Geht's jetzt lo-hos? Griff nach der Zinsschraube
05.04.2011, 12:26 UhrDie Europäer wollen es den Amerikanern offenbar vormachen. Beobachter gehen fest davon aus, dass die EZB diese Woche im Alleingang an der Zinsschraube drehen wird. Lediglich ein Warnschuss oder der Beginn einer Serie geldpolitischer Straffungen?

EZB-Chef Trichet hat starke Signale für eine baldige Zinswende ausgesendet.
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte nach Ansicht von Experten in dieser Woche erstmalig nach der Wirtschaftskrise ihren Leitzins anheben. Volkswirte erwarten einen Zinsschritt um 25 Basispunkte auf 1,25 Prozent. "Die ersten 25 Basispunkte werden fällig sein", sagte n-tv Finanzexperte Norbert Walter. Der Zinsschritt komme zwar verspätet, aber der EZB werde immer noch das "Lob des ersten Schlages" gehören. Alle großen Notenbanken täten sich schwer. Und außer der EZB mache derzeit keine Notenbank Anstalten die Zinsen zu erhöhen, so Walter weiter. Dabei würden die Inflationszahlen - trotz der Katastrophe in Japan - Anlass genug dafür bieten.
Kommt es so wie die Experten erwarten, wäre es in mehrerlei Hinsicht ein bemerkenswerter Zinsschritt: Die europäische Notenbank wäre nicht nur die erste ihres Zeichens, die nach der krisenbedingten Geldschwemme auf die Bremse treten würde. Es wäre auch das allererste Mal für die Europäer, dass sie die Zinsen erhöhen würden, ohne dass in den USA auch nur ein entsprechender Schritt absehbar wäre.
Bernanke bleibt gelassen
Die Geldpolitiker in Amerika geben sich im Unterschied zu den Europäern entspannt, wenn es um steigende Inflation geht. US-Notenbankchef Ben Bernanke betont ein ums andere Mal, dass der jüngste Preisschub ihnen keinen Anlass gebe, zu handeln. Der Anstieg der Preise sei nur vorübergehender Natur und dürfte sich nicht zu einem breiteren Inflationsproblem ausweiten, so Bernanke. Der Preisschub sei allein auf hohe Energie- und Rohstoffpreise zurückzuführen. Gleichzeit stellt er aber klar, dass die Zentralbank, sollte sich seine Prognose als falsch herausstellen und die Inflation an Kraft gewinnen, durchaus reagieren werde.
Die Spekulationen, dass die EZB einen Alleingang wagen könnte, erhielten im Vorfeld vor allem durch entsprechende Aussagen der EZB viel Nahrung. Notenbankchef Jean-Claude Trichet ebenso wie andere Ratsmitgliedern machten bereits im März sehr klare Andeutungen. Laut Trichet sah der EZB-Rat bereits vor einem Monat überwiegend Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität. Man verfolge die Entwicklungen deshalb mit hoher Wachsamkeit (strong vigilance), hieß es. Eine Zinserhöhung sei bereits am 7. April möglich. Für die Beobachter konnte die Ankündigung kaum deutlicher formuliert sein.
Parallelen zu 2005
Sollte der Zinsschritt nun tatsächlich wie erwartet am Donnerstag kommen, würde die Notenbank nicht nur vorpreschen, sondern auch allen zusätzlichen konjunkturellen Unsicherheiten, die sich nach der Euro-Krise durch die Erdbebenkatastrophe in Japan ergeben haben, zum Trotz handeln. Die Frage ist, wird es bei diesem Zinsschritt bleiben oder läutet die EZB damit den schon seit längerem erwarteten Exit aus der Krisenpolitik ein. Wird die EZB die Zügel bei der Geldpolititk in den nächsten Monaten weiter anziehen?
Trichet selbst hatte im März betont, dass die EZB nicht vor einer Serie von Zinserhöhungen stehe. Beobachter messen diesen Äußerungen allerdings nicht allzu viel Bedeutung bei. Sie verweisen vielmehr auf die bemerkenswerte Parallele zu ähnlichen Voraussetzungen und Abläufen Ende 2005: Auch damals waren die Inflationsraten wegen rapide steigender Rohstoff- und Nahrungsmittelpreise kräftig angestiegen. Gleichzeitig kletterten auch die Inflationserwartungen. Und obwohl Trichet mehr als einem Zinsschritt eine Absage erteilt hatte, setzte – entgegen seiner Beteuerung – ein ganzer Zinserhöhungszyklus ein.
Alarmbereitschaft wegen Teuerung
Seit der vergangenen EZB-Ratssitzung haben sich die Anzeichen in diese Richtung zudem weiter verstärkt. Die Verbraucherpreisinflation nahm im März entgegen den Erwartungen weiter zu und stieg von 2,4 Prozent auf 2,5 Prozent, während Volkswirte einen Rückgang auf 2,3 Prozent prognostiziert hatten. Die von der EU-Kommission ermittelten Inflationserwartungen von Produzenten und Verbrauchern stiegen ebenfalls und lagen nicht mehr weit entfernt von ihren Allzeithochs.
Vor diesem Hintergrund dürfte es zumindest sehr wahrscheinlich sein, dass der EZB-Rat den Hauptrefinanzierungssatz um 25 Basispunkte anheben wird. Auch weitere Zinsschritte sind nicht ausgeschlossen. Beobachter rechneten bereits auf Basis der Informationen der vergangenen Ratssitzung mit bis zu drei Zinserhöhungen noch in diesem Jahr.
Möglich ist auch, dass die EZB bei dieser oder einer der nächsten Sitzungen daran geht, den Zinskanal zu normalisieren. Sie hatte den Einlagenzins bei der letzten Zinssenkung im Mai 2009 nicht mehr gesenkt, sondern bei 0,25 Prozent belassen. Außerdem war der Spitzenrefinanzierungssatz um 50 Basispunkte auf 1,75 Prozent reduziert worden, so dass der Leitzinskanal seither nur noch 1,50 Prozentpunkte anstatt von 2,0 Punkten beträgt.
Langer Weg zur "Normalität"
Wollte die EZB eine Normalisierung herbeiführen, würde sie den Hauptrefinanzierungssatz anheben, den Einlagensatz aber konstant halten. Zudem müsste der Spitzenrefinanzierungssatz stärker als der Hauptrefinanzierungssatz erhöht werden.
Im Hinblick auf die Liquiditätsversorgung der Banken hat die EZB bei der vergangenen Ratssitzung ihre Entscheidungen für das nächste Quartal bereits getroffen: Die Vollzuteilung zum Mindestbietungssatz bei Hauptrefinanzierungsgeschäften und den Geschäften mit der Laufzeit einer Mindestreserveperiode bleibt bestehen. Dreimonatige Tender werden zu dem während ihrer Laufzeit herrschenden Hauptrefinanzierungssatz abgerechnet.
Bis zu einer Normalisierung des geldpolitischen Handlungsrahmen ist es auf jeden Fall noch ein weiter Weg - nicht zuletzt wegen der Sonderkonditionen, die die EZB Ländern wie Griechenland und - seit vergangenem Donnerstag auch Irland - bei der Einreichung von Sicherheiten in Repo-Geschäften einräumt.
Quelle: ntv.de, ddi/DJ