Wirtschaft

Karstadt-Übernahme "Das ist nur der Anfang"

Karstadt hat eine neue Chance bekommen – eine Chance zum Überleben, denn mit der endgültigen Übernahme des Warenhauskonzerns durch Investor Nicolas Berggruen ist die Sache nicht erledigt. Die eigentliche Rettung beginnt erst jetzt.

Berggruen wird "erst zufrieden sein, wenn in einigen Jahren alle noch hier sind".

Berggruen wird "erst zufrieden sein, wenn in einigen Jahren alle noch hier sind".

(Foto: APN)

Sein erster Weg führt Nicolas Berggruen direkt in die Süßigkeitenabteilung. Klar, der Mann liebt Schokolade. Vermutlich würde er eher auf eine warme Mahlzeit verzichten als auf seine tägliche Ration Schokolade. Er kauft fünf Tüten Trüffelkonfekt der Sorte "Herbst-Impressionen". Fünf Tüten? Das ist selbst für einen Schocoholic viel.

Aber die Sorge um seinen Blutzuckerwert ist unbegründet - er verschenkt die Schokolade. Die erste Tüte bekommt eine Kundin, die zufällig vorbeikommt und kaum glauben kann, dem Karstadt-Retter einfach so gegenüber zu stehen. Dass Berggruen mit seinem Einkauf den Umsatz in seinem eigenen Kaufhaus ankurbelt, kann nicht schaden, wird aber nicht reichen, um Karstadt langfristig am Leben zu erhalten.

Antrittsbesuch in Berlin-Neukölln

Freude auch unter den Karstadt-Mitarbeitern in der Filiale am Kurfürstendamm in Berlin.

Freude auch unter den Karstadt-Mitarbeitern in der Filiale am Kurfürstendamm in Berlin.

(Foto: dpa)

Nur wenige Tage nach der geglückten Übernahme der angeschlagenen Warenhauskette besucht der Investor die Filiale im Berliner Bezirk Neukölln. Zur Begrüßung steckt ihm der Geschäftsführer das blaue-weiße Namensschild für Mitarbeiter an seinen Designeranzug. "N. Berggruen" steht darauf. N. Berggruen freut sich über die Geste - die Euphorie der geglückten Übernahme ist beinahe noch mit Händen greifbar, bei ihm, dem Investor, bei den Mitarbeitern, die ihn mit ehrlichem Applaus begrüßen, und bei den Kunden, die nach einer Schrecksekunde ohne Scheu auf ihn zugehen.

Eine Frau in den Fünfzigern greift nach seiner Hand und sieht so aus, als würde sie ihn am liebsten auch nicht mehr loslassen. "Ich möchte mich bei ihnen bedanken, auch für all die Leute, die hier weiter arbeiten dürfen. Wir sind schon seit unserer Kindheit hier Kunden. Ohne Karstadt wäre es hier nur halb so schön."

Respekt und Zuversicht

Das Amtsgericht Essen bestätigte am 3. August den Insolvenzplan und machte damit den Weg für die Karstadt-Übernahme durch Berggruen frei.

Das Amtsgericht Essen bestätigte am 3. August den Insolvenzplan und machte damit den Weg für die Karstadt-Übernahme durch Berggruen frei.

(Foto: picture alliance / dpa)

Berggruen strahlt die Frau an, er freut sich ehrlich. Ein Kaufhaus in Berlin-Neukölln, ein Stadtbezirk mit einem hohen Arbeiter- und Ausländeranteil - das ist seit vergangenem Freitag ein Heimspiel, aber noch kein vertrautes Terrain. Er fremdelt ein bisschen. Nicht mit den Menschen, die fest entschlossen sind, ihm die Rettung von Karstadt zuzutrauen, eher damit, plötzlich im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Die Angestellten begrüßen den neuen Chef mit einer Mischung aus ein wenig Ehrfurcht und ganz viel Begeisterung. Vor allem aber sind sie erleichtert, dass es weitergeht, dass sie ihre Jobs behalten. "Das macht mich glücklich", gesteht Berggruen. "So soll es sein. Aber ich muss jetzt natürlich noch mehr arbeiten, damit ich das alles auch verdiene."

Die 25.000 Karstädter in den fast 120 Warenhäusern in ganz Deutschland haben in der Vergangenheit viel mitgemacht mit ihrer Führungsriege. So mancher von ihnen hat den Glauben an die Managerelite verloren. Aber Nicolas Berggruen vertrauen sie. Ausgerechnet ihm, dem Milliardär und Kunstsammler, dessen Lebenswirklichkeit kaum weiter entfernt sein könnte von der seiner Angestellten. Wie erklärt er sich dieses Vertrauen? "Ich glaube, es geht gar nicht unbedingt um mich. Es könnte auch jemand anderes sein. Aber, wenn die Mitarbeiter wissen, dass jemand als Person an eine Sache glaubt, persönlich investiert, das ist wichtig. Am Ende des Tages ist es eben nicht abstrakt. Wir sind hier, wir reden - das ist alles Realität. Und Realität will man mit Menschen verbinden."

Zukunftsaussichten

Die Realität im Warenhausgeschäft - das ist vor allem brutaler Konkurrenzkampf. Berggruen hat in harten Verhandlungen Mietsenkungen in Höhe von 400 Millionen Euro für die nächsten Jahre durchgesetzt und damit Fehler der Vergangenheit korrigiert. Aber das ändert nichts am enormen Druck im Einzelhandel. Jährlich werden zwei Milliarden Euro in neue Einkaufscenter gepumpt - dem gegenüber stehen 70 Millionen, die der Investor aus seinem Privatvermögen zur Verfügung stellt, um den teilweise arg verstaubt wirkenden Kaufhäusern neues Leben einzuhauchen. "Es fängt mit 70 Millionen an. Natürlich müssen wir viel investieren. Wir werden viel mehr brauchen über die Jahre und das wird auch da sein", verspricht er.

Wie die Zukunft seines Neuerwerbs konkret aussehen soll, das lässt er zunächst noch offen. Als erstes hat er Karstadt in drei eigenständige Einheiten aufgeteilt: die sogenannten Premiumhäuser wie das KaDeWe in Berlin oder das Alsterhaus in Hamburg, dann Karstadt-Sport und die übrigen Häuser. Dass er damit den stückweisen Verkauf vorbereitet, weist Berggruen von sich: "Sicher nicht. Dafür haben wir keine Pläne. Jede Gruppe muss sich individuell entwickeln, das ist die Idee. Ich hoffe, alle werden wachsen und einen eigenen Charakter entwickeln."

Außerdem sollen die Häuser weitgehend selbstständig geführt werden, sich dabei vor allem an regionalen Bedingungen orientieren. Kunden in Berlin wollen womöglich andere Sachen kaufen als die im Ruhrgebiet - und das können am besten die Manager vor Ort entscheiden. Nicolas Berggruen hat von Anfang an gesagt, dass er sich nicht in das Tagesgeschäft einmischen will. Er selbst findet sogar, dass seine "operativen Ideen oft schlecht sind". Er setzt auf Fachleute, denen er vertraut. Wie dem Berliner Thomas Fox. Der vom Insolvenzverwalter eingesetzte Geschäftsführer soll an Bord bleiben. Auch wenn am 30. September endgültig "die Schlüssel" an den neuen Besitzer übergeben werden.

Berggruens Antrieb

Das Stammhaus von Karstadt steht in der Innenstadt von Wismar.

Das Stammhaus von Karstadt steht in der Innenstadt von Wismar.

(Foto: dpa)

Der 49-jährige Berggruen hat keinen festen Wohnsitz, ist ständig unterwegs. Was reizt einen Global Player ausgerechnet an der "guten alten Tante Karstadt"? "Karstadt ist eine irrsinnig wichtige Marke und ich würde sagen, sogar ein Teil Deutschlands. Deswegen ist Karstadt vielleicht wichtiger als andere Geschäfte, auch ideell wichtiger. Alle Gesellschaften, die ich über die Jahre gekauft habe, haben eine Bedeutung. Sie waren alle wichtig. Karstadt ist vielleicht ein bisschen wichtiger wegen der Mitarbeiter und der Bedeutung des Unternehmens in und für Deutschland."

Für Nicolas Berggruen ist Karstadt zwar eines seiner wichtigsten Projekte, womöglich derzeit sogar das wichtigste, aber es ist eben nur eines von vielen. Deshalb ist er irgendwie immer endlich da und schon wieder auf dem Sprung. Auch für diesen Blitzbesuch hat er nicht viel Zeit. Eigentlich wollte er nur kurz vorbeischauen, sich mal blicken lassen, aber als er sieht, dass in der Bekleidungsabteilung ein kleiner Empfang für ihn vorbereitet ist, da bleibt er doch stehen. Sekt, Mineralwasser, kleine Schokoladenherzen zwischen den Ständern, an denen längst die neue Herbstkollektion auf ihre Abnehmer wartet. Da kann er gar nicht anders: er begrüßt jeden mit Handschlag.

Rettung beginnt erst jetzt

Am Eingang des Stammhauses ist eine Informationstafel angebracht.

Am Eingang des Stammhauses ist eine Informationstafel angebracht.

(Foto: dpa)

Ausgerechnet er, der selbst immer ein bisschen schüchtern wirkt, nimmt mit seiner offenen herzlichen Art den Menschen ihre Scheu. Und wieder bleibt eine Kundin stehen, um sich bei ihm zu bedanken. Berggruen greift in seine blau-weiße Einkaufstüte und zaubert eine Tüte Trüffelkonfekt für die Frau raus. Der Mann, der praktisch im Alleingang eine Wirtschaftspleite erster Güte abgewendet hat, wird in diesen Tagen mit Zuneigung förmlich überschüttet.

Er hat im Kampf um Karstadt harte Gegner niedergerungen und vielen Mitarbeitern Hoffnung zurückgegeben. Eigentlich könnte er sich zurücklehnen, wenigstens für einen Moment, und zufrieden sein. Aber ist er es auch? "Ich werde erst zufrieden sein, wenn in einigen Jahren alle noch hier sind und es allen gut geht. Dann werde ich richtig zufrieden sein. Heute, das ist nur der Anfang."

Quelle: ntv.de

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