Wirtschaft

"Hartes Jahr für Arbeitgeber" Chinas Beschäftigte begehren auf

Im kommunistischen China nimmt die Zahl der Arbeitskämpfe zu. Ausländische Konzerne bekommen die steigende Streiklust der Belegschaften zu spüren. Die Ausstände kommen zu einer für die Volksrepublik heiklen Zeit.

Streikende Hafenarbeiter in Hongkong.

Streikende Hafenarbeiter in Hongkong.

(Foto: picture alliance / dpa)

In Chinas Betrieben brodelt es. Das riesige Arbeiterhee r in dem kommunistischen Land hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich emanzipiert. Mit dem Siegeszug der Wirtschaft wuchs auch sein Selbstbewusstsein. Allein in diesem Jahr gab es nach Angaben der Arbeiterrechte-Organisation China Labour Bulletin bislang fast ein Drittel mehr Streiks als vor Jahresfrist. Dies sei der stärkste Zuwachs seit der globalen Finanzkrise.

Einer der größten Arbeitskämpfe in der Volksrepublik läuft seit rund zwei Wochen beim weltgrößten Schuhhersteller Yue Yuen Industrial, der auch die Sportartikelgiganten Adidas und Nike beliefert. Auch internationale Branchengrößen wie Wal-Mart und IBM bekamen zuletzt die gestiegene Streitlust ihrer chinesischen Belegschaften zu spüren.

"Das wird ein sehr hartes Jahr für Arbeitgeber in China", sagt Lesli Ligorner von der Anwaltskanzlei Simmons & Simmons in Shanghai. "Es wird mehr Kämpfe und mehr Streiks geben." Diese kommen zu heikler Zeit. Weil in der weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft die Konjunktur an Fahrt verliert, drücken Firmen auf die Sparbremse. Dabei sehen sie sich mit Beschäftigten konfrontiert, die erheblich besser organisiert und gebildet sind als früher. Die Arbeiter kennen ihre Rechte und pochen darauf in den Verhandlungen mit den Managern.

Ermutigt werden sie durch einen besseren gesetzlichen Schutz und durch die demografische Entwicklung. Chinas Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter sank amtlichen Angaben zufolge in den vergangenen zwei Jahren um fast sechs Millionen auf 920 Millionen Menschen. Grund dafür ist die rigide Familienpolitik der vergangenen 35 Jahre. Sie führte auch dazu, dass viele Eltern ihr einziges Kind vor den Härten einer Arbeiterexistenz bewahren wollen - zumal die boomende Wirtschaft zunehmend andere Jobchancen bietet.

Immer noch Zeitarbeiter - nach 20 Jahren im Betrieb

Die Industrie reagierte darauf, indem sie die Arbeitsbedingungen verbesserte. Die Unternehmen bauten Freizeit- und Bildungsstätten neben die Fabriken und hoben die Löhne an. So hat sich der durchschnittliche Mindestlohn seit 2005 mehr als verdreifacht auf umgerechnet gut 150 Euro im Monat. Allerdings hielt er nach Ansicht vieler Beschäftigter trotzdem kaum Schritt mit dem Anstieg der Lebenshaltungskosten.

Um für Ruhe in der Arbeiterschaft zu sorgen, reformierte die kommunistische Führung in den vergangenen Jahren das Arbeitsrecht. Festgelegt wurden etwa bessere Abfindungszahlungen und eine stärkere Beteiligung der Arbeitgeber an den Sozialversicherungen für Arbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit und vor allem den Ruhestand. Doch aus Arbeitnehmersicht gibt es noch manches zu verbessern. So blieb eine Stärkung des Streikrechts bislang aus. Ausstände können zu Entlassungen und Festnahmen führen. Daher laufen sie in vielen Fällen ausgesprochen zivilisiert ab: stille Arbeitsniederlegungen statt spektakuläre Krawalle.

Auch beim Schuhhersteller Yue Yuen, bei dem Tausende im Werk in der südchinesischen Metropole Dongguan streiken, werben die Arbeiter um Verständnis. Einer von ihnen ist Zhou Hujun. "Was wir tun, ist nicht Unruhen schüren", beteuert er: "Wir treten nur für unsere Rechte ein." So stoßen Zhou und seine Kollegen sich daran, dass die meisten von ihnen, wenn nicht alle, als Zeitarbeiter beschäftigt werden, auch wenn sie schon sehr lange für das Unternehmen arbeiten. "Nach 20 Jahren - wie kann man uns da noch als 'Zeitarbeiter' führen!", empört sich Kollege Zeng Jiabai.

"Wir fühlen uns betrogen"

Hauptstreitpunkt ist jedoch der Arbeitgeber-Beitrag zu den Sozialversicherungen. Das Problem ist nicht auf Yue Yuen beschränkt, sondern zeigt einen wunden Punkt des Wohlfahrtsstaates insgesamt. Die Arbeiter-Generation, die die Volksrepublik zur prosperierenden Werkbank des Westens machte, steht mittlerweile vor dem Ruhestand. Daher schauen Millionen nun in die Rententöpfe. Viele finden darin weniger als erwartet - und sind erbost. Arbeitsrechtler kritisieren, die Unterfinanzierung der Fonds durch die Betriebe sei eine flächendeckende Praxis in China.

Die Yue-Yuen-Arbeiter werfen ihrer Firmenführung vor, über Jahre zu wenig eingezahlt zu haben. "Wir fühlen uns betrogen", sagt Liu Shuixiang, die für Yue Yuen Nike-Schuhe produziert. Der prominente Arbeiteraktivist Zhang Zhiru erläutert, der Konzern habe seine Beiträge am vertraglichen Grundgehalt bemessen und nicht wie vom Gesetz verlangt am - häufig deutlich höheren - tatsächlichen Gesamteinkommen, das auch Überstunden berücksichtigt.

Yue Yuen weist zwar den Vorwurf eines Fehlverhaltens zurück und spricht von verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten. Aber der Vorstand zeigt sich von den Protesten beeindruckt. Er verspricht eine Erhöhung der Sozialbeiträge, die die Gewinne deutlich belasten werde. Doch es ist zu bezweifeln, ob sich die Arbeiter mit dem Zugeständnis der Manager beruhigen lassen. "Sie sagen nur, dass sie ab Mai zahlen werden", ereifert sich Arbeiterin Liu. "Was ist mit der Vergangenheit?"

Quelle: ntv.de, Alexandra Harney und John Ruwitch, rts

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