Wirtschaft

Engpässe beim Enteiser Clariant setzt Produktion aus

Am Himmel über Europa könnte nach der Silvesternacht ungeplant Ruhe einkehren. Einer der wichtigsten Hersteller der Spezialchemikalie zum Enteisen von Flugzeugen muss seine Produktion zu Jahresbeginn anhalten. Es fehlt an Glykol. Wenn das Winterwetter anhält, sind neue Flugausfälle wohl unvermeidlich.

Mit Druck und reichlich Alkohol: An Großflughäfen gehen pro Tag leicht mehrere zehntausend Liter an Enteiser aus dem Tank.

Mit Druck und reichlich Alkohol: An Großflughäfen gehen pro Tag leicht mehrere zehntausend Liter an Enteiser aus dem Tank.

(Foto: REUTERS)

Den deutschen und europäischen Flughäfen drohen in der kommende Woche massive Engpässe bei Enteisungsmitteln. Der Schweizer Spezialchemiekonzern Clariant unterbricht vom 1. bis 4. Januar die Produktion, wie ein Unternehmenssprecher mitteilte. Grund seien Lieferschwierigkeiten bei den Hersteller von Glykol, dem wichtigsten Grundstoff für herkömmliche Enteisungsmittel auf Alkoholbasis.

Clariant lässt sich Glykol zuliefern. Die derzeit hohe Nachfrage scheint die gesamte Branche überrascht zu haben. Der Produktionsstopp könne "je nach Wetterlage und Vorratsmengen der Flughäfen zu erneuten Beeinträchtigungen im europäischen Flugverkehr führen", hieß es.

Clariant ist nach eigenen Angaben Marktführer in Europa. Seit Oktober 2010 produziere das Unternehmen rund um die Uhr, hieß es. Clariant versorgt europaweit rund 100 Flughäfen mit Enteisungsmittel. Allein im Dezember sei die Produktion von Enteisungsmitteln gegenüber dem Vorjahr um die Hälfte gesteigert worden.

An den Berliner Flughäfen sorgen die drohenden Engpässe bereits für Unruhe. Man sei über einen Produktionsstopp beim Hersteller Clariant unterrichtet worden, sagte ein Sprecher des Betreibers. "Wir sind sehr besorgt." Der Betrieb an den Hauptstadt-Airports Tegel und Schönefeld laufe vorerst aber normal. Nach Angaben des Bodendienstleisters Globe Ground sind von Clariant noch weitere Lieferungen bis Freitag zugesagt. Damit könnten die Lager in Tegel (120.000 Liter) und Schönefeld (60.000 Liter) maximal gefüllt werden.

Tankschiffe unterwegs im Atlantik

Die Probleme mit dem Nachschub für die Flugzeug-Enteisung alarmiert auch den Flughafenverband ADV. "Die Airports versuchen schon seit Wochen alles, um weitere Lieferanten zu finden", sagte ADV-Geschäftsführer Ralph Beisel. Schon vor Weihnachten sei etwa eine Schiffsladung aus den USA geordert worden, die kommende Woche ankommen solle.

"Die Flughäfen Berlin, Düsseldorf und Frankfurt am Main haben bereits jetzt so viel Enteisungsmittel verbraucht wie im gesamten letzten Winter, der ja auch sehr streng war", beschrieb Beisel die Lage.

In Berlin-Schönefeld und in Paris-Roissy war das Enteisungsmittel bereits einmal vor Weihnachten ausgegangen, was zu zahlreichen Flugausfällen führte. Beisel sagte, nach seinen Informationen hätten die meisten deutschen Flughäfen ausreichende Vorräte für die kommenden Tage. Doch könne der Verbrauch je nach Wetterlage quasi explodieren: "Was normalerweise für eine Woche reicht, ist dann an einem Tag alle."

Der ungewöhnlich frühe und intensive Wintereinbruch hatte in den vergangenen Wochen zu massiven Behinderungen im europäischen Luftverkehr geführt. Mit den Flughäfen in Paris, Frankfurt am Main und London-Heathrow waren auch einige der weltweit wichtigsten Luftdrehkreuze von zeitweisen Sperrungen, Verzögerungen und Flugausfällen betroffen. Am Weihnachtswochenende kamen die extremen Schneefälle im Nordosten der USA hinzu. Seitdem versuchen Flughafen-Logistiker weltweit zum Normalbetrieb zurückzukehren. 

Geldstrafe für London-Heathrow?

Die starke Anfälligkeit des Flugbetriebs für winterliche Witterungsbedingungen hatte vor allem die Flughafenbetreiber ins Kreuzfeuer der Kritik gerückt. Naturgewalten dürften nicht als Ausrede für das Chaos herhalten, hieß es in ungewöhnlich scharfer Form aus Brüssel. Die britische Regierung erwägte nach Weihnachten sogar die Einführung von Strafen für Betreiber, wenn es zu massiven Ausfällen und Verspätungen wie zuletzt in London-Heathrow kommt. "Es sollte eine wirtschaftliche Strafe für Service-Versagen geben", sagte Verkehrsminister Philip Hammond der "Sunday Times". Der Zufriedenheit der Fluggäste müsse ein größeres Gewicht eingeräumt werden. Bisher könne die britische Flugaufsicht nur Strafen etwa bei Sicherheitsmängeln verhängen. Hammond will eine Gesetzesänderung vorantreiben.

Dem Heathrow-Betreiber BAA, einer Tochter des spanischen Ferrovial-Konzerns, wird vorgeworfen, an der Schneeräum- und Enteisungstechnik gespart und letztlich nicht ausreichend Kapazitäten vorgehalten zu haben. So soll Heathrow etwa mit maximal 35.000 Litern Enteisungsmittel pro Tag geplant, aber 100.000 Liter gebraucht haben. Verkehrsminister Hammond schlug vor, eine gemeinsame Reserve an Enteiser für alle Airports zu schaffen.

Der Winter ist noch jung

Das vorweihnachtliche Flugchaos in London mit tagelanger Sperrung einer Landebahn, Hunderten Flugausfällen und tagelangen Verspätungen war durch eine vergleichsweise geringe Schneemenge bei Temperaturen nur knapp unter dem Gefrierpunkt ausgelöst worden. Der "Sunday Telgraph" berichtete, Heathrow habe in seinen eigenen Unterlagen eine Schneefall von zwei Zentimetern bereits als "Sturm" deklariert, was den Stopp des Flugbetriebs rechtfertigt.

Außerdem habe der Flughafen deutlich weniger Enteisungsgeräte und Schneeräumer als angegeben zur Verfügung gehabt. Die Regierung und die Flugaufsichtsbehörden sollen sogar darüber informiert gewesen sein, dass Kapazitäten fehlten.

Laut "Sunday Times" versuchen auch einige Fluggesellschaften, Schadensersatzansprüche gegen den Flughafenbetreiber geltend zu machen. BAA-Vorstandsvorsitzender Colin Matthews, der im vergangenen Jahr mehr als eine Million Euro verdient haben soll, hatte bereits auf seine Jahresprämie für dieses Jahr verzichtet.

Quelle: ntv.de, DJ/dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen