Mehr Freitote, mehr Streiks Chinesen revoltieren gegen Billiglohn
24.07.2010, 12:35 Uhr
Ein Vater beweint seinen Sohn, der sich bei Foxconn aus dem Fenster gestürzt hat.
(Foto: picture alliance / dpa)
Chinas Arbeiter gehen für einen Niedriglohn malochen. Viele können nicht mehr. Sie streiken oder stürzen sich aus dem Fenster. Nun verlagern Die Firmen Jobs in arme Provinzen.
Vor 30 Jahren begann der Wirtschaftsboom in China. Und drei Jahrzehnte lang waren Chinas Küstenregionen die Zentren dieses Aufstiegs. Als Werkbank der Welt wurde der Süden und Osten des Landes berühmt. Niedrige Löhne und klaglos malochende Arbeiter lockten Konzerne aus aller Welt. Nun aber sorgen Selbstmorde unter Arbeitern und eine Serie von Streiks für Aufsehen. Erste Firmen mussten die Löhne deutlich anheben. In den Boomregionen wollen die Menschen nicht nur buckeln, sondern auch ein gutes Leben führen. Die Billigjobs wandern derweil in die armen Provinzen in Chinas Norden und Westen.
Mindestens elf Selbstmorde gab es in den vergangenen Monaten beim taiwanischen Konzern Foxconn, der in China das Internethandy iPhone für Apple baut. Nach weltweiter Empörung erhöhte das Unternehmen die Löhne in seinem Werk in der südchinesischen Stadt Shenzhen im Süden von China um fast 70 Prozent. Die Firma plant nun zudem laut Medienberichten, seine Produktion in die zentrale Provinz Henan zu verlagern. Dort liegt der Mindestlohn bei umgerechnet etwa 70 Euro, in Shenzhen bei knapp 130 Euro. „Das hat ökonomisch Sinn“, sagt Bhavtosh Vajpajee, Analyst bei CLSA Asia-Pacific in Hongkong. „Viele Firmen haben nur eine Gewinnspanne von zwei bis vier Prozent, da gibt es nicht viel Spielraum, wenn die Kosten raufgehen.“
Für mehr Gewinn in abgelegene Provinzen
Die US-Konzerne Hewlett-Packard und Cisco sind den Schritt bereits gegangen. Sie haben vor kurzem große Werke im südwestchinesischen Chongqing eingeweiht. Chongqing will in den kommenden Jahren zum größten asiatischen Standort zur Computerproduktion werden. Die chinesische Zentralregierung befeuert den Aufstieg der abgelegenen Provinzen: Sie gibt seit Jahren Milliardensummen aus, um die Regionen mit Eisenbahnen und Autobahnen zu erschließen.
Schon werden Arbeitskräfte an der Küste knapp. „Weil die Löhne nun auch in den abgelegenen Regionen steigen werden, gibt es für junge Menschen dort keinen so großen Anreiz mehr, in die Küstenregionen abzuwandern.“ An der Küste ist das Leben teuer, den Arbeitern bleibt immer weniger vom Lohn, sie sind getrennt von Familien und Freunden. „Arbeiter verlangen nun höhere Löhne, wenn sie an die Küste gehen sollen, also hat es Sinn für die Firmen, näher zu den Arbeitern zu gehen“, sagt Mark Williams, Volkswirt bei Capital Economics in London.
Zunehmende Streiks in den Küstenregionen
Und so könnten die vertrauten Bilder von Millionen chinesischer Wanderarbeiter, die durchs Land ziehen, bald der Vergangenheit angehören. In den Küstenstädten jedenfalls zeigt sich auch schon ein anderes Bild: Immer öfter sind dort junge Chinesen mit trendigen Sportklamotten und Mode-Frisuren zu sehen.
So wie Chen, ein junger Arbeiter, der an den jüngsten Streiks beim Autobauer Honda beteiligt war. „Die Generation vor uns wollte überleben, es warm haben und ernährt werden“, sagt der 25-Jährige, der sein Haar in einem derzeit angesagten Braunton gefärbt hat. „Wir wollen mehr, weil wir größere materielle und spirituelle Ansprüche haben.“ Chen und seine Kollegen erhalten seit einigen Wochen 25 Prozent mehr Lohn.
Doch dies scheint nur der Anfang zu sein - immer wieder flammen Streiks in Fabriken vor allem ausländischer Konzerne auf. Die chinesische Regierung zeigt wenig Interesse, die Entwicklung zu bremsen. Im Gegenteil: In der Provinz Guandong im Süden arbeiten die Behörden am ersten Gesetz für geregelte Tarifverhandlungen, das Streiks künftig legitimieren soll.
Quelle: ntv.de, Allison Jackson, AFP