Ein Autokonzern als Baustelle Daimler hat viel zu tun
23.04.2013, 16:07 Uhr
(Foto: picture alliance / dpa)
Daimler geht es nicht sonderlich gut. Der Autokonzern muss sich mit gewaltigen Problemen herumschlagen: In Europa herrscht Absatzflaute, und auch das Geschäft in China sorgt für schlechte Laune. Vorstandschef Zetsche verspricht eine Aufholjagd – doch der Schlussspurt könnte ohne ihn stattfinden.
Rund läuft es für Daimler-Chef Dieter Zetsche derzeit nicht. Im Gegenteil. Auf Europas Automärkten geht die Talfahrt weiter, in China verliert Daimler an Boden, die Konkurrenz BMW und Audi ist enteilt, und Zetsches Vertrag wurde nicht zuletzt wegen des Widerstands der Betriebsräte nur um drei Jahre bis 2016 verlängert. Da ist es nur konsequent, wenn der Manager am Mittwoch bei Vorlage der Quartalszahlen die Jahresprognose aller Voraussicht nach senken wird – zum zweiten Mal innerhalb von wenigen Monaten.
Zetsche hat die Aktionäre bereits auf der Hauptversammlung im April eingestimmt und davon gesprochen, dass sich der europäische Automarkt weitaus schwächer entwickele als erwartet. Schon im Februar hatte er von einem weiteren Übergangsjahr gesprochen – damals hielt Zetsche allerdings noch an dem Ziel fest, im laufenden Jahr Umsatz und Absatz zu steigern und den Gewinn vor Zinsen und Steuern auf dem Vorjahresniveau von rund 8 Mrd. Euro zu halten.
Doch daraus wird wohl nichts. Die Lage auf den europäischen Märkten wird angesichts von Schuldenkrise und Wirtschaftsflaute immer trostloser. Im März wurden in der Europäischen Union mit gut 1,3 Mio. Pkw 10,2 Prozent weniger Autos neu zugelassen als ein Jahr zuvor. Das war bereits der achtzehnte Rückgang in Folge. "Auch in den kommenden Monaten erwarten wir wenig Rückenwind", drückt es Zetsche aus. "Insbesondere für die Lkw- und Pkw-Märkte in Europa gibt es keine Anzeichen für eine Trendwende."
In der Autosparte erwartet Zetsche, dass der operative Gewinn 2013 unter das Vorjahresniveau von 4,4 Mrd. Euro fällt. Dabei setzten die Stuttgarter in den ersten drei Monaten dieses Jahres mit gut 350.000 Autos immerhin rund 3 Prozent mehr Pkw ab als ein Jahr zuvor.
Dabei hielten aber vor allem die A- und B-Klasse sowie die Geländelimousinen das Unternehmen auf Kurs. Im Vergleich zu den größeren Modellen der E- und S-Klasse lässt sich mit den Kompaktwagen aber weniger Geld verdienen. Große Hoffnung setzt Daimler auf sein Flaggschiff S-Klasse, dessen neue Generation im Mai Premiere feiert. Eine überarbeitete Version der E-Klasse rollt bereits von den Bändern.
Verbesserungen erhofft sich Zetsche von einem Sparprogramm, mit dem der Konzern bis Ende 2014 die Kosten insgesamt um rund vier Mrd. Euro drücken will. Das gewaltige Paket hatte für Unruhe rund um den Konzern und bis in den Aufsichtsrat gesorgt – und gipfelte in dem Kurzeit-Vertrag.
BMW und Audi als Maßstab
Die deutschen Autokonzerne profitieren davon, dass sie im Gegensatz zu manchem Konkurrenten weltweit gut aufgestellt sind. Doch während die Konkurrenten Audi und BMW die Rückgänge in Europa vor allem in China und den USA wettmachen können, schwächelt Daimler in der Volksrepublik – und damit auf dem weltweit größten Automarkt. Während BMW dort regelmäßig zweistellig wächst, rutschte der Daimler-Absatz im ersten Quartal um 11,5 Prozent ab.
Das soll sich ändern. Auf Teufel komm raus will Daimler in China den Abstand zu Audi und BMW verkürzen. Bis 2015 will der Konzern den Absatz im Reich der Mitte auf 300.000 Stück steigern. Das sind fast 50 Prozent mehr als der Konzern vergangenes Jahr auf die Straße brachte - und trotzdem noch immer deutlich weniger als die Konkurrenz von Audi und BMW bereits 2012 verkaufte. Aber selbst dieses vergleichbar bescheidene Ziel ist alles andere als ein Selbstläufer. Rund 12 Prozent Wachstum braucht Daimler Jahr für Jahr, um die Marke zu knacken.
Hase und Igel in China
"Daimler hat mehrere Baustellen", sagt Marktanalyst Huaibin Lin von IHS Automotive in Shanghai. Die Auswahl der Modelle, das Händlernetz, die Vertriebsstruktur: Es gibt kaum einen Aspekt, bei dem der Konzern in China auf Augenhöhe mit der Konkurrenz von BMW und Audi ist. Und die denkt ihrerseits gar nicht daran, ihr steiles Tempo in China zu drosseln. So erinnert Daimlers Aufholjagd ein wenig an das Rennen von Hase und Igel. Die Stuttgarter laufen nur hinterher, statt die Konkurrenz vor sich herzutreiben.
Um Boden gut zu machen, will Daimler die beiden Vertriebsgesellschaften zusammenführen, die früher getrennt für importierte und lokal gefertigte Autos arbeiteten. Erst seit Dezember sind sie formell unter einem Dach gebündelt - nachdem ihr Nebeneinander für jede Menge Ärger gesorgt hatte.
Über Details schweigt sich Daimler aus. In der Branche ist aber von einem heftigen Wettbewerb zwischen den Organisationen die Rede - und von einer Rabattschlacht innerhalb des eigenen Hauses. Bis zu 40 Prozent Nachlässe sollen dabei entstanden sein. Solche Zahlen bestätigt Daimler nicht. Aber Konzernchef Zetsche sagt über die beiden Sparten, die eigentlich wenig miteinander zu tun hatten: "Wo es Interaktion gab, war die manchmal eher kontrovers als konstruktiv." Bis die Zusammenarbeit dort reibungslos läuft, wird es wohl einige Zeit dauern.
Nicht nur in China sind die Ziele ehrgeizig: Bis 2020 will Daimler an seinen Konkurrenten BMW und Audi vorbeiziehen und wieder die Nummer eins im Oberklassesegment werden. Ob Zetsche dann noch Daimler-Chef ist? Der Aufsichtsrat fordert schnellen Erfolg – auch darum wurde sein Vertrag nur um 36 Monate verlängert.
Auch Aktionäre stellen Zeitsche keinen Freifahrtschein mehr aus. "Die strategischen Ansätze von BMW und Audi wirken deutlich kohärenter", sagt Marco Scherer von Deutschland größter Fondsgesellschaft DWS. "Zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft eine riesige Lücke", kritisiert Ingo Speich von Union Invest. "Daimler darf nicht länger zuschauen, wie die Konkurrenz aus München und Ingostadt davonfährt, es muss ein Ruck durch Daimler gehen." Nicht Daimler, sondern BMW und Audi seien heute im Premiumsegment das Maß aller Dinge.
Quelle: ntv.de, mit rts/dpa