Gründe, die die Rohölpreise generell stützen. Hierzu zählt in erster Linie die sehr lockere Geldpolitik nahezu aller großen Notenbanken. Dementsprechend üppig ist die Liquidität an den Finanzmärkten, wovon riskantere Anlageformen wie Rohstoffe profitieren.
Darüber hinaus schürt die Geldschwemme der Zentralbanken Inflationssorgen, weswegen professionelle Investoren wie auch Kleinanleger vermehrt in Sachwerte investieren. Hierzu zählen Rohstoffe wie Gold oder Silber - und eben auch die Geldanlage am Ölmarkt, beispielsweise in Form börsengehandelter Indexfonds (ETF).
Mit einer nennenswerten Einebnung des Preisunterschieds zwischen Brent und WTI rechnet Experte Weinberg erst im kommenden Jahr. "Bis dahin könnten einige der akuten Angebotsrisiken wegfallen", sagt er. Zudem dürften sich die Angebotsengpässe in den USA abmildern. Denn 2013 ist mit einer deutlichen Ausweitung der Pipeline-Kapazität zu rechnen. Wenn dann wieder mehr Rohöl von der wichtigen Lagerstätte Cushing an die amerikanische Golfküste fließen kann, dürfte der regionale Angebotsüberhang zurückgehen und der Preis für US-Rohöl steigen.
Quelle: ntv.de, Bernhard Funck, dpa