Der kleine Fisch und die große Welle Die neue Bescheidenheit der Coba
22.02.2012, 13:22 Uhr
Mehr Schein als Sein? Der 259 Meter hohe Coba-Wolkenkratzer bestimmt die Frankfurter Skyline.
(Foto: picture alliance / dpa)
Deutschlands größte Bank wollte die Commerzbank einst werden. Doch statt des Titels Branchenprimus hat sie sich den Stempel "teilverstaatlicht" eingefangen. "Die letzten zehn Jahre waren nix", konstatiert ein Marktexperte und auch beim Institut selbst hält nach mehreren Krisen in Folge eine neue Bescheidenheit Einzug. Eine handgroße Glaspyramide ist der Beweis.
Klaus-Peter Müller will aufs Siegertreppchen - am besten ganz nach oben. Als er im Mai 2001 den Chefposten bei der Commerzbank antritt, liegt sie nur auf Platz vier unter den deutschen Banken, "Blech", wie die Sportler sagen - und weit hinter Branchenprimus Deutsche Bank, der Dresdner Bank und der HypoVereinsbank. Das kann nicht sein Anspruch sein - wofür hatte der Star-Architekt Sir Norman Foster für die Bank den höchsten Wolkenkratzer in Frankfurt gebaut, mit Tricks und Kniffen auf 259 Meter hochgejazzt, 2 Meter höher als der bisherige Rekordhalter Messeturm? Offiziell zugegeben hat das nie jemand, doch ein Weggefährte von Müller erinnert sich: "Der Turm war ein Symbol. Die Bank wollte ganz hoch hinaus", sagt er. "Aber nach jedem großen Schritt kam wieder ein Rückschlag." Nun ist Bescheidenheit angesagt - auf Dauer.
Die Tochter Eurohypo mit ihren milliardenschweren Staatsanleihen - ein Fall für die Abrissbirne. Der Kauf der Dresdner Bank zwei Wochen vor dem Höhepunkt der Finanzkrise trieb die Commerzbank direkt in die Arme des Staates. Nur dank mehr als 18 Mrd. Euro vom Steuerzahler ist die Bank überhaupt noch am Leben. Von dem großen Rad, das sie international drehen wollte, wurde sie letztlich selbst überrollt. Der "nationale Champion", den sich der ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) erträumt hatte, spielt im europäischen Wettbewerb heute nur im Mittelfeld. "Die Vergangenheit hat gezeigt, dass bei Banken Größe an sich kein Erfolgsrezept ist", sagt Professor Martin Faust von der Frankfurter Bankhochschule School of Finance.
"Etikett: teilverstaatlicht"
Auch die schwarz-gelbe Koalition hat keine Lust mehr auf das Bankgeschäft und wäre lieber heute als morgen raus aus der Commerzbank: "Der Bund will kein Banker sein. Die Beteiligung von 25 Prozent an der Commerzbank ist nicht auf Dauer angelegt", sagt der stellvertretende FDP-Fraktionschef und Finanzexperte Volker Wissing. Doch das Etikett "teilverstaatlicht" klebt wie Pech an der Commerzbank. Die einen wollen sie damit ärgern. Die anderen ärgern sich, weil sie ihnen mehr Konkurrenz macht als dies ohne Staatshilfe möglich wäre.
"Die Commerzbank ist immer ein bisschen zu kurz gesprungen. Das Vertrauen ist verspielt - und es wird sehr lange dauern, bis sie es sich wieder erarbeitet hat", sagt ein Fondsmanager, dessen Haus zu den zehn größten Commerzbank-Aktionären gehört. Sie sind die Verlierer: Wer im Überschwang der Fusion mit der Dresdner Commerzbank-Papiere gekauft und sie seither nicht angefasst hat, hat 87 Prozent seines Einsatzes verloren. Wer bei der Doppel-Kapitalerhöhung im Frühjahr 2011 mitgezogen hat, verlor gut zwei Drittel.
"Die letzten zehn Jahre waren nix"
"Die neue Commerzbank wird in fünf Jahren eine wesentlich kleinere - und langweiligere - Bank sein", sagt ein anderer Fondsmanager, der seinen Bestand an Commerzbank-Aktien zum größten Teil abgestoßen hat. "Aus Investorensicht kann man sagen: die letzten zehn Jahre waren nix." 8 Mrd. Euro war die Eurohypo wert, als die Commerzbank die Kleinaktionäre 2007 hinausdrängte. Fünf Jahre, zwei Krisen und zwei Milliarden-Abschreibungen später bleibt nur Ernüchterung. Mehr als 4 Mrd. Euro Verlust hat sie der Mutter seit 2008 beschert.
"Eine große Sparkasse", umreißt ein Investmentbanker die Zukunftsaussichten. Eine Bank, die in die Bresche springen kann, wenn die Landesbanken endgültig von der EU ausgebremst und von Landespolitikern fallengelassen werden. "Ein stabiles Firmen- und Privatkundengeschäft, ein bisschen Gewerbeimmobilien. Damit kann man keine großen Sprünge machen, aber man kann gut überleben."
Das Mittelstandsgeschäft läuft - das immerhin kann sich Müller ans Revers heften. "Dass das der Schlüssel zum Erfolg ist, hat er schon 2004 erkannt", zollt ein Bankenaufseher Respekt. "Das Geschäftsmodell der Commerzbank funktioniert." Das Haus ist mit einem Volumen von 124 Mrd. Euro der größte Kreditgeber des Mittelstandes - mit einigem Abstand vor der Deutschen Bank.
Elf Millionen Privatkunden
Das reicht der schwarz-gelben Koalition, und daran würde sich auch unter einer SPD-geführten Regierung nichts ändern, glaubt ein Kenner der Berliner Szene. Industriepolitische Visionen sind längst in der Schublade verschwunden. Die Commerzbank formuliert es neutraler: "Die Bundesregierung nimmt keinen Einfluss auf die Geschäftspolitik der Bank." FDP-Finanzexperte Wissing weist bereits in die Zukunft: "Ziel ist, dass sich die Commerzbank unabhängig am Markt behaupten kann." Leidenschaft hört sich anders an.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wolle von der Commerzbank am liebsten gar nichts mehr hören, heißt es in seinem Umfeld. Und doch gibt er Martin Blessing - Müllers Nachfolger als Vorstandschef - Sicherheit: "Er müsste Schäuble eigentlich bitten, die Aktien noch zehn Jahre zu behalten. Gegen eine Staatsbeteiligung von 25 Prozent hat Blessing insgeheim sicher nichts", sagt ein Landesbanker. So lange die Bank zum Teil dem Staat gehört, wird kein anderes Institut wagen, sie zu übernehmen.
Bis dahin hat der ehemalige McKinsey-Mann Blessing also Zeit, die Commerzbank in die Spur zu bringen. Noch verdient sie in den Filialen bei weitem nicht die Milliarde Euro im Jahr, die sich der 48-Jährige vorstellt. Dafür müsste die Bank 90 Euro mit jedem der elf Millionen Privatkunden in Deutschland verdienen. Im Moment sind es nur 24 Euro.
Der kleine Fisch und die große Welle
Doch auch wenn sich die Commerzbank erst einmal in der Nische einrichtet - was passiert auf lange Sicht? "Die nächste Übernahmewelle kommt bestimmt", sagt ein Investmentbanker. "Die Commerzbank ist langfristig allein nicht überlebensfähig", räumt ein früherer Top-Manager ein. "Das Geschäftsmodell muss internationaler werden." Nur Deutschland und Polen mit der BRE Bank seien dann als Kernmärkte zu wenig. Blessing wäre ein Partner in Frankreich oder anderswo im künftigen Kern-Europa am liebsten, sagt ein Vertrauter. Denn in dieser Welle droht die Commerzbank in ihrem heutigen Format unterzugehen.
11 Mrd. Euro ist die Bank inzwischen wieder wert - und trotzdem noch ein kleiner Fisch für eine spanische Santander etwa. "Die sind weiter bei jedem Übernahmeziel ganz vorne dabei", sagt ein Manager eines Commerzbank-Konkurrenten. "Die wollten schon die Postbank unbedingt haben." Doch bis die Commerzbank auf den Markt kommt, wird sie garantiert teurer. Denn damit der SoFFin ohne Verlust aus seinem Aktien-Engagement herauskommt, müsste der Kurs von 2 auf gut 3,70 Euro steigen. Macht 19 Mrd. Euro Börsenwert - so viel kostete die Bank zuletzt kurz nach der Dresdner-Fusion.
"Es fehlt die Vision"
Bis dahin wird eben weitergewurstelt. Die Bank hält sich noch immer an ihrer "Roadmap 2012" von vor drei Jahren fest. Die gilt noch gut 300 Tage. Oberstes Ziel: Die Marktführerschaft im Privat- und Firmenkundengeschäft in Deutschland ausbauen. "Der Fokus liegt auf profitablem Wachstum der Kernbank", heißt es aus den Chefetagen im gelben Turm. Doch selbst viele der 59.000 Mitarbeiter zweifeln. "Es fehlt die Vision, an der alle arbeiten. Das kommt in jeder Mitarbeiterbefragung als größtes Problem heraus", sagt ein Händler, der wie so viele ungenannt bleiben will, mit denen man über die Commerzbank spricht.
Wie aus dem Rezeptbuch von Blessings früherem Arbeitgeber McKinsey klingt die Idee, mit der die Bank ihre Ziele im eigenen Haus verständlich machen will. Eine handgroße Glaspyramide haben die Mitarbeiter auf den Schreibtisch gestellt bekommen, darauf fünf Ziele eingraviert. Doch mit blutleeren Sätzen wie "Wir wollen kosteneffizient arbeiten" können sie nicht viel anfangen. "Da haben alle nur mit dem Kopf geschüttelt", sagt der Händler. "Letztlich endeten die Dinger als Briefbeschwerer oder verschwanden in den Schubladen."
Die schiere Größe

Commerzbank-Chef Blessing: Er ließ sich eine Glatze scheren, als die Haare schütter wurden. Ein ähnlich radikaler Schnitt wartet nun auf die Coba.
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Am 15. November 2005 ist die Vision noch eindeutig - auch wenn das damals keiner so sagt. Die Übernahme der Eurohypo soll die Commerzbank groß genug machen. Groß genug, um die Dresdner Bank kaufen zu können und nicht gekauft zu werden. "Das Ziel war ganz klar: die Commerzbank vom Objekt zum Subjekt zu machen. Müller hatte Angst vor einer Übernahme und wollte stattdessen selber handeln", erklärt ein hochrangiger Manager die Motivation des damaligen Commerzbank-Chefs. Die Bank rechtfertigt den Kauf heute damit, dass sie die Position als eine der führenden Banken in Deutschland habe ausbauen wollen.
Auch kurz vor dem Kollaps von Lehman Brothers ist die Welt für die gelbe Bank noch in Ordnung. Am 31. August 2008, zwei Wochen vor seinem 64. Geburtstag, ist Müller scheinbar am Ziel: Die Commerzbank schluckt die Dresdner Bank, nachdem die Allianz den Ausflug ins Bankgeschäft ernüchtert abgebrochen hat. "Wir nutzen eine einmalige Chance... Wir formen einen Marktführer von europäischem Format", jubelt Blessing, erst drei Monate zuvor zum Sprecher des Vorstands gekürt. Sein Vorgänger Müller, jetzt Aufsichtsratschef, schaut zufrieden zu.
Da ist sie endlich, die Größe, die er immer wollte. Die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD findet das gut, auch weil der joviale Müller, als Chef des Bankenverbandes bestens in Berlin vernetzt, schon lange dafür geworben hat. "Müller hatte der Politik über Jahre hinweg eingeflüstert, dass Deutschland einen zweiten 'nationalen Champion' braucht", sagt ein früherer Vorstand. Eine zweite Bank sollte es sein, die deutsche Firmen an die Weltmärkte begleitet, meinten vor allem die, denen die Deutsche Bank längst zu wenig deutsch war.
Doch damit ist die Commerzbank - wie der ungehorsame Ikarus in der griechischen Sage - der Sonne endgültig zu nahe gekommen. Nur Milliardenhilfen des Staates bewahren Blessings Institut vor der Kernschmelze, als die Finanzmärkte nach der Pleite von Lehman zusammenbrechen. "Ohne die Eurohypo und die Dresdner Bank wäre die Commerzbank relativ unbeschadet durch die Finanzkrise gekommen", bilanziert einer, der die Rettungsaktion maßgeblich begleitet hat. Aber es gibt keinen Weg zurück.
Blessing räumt auf - seit drei Jahren
Seither betreibt Blessing wenig mehr als Schadensbegrenzung. Ikarus hat genug vom Fliegen, klappt die Flügel ein und bleibt lieber am Boden. Größe ist kein Ziel für den hemdsärmeligen Banker, der gerne flapsige - manchmal zu flapsige - Bemerkungen fallen lässt. Im Gegenteil: Seit der Dresdner-Übernahme ist die Bank auf Schrumpfkurs. Um rund 400 Mrd. Euro hat er die Bilanz bereits eingedampft. Heute werden die Geldhäuser von den Aufsehern dafür bestraft, wenn sie größer werden. Und die Commerzbank gehört immer noch zu den 30 größten, am meisten vernetzten Instituten der Welt. Dabei hatte Blessing das große, in der Branche als "Zockerbude" beschimpfte Investmentbanking der Dresdner Bank, Dresdner Kleinwort, von Beginn an auf ein handliches Format gestutzt.
Die Aufgabe des Vorstandschefs ist ein einziges Aufräumen dessen, was Müller ihm hinterlassen hat. Bei Dresdner Kleinwort war das von Anfang an Teil des Plans. Die Zocker mussten weg, nachdem die Allianz sie noch mit einem 400 Mio. Euro großen Bonustopf bei Laune gehalten hat, damit sie nicht schon vor der Fusion in Scharen flohen. Nach der Fusion strich Blessing die Summe kurzentschlossen drastisch zusammen.
Das Problem Eurohypo
Interessant an der Dresdner war und ist für die Commerzbank nur das Filialgeschäft, das sie zur deutschen Bank mit den meisten Kunden machte - für ein Jahr, bis die Deutsche Bank mit der Postbank vorbeipreschte. "Die hätte viel besser zur Commerzbank gepasst", sagt heute ein Banker, der die beiden Institute durch die Fusion begleitet hat.
Doch nicht nur die Dresdner Bank ist der Grund, warum an einem Freitagabend im Oktober 2008, einen Steinwurf vom Commerzbank-Tower entfernt, in der ehemaligen hessischen Landeszentralbank das Telefon klingelt. Der Grund steht auch in Eschborn, an der Frankfurter Zubringer-Autobahn, und heißt Eurohypo. Sie hat sich übernommen. In den fetten Jahren hat sie gerne mal protzige Appartmentblocks in New York finanziert oder schicke Hochhäuser in den europäischen Finanzmetropolen. Erst später wird sie mit Projekten wie der Münchner "Allianz-Arena" oder dem "Opernturm" in Frankfurt wieder heimatbezogener.
Doch jetzt, in der Finanzkrise, klappt die Fristentransformation nicht mehr - langfristige, vermeintlich lukrative Kredite mit kurzfristigem Geld zu refinanzieren. Nun leihen sich die Banken nichts mehr, und der Eurohypo droht das Geld auszugehen - genau wie dem Rivalen Hypo Real Estate in München. Das droht auch die gesamte Commerzbank in den Strudel zu ziehen.
Einige Wochen schon haben Blessing und seine Kollegen hin- und hergerechnet, nun lässt sich der bittere Anruf nicht mehr vermeiden. Im Gebäude der ehemaligen Landeszentralbank haben sich seit einigen Tagen der frühere Sparkassenmanager Karlheinz Bentele, Ex-Helaba-Chef Günther Merl und der zurückgetretene baden-württembergische Finanzminister Gerhard Stratthaus mit 15 von der Bundesbank abgeordneten Beamten eingenistet, um den SoFFin aus der Taufe zu heben. Der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung (SoFFin) soll verhindern, dass eine deutsche Bank in der Krise umfällt. Die Commerzbank wackelt als erste.
Ein Wochenende lang rechnen Investmentbanker, Juristen und Wirtschaftsprüfer fieberhaft, dann ist klar: Mit 8,2 Mrd. Euro frischem Kapital und 15 Mrd. Euro Garantien soll die Bank gestützt werden. "Commerzbank stärkt Kernkapital und Wettbewerbsfähigkeit", schreibt Öffentlichkeitsarbeiter Richard Lips über die Pressemitteilung. "Das war eine Not-OP und keine Schönheitsoperation", schüttelt ein Insider aus dem Bundesfinanzministerium den Kopf. "Damals dachte man noch, das sei großzügig bemessen. Das ganze Ausmaß der Notlage ist ja erst später klargeworden", erinnert sich ein zweiter, der damals dabei war. Die Commerzbank hat andere Erinnerungen. Man habe vor der Wahl gestanden: Drosselung des Geschäfts oder staatliche Rekapitalisierung, heißt es in einer schriftlichen Erklärung des Instituts auf Anfrage von Reuters. "Um die Kreditversorgung für den deutschen Mittelstand aufrecht zu erhalten, entschied sich die Commerzbank für den zweiten Weg."
"Wir springen - oder der Laden ist weg"
Keine drei Jahre vor der ersten Staatshilfe: Ein strahlender Klaus-Peter Müller bejubelt einen "Quantensprung", den größten Zukauf, den die Commerzbank in 50 Jahren bewältigt hat. Er muss es wissen, hat er doch bis dato 39 davon für sie gearbeitet. Müller hat die Börsenpläne der Eurohypo durchkreuzt und den anderen Aktionären Dresdner und Deutsche Bank ihre Anteile abgekauft - und dabei die Hypo Real Estate ausgestochen, die ebenfalls ein Auge auf die Eurohypo geworfen hat. "Wir steigen dadurch zur führenden Geschäftsbank innerhalb Deutschlands mit Schwerpunkt Finanzierungen auf", beschreibt er umständlich den Erfolg. "Wir wussten: Entweder wir springen - oder der Laden ist weg", erinnert sich ein Zeitzeuge. "Es war absehbar, dass in Deutschland keine vier Großbanken übrig bleiben würden."
Nun ist die Commerzbank endlich nicht mehr die Nummer vier, sondern die Nummer zwei. Sie werde den Aktionären mehr und vor allem stabilere Gewinne abliefern, malt Müller die Zukunft in rosigen Farben. Schließlich sei der Konzern nun mit dem Immobilien- und Staatsfinanzierungsgeschäft viel breiter aufgestellt als vorher. Doch hinter den Kulissen wird auch bei den Verkäufern gefeiert: "Wir haben uns abgeklatscht, als Müller unterschrieben hat", feixt heute noch einer von ihnen. Mehr als 4,5 Mrd. Euro bekamen Dresdner und Deutsche Bank. "Das ging erstaunlich schmerzlos. Wir haben schon damals nicht mehr an die Immobilie geglaubt." Ein Fondsmanager sagt heute: "Bei der Eurohypo hat man die Zeichen der Zeit nicht erkannt."
Sargnagel Staatsanleihen
Das gibt inzwischen auch die Commerzbank zu. Das strategische Ziel einer Stabilisierung der Erträge sei nicht erreicht worden, erklärt das Institut. Doch damals strotzen die Pressemitteilungen vor Superlativen. 2006 fährt die Eurohypo einen Rekordgewinn von fast 700 Mio. Euro ein, das Neugeschäft liegt bei stolzen 35 Mrd. Euro. "Das war sicher nicht alles erstklassiges Geschäft. Man hat nicht genau genug hingeschaut", räumt ein Manager ein. Und dann soll die Eurohypo auf Geheiß der Mutter auch noch einer der zwei größten Staatsfinanziers in Europa werden. Mit der in der Branche schon länger in zweifelhaftem Ruf stehenden Commerzbank-Tochter EssenHyp kommen zum eigenen Bestand von 100 Mrd. Euro an Staatspapieren fast 70 Mrd. Euro hinzu.
Obwohl Vorstand Michael Reuther sofort den Rückwärtsgang einlegt, sind davon heute noch knapp 100 Mrd. Euro übrig. Es sind die gleichen Staatspapiere, die der Commerzbank ein Loch von 5 Mrd. Euro in ihrer Kapitaldecke bescheren. Allein die Abschreibungen auf griechische Staatsanleihen werden 2011 die 2-Mrd.-Euro-Schwelle erreichen - so viel wie bei keiner anderen deutschen Bank. "Eine Staatsschuldenkrise, wie wir sie heute erleben, war zum damaligen Zeitpunkt nicht voraussehbar", rechtfertigt die Commerzbank den Eurohypo-Kauf.
Die Geister der Vergangenheit, Blessing wird sie nicht los. Die Übernahmen ketten ihn an den Staat. Keine zwei Monate nach dem ersten Gang zum SoFFin braucht die Commerzbank weitere 8,2 Mrd. Euro - diesmal für die Dresdner Bank. Und noch schlimmer: Der Staat übernimmt direkt 25 Prozent und eine Aktie an der Commerzbank. Damit könnte er viel blockieren, mischt sich aber nur bei politisch sensiblen Themen ein - etwa wenn es um die künftigen Vorstandsgehälter für Blessing & Co. geht.
Hätte Blessing die Dresdner-Übernahme absagen sollen? "Das war ein Riesenfehler", schimpft ein Fondsmanager. Das Kerngeschäft sei heute nachhaltig profitabel, hält die Commerzbank dagegen. "Das zeigt, dass die Übernahme der Dresdner Bank strategisch richtig war und ist." Es habe keine Klausel gegeben, die den Rücktritt vom Kaufvertrag ermöglicht hätte, ergänzt ein Kenner der Bank. "Ohne Staatshilfe hätte Blessing die Transaktion abgeblasen", ist sich ein anderer sicher.
Feststeht, dass die Politik kräftig mitmischte. Auch als sich die Dresdner als eine Art trojanisches Pferd entpuppt, lässt Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht locker: "Aus Sicht der Kanzlerin war die Frage: Wen beschädigt man lieber - die heilige Kuh Allianz oder die Commerzbank", sagt einer, der mit an den Hebeln zog. Der Versicherer musste also aus dem Strudel herausgehalten werden, dafür sollte Blessing den Kopf hinhalten. "Die Regierung hat die Commerzbank gedrängt, zum SoFFin zu gehen. Und Blessing wollte so etwas wie der Musterknabe der Kanzlerin sein."
"Da geh ich nicht nochmal hin"
Das hat sich geändert. Drei Jahre nach dem Gang nach Canossa sitzt Martin Blessing auf dem Tisch im rundum verglasten "Hotel Hafen Hamburg", hoch über den Landungsbrücken in der Hansestadt, und schlägt die Beine übereinander. Geplant ist eigentlich ein netter Abend mit Wirtschaftsjournalisten, doch nun geht es wieder darum, ob die Commerzbank zum SoFFin muss, weil die EU-Bankenaufsicht EBA 5 Mrd. Euro mehr Eigenkapital fordert als das Institut hat. Es ist nicht lange her, da sah man Blessing die Erleichterung an über den Befreiungsschlag, mit dem er über 14 Mrd. Euro an Stillen Einlagen an die Regierung zurückgeben konnte.
Nun ist die gute Laune wie weggeblasen, denn die als Ohrfeige empfundene Milliardenforderung der Londoner Aufseher hat wieder Frust erzeugt: "Da haben wir die größte Kapitalerhöhung des Jahres hingelegt - und dann reicht es immer noch nicht", stöhnt ein Mann aus der Finanzabteilung. Der Satz, den der Bremer Blessing im Oktober 2011 in Hamburg im Brustton der Überzeugung sagt, klingt trotzig und selbstbewusst. Und er sagt viel über sein neues Verhältnis zur Politik: "Da geh ich nicht nochmal hin." Das ist kein spontaner Ausbruch, Blessing hat nur auf die Frage gewartet, und er wiederholt die Antwort: "Da geh ich nicht nochmal hin." Deshalb wird lieber gespart - auch im Kleinen: "Gerade wurden bei uns Kaffee und Wasser gestrichen - das müssen wir jetzt kaufen", berichtet der Commerzbank-Händler.
Das reicht für die EBA, aber nicht für die Zukunft. Deshalb will Blessing die Wurzel des Übels ein für allemal ausreißen - so wie er sich eine Glatze scheren ließ, als die Haare schütter wurden. Die Eurohypo, die die Commerzbank groß machen sollte, soll auf ein Zehntel einstiger Größe schrumpfen. Ein handliches Volumen von 25 Mrd. bis 30 Mrd. Euro in vier, fünf Ländern soll bleiben - zuletzt war es noch mehr als das Doppelte. Ein konservatives Haus, refinanziert durch den guten alten Pfandbrief, das ist der Plan. Der Bilanzabbau sei in zwei oder drei Jahren zu schaffen, "einfach indem man die Hände in den Schoß legt", sagt ein Branchenkenner. Die großvolumigen Kredite laufen heute schneller aus als früher.
Der Rest: ein Fall für die "Portfolio Restructuring Unit", die interne "Bad Bank", in der Papiere und Kredite über Jahre verwaltet werden können, in der Hoffnung, dass sich irgendwann ein Schnäppchenjäger findet, der sie für einen Bruchteil des ursprünglichen Wertes kauft. Dann ist die Eurohypo nicht mehr als eine Abteilung der Commerzbank - Strukturen, wie sie der Ex-Unternehmensberater Blessing liebt. Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert, werden die leuchtenden roten "EUROHYPO"-Lettern an der Autobahnausfahrt Eschborn-Ost also bald abmontiert.
Ein Pfeil ins Coba-Herz
Wer kurz vor dem Real-Supermarkt rechts abbiegt und in die Eingangshalle der Eurohypo-Zentrale tritt, atmet die alte und die neue Commerzbank zugleich. Dass der 200 Meter lange, 120 Mio. Euro teure Bau aus der Luft betrachtet wie ein Pfeil aussieht, sieht man nicht, wenn man hineinspaziert. "Die Pfeilspitze zeigt zur Frankfurter Innenstadt, und damit behalten wir das Bankenviertel fest im Blick", hatte Jochen Klösges, heute Commerzbank-Vorstand, zur Eröffnung 2004 den Mitarbeitern zugerufen. 1200 sollten hier einmal arbeiten, heute langweilen sich zwei Pförtner im riesigen Foyer. Manchmal huscht jemand durch die langen Gänge.
Die ganze Eurohypo beschäftigt weltweit noch etwas mehr als 1000 Menschen, und davon dürften weitere 300 bald ihren Arbeitsplatz verlieren. Doch dazu muss die EU mitspielen. Noch steht die Forderung im Raum, die Eurohypo bis 2014 zu verkaufen, als "Strafe" für die Staatshilfen. Ein leicht zu verschmerzendes Zugeständnis, hatte Blessing vor drei Jahren gemeint. Denkste. Hypothekenbanken sind nach der Finanzkrise keine schönen Bräute mehr, niemand will sie haben - schon gar nicht in dieser Größe. Doch ob Blessing in den Verhandlungen mit dem Argument durchkommt, die Schrumpfkur sei eine ähnlich große Konzession?
Um bis zur Bilanzpressekonferenz am Donnerstag fertig zu sein und eine Einigung zu verkünden, verlaufen die Verhandlungen Bankkreisen zufolge zu zäh. Eine Forderung, stattdessen den Online-Broker Comdirect zu verkaufen, der 2010 mehr verdient hat als alle 1400 Filialen zusammen, oder die polnische BRE Bank, könnte den Plan torpedieren. Derweil ist die Stimmung in Eschborn am Nullpunkt angekommen, wie Mitarbeiter berichten. "Das Warten zermürbt. Die Leute wollen einfach eine Entscheidung. Sie wollen wissen, ob und wie es weitergeht."
Quelle: ntv.de, Kathrin Jones, rts