Wo die vielen Stellen schlummern Die Jobs der Amerikaner
08.10.2010, 14:42 UhrWährend die Weltwirtschaft langsam aufblüht, kränkelt der US-Arbeitsmarkt weiter vor sich hin. Seit Monaten sprechen Beobachter in den USA von einer "Jobless Recovery", einer Erholung ohne Beschäftigungszuwachs. Ein Blick hinter die Kulissen des US-Arbeitsmarkts.
Die Vereinigten Staaten beherbergen eine ganze Reihe der umsatzstärksten, innovationsfreudigsten und einflussreichsten Unternehmen der Welt. Ihre Volkswirtschaft ist die größte, ihre Industrie technologisch weit fortgeschritten. Das Land gilt nach wie vor als die stärkste Wirtschaftsmacht der Erde. Trotzdem wachsen sich Dauerarbeitslosigkeit und Stellenmangel zu einer ernsten Gefahr für die Wirtschaft aus. Wie kann das sein? Die Zusammenhänge liegen auf der Hand: Die Wirtschaftsleistung der USA speist sich zu einem Großteil aus der Binnennachfrage, also aus dem privaten Konsum der Amerikanerinnen und Amerikaner. Anders als in Deutschland spielt der Export von Wirtschaftsgütern eine untergeordnete Rolle. Doch das ist nicht alles.
Neue Wählerschichten auf dem Sofa?
Die Arbeitslosenquote blieb in den USA in den vergangenen Monaten nur knapp unterhalb des zweistelligen Bereichs - und das hat sich auch im September nicht geändert. Die Zahl der neu geschaffenen Stellen in der Privatwirtschaft - und nur die gelten in der Gesamtrechnung als nachhaltiger Gewinn - reichte gerade aus, um die Quote zu stabilisieren. Die durch die Krise gerissenen Lücken sind damit noch lange nicht gefüllt. Vor allem das Heer der Langzeitarbeitslosen schwoll gewaltig an. Ihre Zahl hat sich nach offiziellen Angaben in den vergangenen zwei Jahren mehr als verdoppelt. Im langjährigen Mittel pendelte ihre Zahl zwischen zehn und 25 Prozent aller Erwerbslosen. Mittlerweile suchen mehr als 40 Prozent aller Amerikaner ohne Beschäftigung länger als ein halbes Jahr nach einer neuen Stelle - ein historischer Höchststand.
In den großen Kennzahlen unterscheidet sich die Struktur der US-Wirtschaft gar nicht so stark von der deutschen: Der Dienstleistungssektor nimmt auf beiden Seiten des Atlantiks breiten Raum ein: In Deutschland trägt das breitgefächerte Feld der Dienstleister gut 72 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, in den USA sind es rund 88 Prozent. Die Industrie kommt in Deutschland auf einen Anteil von grob 27 Prozent, in den USA sind es etwas weniger, nämlich rund 11 Prozent.
Damit bleibt in beiden Volkswirtschaften wenig Raum für die Landwirtschaft. Der Anteil des Agrarsektor an der gesamten Wirtschaftsleistung bleibt in Deutschland auf nicht ganz ein Prozent beschränkt, in den USA sind es 1,2 Prozent. Zusammen mit den saisonalen Schwankungen wird klar, warum in den Job-Daten aus den USA oft von einer Zahl "Ex-Agrar" die Rede ist. Die Masse der volkswirtschaftlich relevanten Arbeitsplätze entsteht oder verschwindet in der Industrie und im Dienstleistungssektor.
Symptome der Armut: Hinter dem Kürzel "WIC" verbirgt sich ein Beihilfeprogramm zur Verbesserung der Ernähung von Kindern, Schwangeren und jungen Müttern in einkommensschwachen Haushalten.
(Foto: REUTERS)
Auch bei der Gesamtzahl der Arbeitsplätze spielt der Agrarsektor eine untergeordnete Rolle. Von den insgesamt rund 154,2 Millionen Amerikanern im erwerbsfähigen Alter arbeiten nach Zahlen aus dem US-Arbeitsministerium nur 0,7 Prozent in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft und der Fischerei. Gut 20 Prozent sind in den Bereichen Rohstoffgewinnung, Fertigung, Transport und Handwerk beschäftigt. Die Masse der Amerikaner (rund 62 Prozent) steht im Laden oder sitzt - mit oder ohne Leitungsaufgaben - in der Verwaltung oder an einem der vielen Büroschreibtische der Privatwirtschaft.
Schnell gezückte Kreditkarten
Seit jeher liegt die Sparquote der US-Bürger weit unter dem Niveau vergleichbarer Volkswirtschaften. Frisch verdientes Geld fließt zwischen Seattle und Miami oder San Diego und New York City schneller als anderswo zurück in den Wirtschaftskreislauf. Während die Deutschen traditionell dazu neigen, schwer verdientes Geld für schlechte Zeiten beiseite zu legen, gelten die Amerikaner als sehr ausgabefreudig. Daran hat die Wirtschaftskrise zwar bereits einiges verändert, doch in der Tendenz trifft das immer noch zu.
Gut zwei Jahre nach den dramatischen Höhepunkten der Krise hat sich die Lage an der Wall Street wieder weitgehend stabilisiert. Die Großbanken fahren Gewinne ein. Nur die kleinen und mittelständischen Unternehmen, die auch in den USA das große Heer der Arbeitsplätze beisteuern, leiden weiterhin unter den Folgen der Krise. Und die hat sie schwer getroffen: "Seit Beginn der tiefsten und längsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg gingen in der US-Wirtschaft 8,4 Mio. Arbeitsplätze verloren", hieß es in einer Studie von Deutsche Bank Research. Zeitweise gingen in den USA bis zu 700.000 Arbeitsplätze pro Monat verloren. Im August hatte der US-Arbeitsmarkt noch 54.000 Jobs eingebüßt. Im September waren es jüngsten Zahlen zufolge 95.000 Stellen.
Die Zahl der Arbeitslosen wirkt über den Konsum direkt auf die US-Wirtschaft und ihren wichtigsten Antriebsmotor ein: Mehr Menschen ohne Arbeit - weniger Konsum, lautet eine grobe volkswirtschaftliche Faustformel. Der wirtschaftliche Erfolg der Unternehmen ist dabei zunächst zweitrangig. Dazu kommen psychologische Mechanismen: Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten greift die Stellenangst um sich. Fast jeder Arbeitnehmer kennt die Geschichten von Kündigung, Geldproblemen und Stellensuche aus erster Hand. Darunter leidet die Ausgabebereitschaft, der Konsum geht zurück.
Im Sommer waren so viele arbeitslose US-Bürger wie noch nie bereits seit mehr als sechs Monaten auf Stellensuche. In Zahlen entsprach das einer Masse von rund 6,6 Millionen Menschen, die frustriert oder hoffnungsvoll, in jedem Fall aber mit stark beschränkten finanziellen Möglichkeiten, auf eine neue Chance warten.
Quelle: ntv.de