Lagarde, übernehmen Sie! Europa ruft nach dem IWF
30.11.2011, 20:21 Uhr
IWF-Chefin Christine Lagarde.
(Foto: REUTERS)
Weil die Euro-Staaten die nötigen Mittel für eine Brandmauer um die derzeit noch stabilen Länder nicht alleine auf die Beine stellen können, soll nun der IWF aushelfen. Doch der Umweg über Washington löst das eigentliche Problem auch nicht.
Es klingt nach einem Offenbarungseid: Die Euro-Finanzminister rufen nun laut nach einem stärkeren Finanz-Beistand des Internationalen Währungsfonds, um ihre Schuldenkrise und die dadurch ausgelöste Unruhe an den Märkten unter Kontrolle zu bringen. Das Vertrauen in die eigenen Anti-Krisen-Instrumente scheint verbraucht - obwohl die Währungsgemeinschaft gerade erst die Hebelverstärkungen beim Euro-Schutzschirm EFSF beschlossen und schon früher die Wahnsinnszahl von einer Billion Euro als Höhe der "Brandmauer" gegen Ansteckungen durch den Schuldenkrise-Virus ins Gespräch gebracht hat.
Dass der IWF als Helfer mehr Mittel benötigt, ist den Europäern und ihren Partnern im Fonds - der 187 Länder repräsentiert und durch deren Beiträge getragen wird - klar. Derzeit sind beim Fonds knapp 300 Mrd. Euro für Nothilfen an Krisenländer verfügbar, kaum mehr als beim EFSF. Diskutiert wurde über mehr IWF-Kapital zwar schon auf dem G20-Gipfel in Cannes, die USA und auch Deutschland standen Anfang November jedoch noch auf der Bremse. Kanzlerin Angela Merkel sprach immerhin über neue Instrumente, die man prüfen wolle.
Das ist offenbar nun nötig angesichts der Gefahren, die sich rund um Italien und selbst um Frankreich entwickeln. Allerdings vertreten damals wie heute die meisten Schwellenländer oder auch Industriestaaten wie Japan die Meinung, die reichen Europäer sollten erst eigene Schatzkammern plündern, ehe sie die Weltgemeinschaft über den IWF mit zur Kasse bitten.
Umwege über Washington
Zwei Wege sind in der Diskussion: eine Erhöhung der Kreditmöglichkeiten durch die Ausgabe neuer Sonderziehungsrechte - der Kunstwährung des IWF - sowie bilaterale Kredite der Euro-Mitgliedsländer an den Fonds, der damit angereichert durch eigene Mittel Ländern wie Italien hilft. Den ersten Weg sehen Kritiker als eine Form des Anwerfens der Notenpresse mit Inflationsgefahren. Und den zweiten Weg bewerten Zweifler als Vermittlungsgeschäft, um die IWF-Reputation zu nutzen. Dabei ist der Fonds schon jetzt Mitzahler- und Wächter bei Euro-Hilfen: sei es für Griechenland, Portugal oder auch Irland.
Experten beurteilen die Aussichten, mit einem stärkeren IWF-Engagement das Blatt in Europa zum Besseren zu wenden, höchst unterschiedlich. Rolf Langhammer, der Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), hat Zweifel. Eigentlich, argumentiert er, fehlt dem Fonds ein Produkt für Fälle wie Italien. Weder der IWF-Standardkredit für Staaten mit Zahlungsbilanzproblemen, noch die bestehenden Instrumente zur Krisenprävention, wie eine Vorsorgliche (PCL) und eine Flexible Kreditfazilität (FCL), hält er für geeignet. Ein passgenaues IWF-Instrument für Italien sieht er nicht.
Für Langhammer ist die Hoffnung auf ein stärkeres IWF-Engagement in Europa wieder "so ein Versuch, Zeit zu gewinnen, mehr Wasser in die Pumpe für die Feuerwehr zu bekommen, als man im Teich hat". Zudem warnt er: "Auch die Mittel des IWF sind nicht unbegrenzt." Daher könne der IWF nicht ausreichend Feuerkraft entfalten, um Italien aus einer Krise zu reißen. "Es müsste hochgebaut werden." Das Problem bleibe zudem: "Jede Zahl weckt neue Fantasien an den Märkten und ist am Ende nicht ausreichend."
Problem bleibt ungelöst
Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater sieht in einer stärkeren Beteiligung des IWF über eine Zwischenfinanzierung mit Hilfe der Notenbanken immerhin einen kurzfristig wirkungsvollen Weg, um Spekulationsattacken gegen den Euro abzuwehren. "Das löst nicht das Problem (die Mega-Verschuldung), verschafft aber Zeit", urteilt er. "Hinter dem IWF steht letztlich die Bonität der ganzen Weltgemeinschaft - dagegen kommt kein Spekulant an." Zudem könnten nationale Notenbanken der IWF-Länder, die sich an der Aktion beteiligen, so gut wie sicher sein, ihr Geld wieder zu bekommen, wenn es schief geht: "Der IWF ist immer vorrangiger Gläubiger. Die Notenbanken wären es damit indirekt auch." Ihr Risiko ist damit sehr gering.
Die IWF-Lösung hätte aus Katers Sicht noch weitere Vorteile: Juristisch wäre das Vorgehen mit dem EZB-Statut und damit mit den europäischen Verträgen vereinbar. Zudem könnte die EZB dann aufhören, gezielt Staatsanleihen von Problemländern zu kaufen. Rainer Sartoris, Ökonom bei HSBC Trinkaus, bleibt vorsichtiger: "Warum sollte es indirekt über den IWF klappen, wenn es schon nicht direkt über den EFSF klappt?" Investoren und auch Länder, wie beispielsweise China, hätten schon genügend Möglichkeiten gehabt, sich an Hilfen zu beteiligten. "Und sie haben es nicht getan. Ich bleibe deshalb skeptisch, ob dann am Ende auch tatsächlich Gelder über die Notenbanken fließen."
Quelle: ntv.de, nne/rts