Schrittweise zurück zur Normalität EZB stellt Zinsweichen
09.06.2011, 19:39 Uhr
Bereit zum Schritt aufs erste Treppchen.
Es ist gekommen wie erwartet. EZB-Präsident Trichet hat die Codewörter "hohe Wachsamkeit" in den Mund genommen. Damit wird signalisiert, dass die EZB wohl schon im Juli in ihrer Zinspolitik einen Schritt weiter gehen wird. Denn ist die EZB erst einmal "wachsam", ist der nächste Zinsschritt nicht weit.
Die Erwartungen vieler Investoren und Analysten im Vorfeld der Ratssitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) sind erfüllt worden. Die EZB stellt ungeachtet der eskalierenden Schuldenkrise in Griechenland, die Weichen für die zweite Zinserhöhung in diesem Jahr. Sowohl der anhaltend hohe Inflationsdruck, als auch das stärkere Wachstum in der Euro-Zone bestätigen EZB-Präsident Jean-Claude Trichet in seinem Plan, den Ausstieg aus der "Politik des billigen Geldes" zügig voranzutreiben.
Wie bei früheren Gelegenheiten, kündigte er den nächsten Zinsschritt mit den Wörtern "hohe Wachsamkeit" (strong vigilance) an. Also darf davon ausgegangen werden, dass im Juli eine geldpolitische Straffung erfolgen wird. Zinsbeobachter gehen von einer Zinsanhebung um einen weiteren Viertelprozentpunkt aus. Das Prozedere ist am Markt erprobt.
Die griechischen Spannungen dürften bei der Entscheidung der EZB im Juli wieder kaum eine Rolle spielen. Die Konjunktur des gesamten Euroraums steht mittlerweile gut da. Außerdem muss die EZB ihre Glaubwürdigkeit schützen. Mit der Zinswende signalisiert die Notenbank, dass die langfristige Preisstabilität für sie das Maß aller Dinge bleibt - und nicht etwa Rettungsmaßnahmen in der Schuldenkrise. Gut ist, dass der Euro-Währungsraum damit für Investoren attraktiv bleibt. Der Euro reagierte auf die verklausulierte Ankündigung der Zinserhöhung im Juli mit Verlusten. Die Marktteilnehmer würden offensichtlich nach dem Motto "buy the rumour, sell the fact" reagieren, hieß es dazu am Markt.
Inflationsdruck hält an
Den Boden für eine weitere vorsichtige Straffung der Geldpolitik bereiteten die neuen Schätzzahlen der EZB für das Wachstum und die Inflation im Euroraum. Die EZB erhöhte die Wachstumsprognose für die Eurozone - gestützt von einem robusten Wachstum in Deutschland - für dieses Jahr auf 1,9 Prozent (Spanne: 1,5 bis 2,3). Bislang hatte die EZB mit einem Durchschnittswert von 1,7 Prozent gerechnet. Für das kommende Jahr rechnen die Experten der EZB dann allerdings nur noch mit einem Wachstum von 0,6 bis 2,8 Prozent. Im März hatten sie noch ein Plus von 0,8 bis 2,8 Prozent vorausgesagt.
Die Preise in der Eurozone werden der neuesten EZB-Schätzung in diesem Jahr ebenfalls deutlich stärker steigen als bislang angenommen: Getrieben von einem Schub bei den Energie- und Rohstoffpreisen werde die Inflation im laufenden Jahr auf 2,6 Prozent (Spanne: 2,5 bis 2,7) zulegen, sagte Trichet. Bisher hatte die EZB mit einer Teuerungsrate von 2,3 Prozent gerechnet. Alle Daten und Prognosen liegen weit über der mittelfristigen Stabilitätsmarke der EZB von knapp zwei Prozent.

Allein auf weiter Flur: Die EZB fährt in Sachen Geldpolitik vor. Die Fed bleibt weit zurück.
(Foto: Reuters)
Die Lage an der Preisfront dürfte sich nach Einschätzung der Währungshüter erst im kommenden Jahr wieder beruhigen. Beim Kampf gegen die Inflation und dem Weg aus der Krise ringt die EZB mit einer extrem unterschiedlichen Entwicklung in den 17 Euro-Staaten. Während in Deutschland die Wirtschaft brummt, hinken die meisten anderen Staaten stark hinterher. Für Deutschland wäre daher ein deutlich höherer Leitzins notwendig - für andere eher schädlich.
Im April hatten Trichet & Co. trotz der schwelenden Schuldenkrise und scheinbar nach langem Zaudern und Zögern die Wende gewagt und den Schlüsselzins um einen Viertelprozentpunkt auf 1,25 Prozent heraufgesetzt. Der Schritt kam angesichts der Schuldenkrise nicht bei allen Notenbankbeobachtern gut an. Auch Trichet dürfte sich mit dem Zeitpunkt schwer getan haben. Auch er wird die Staatsschuldenkrise immer im Blick behalten. Denn jede Zinserhöhung belastet auch die Hochdefizitstaaten am Rande der Euro-Zone.
Um hier allerdings keine falschen Erwartungen zu wecken, wiederholt EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark gebetsmühlenartig, dass nicht die Not einzelner Euroländer, sondern die Geldpolitik der gesamten Eurozone im Blick behalten werden muss. Die EZB könne dabei keine besondere Rücksicht mehr auf die wirtschaftlich angeschlagenen Schuldenstaaten Irland und Griechenland nehmen, argumentieren auch die Experten von Goldman Sachs.
Trichet für seinen Teil muss sich nicht mehr allzu lange mit diesen Fragen auseinandersetzten. Der Ernennung des Italieners Mario Draghi zum neuen EZB-Präsidenten steht nichts mehr im Wege, nachdem der EZB-Rat keine Bedenken gegen den Kandidaten geäußert hat. Draghi verfüge über professionelle Erfahrung in geldpolitischen und bankspezifischen Angelegenheiten, erklärte die Bank.
Kein Ausstieg aus den Nothilfen
Während die Leitzinsen so offenbar zügig in normale Bahnen zurückgeführt werden, ist die Rückführung der in der Finanzkrise eingeführten Kredithilfen nicht auf dem Schirm der EZB. Die Geschäftsbanken der Problemländer profitieren seit längerem von den großzügigen Bedingungen bei der Liquiditätszufuhr.
Die EZB will ihre großzügige Versorgung der Geschäftsbanken mit Zentralbankgeld zunächst unverändert fortsetzen. Sowohl im wöchentlichen Hauptrefinanzierungsgeschäft als auch bei speziellen Refinanzierungsgeschäften werde die Vollzuteilung beibehalten, sagte EZB-Chef Trichet. Damit können sich die Banken wie auch bisher unbegrenzt mit Liquidität bei der Notenbank versorgen. Diese Maßnahme hatte die EZB bereits in der Finanzkrise ergriffen.
Die Verlängerung der Krisenmaßnahmen gelten laut Trichet solange wie erforderlich, mindestens aber bis Oktober 2011. Das wöchentliche Refinanzierungsgeschäft wird demnach wie bisher auch zum Leitzins durchgeführt. Bei den Geschäften mit monatlicher und dreimonatiger Laufzeit bemisst sich der Zins am Durchschnitt der Zinssätze der entsprechenden Hauptrefinanzierungsgeschäfte.
Trichet betonte erneut, die Krisenmaßnahmen seien zeitlich begrenzt und würden zu gegebener Zeit beendet. Damit spielt der Notenbankchef auf den sogenannten "Exit" an, den die EZB bereits begonnen hatte, wegen der Schuldenkrise aber aussetzen musste. Einige Ratsmitglieder hatten sich bereits dafür ausgesprochen, die Vollzuteilung zu beenden. Sie nannten aber keinen Zeitpunkt.
Wichtig ist, dass die EZB zuvor eine Lösung für den mangelnden Marktzugang für Banken in Griechenland, Portugal und Irland findet. Erst danach kann die EZB den Ausstieg aus den Nothilfen planen. Immerhin ist die europäische Notenbank einer der wichtigsten Anleihegläubiger Griechenlands, was auch erklärt, warum sie einer wie auch immer gearteten Umschuldung des Landes absolut ablehnend gegenüber steht.
Quelle: ntv.de, mit DJ/rts