Wirtschaft

Bündnisse bekommen Risse IWF füllt die Krisenkasse

Finanzminister und Zentralbanker posieren mit IWF-Chefin Lagarde für ein Foto in Washington.

Finanzminister und Zentralbanker posieren mit IWF-Chefin Lagarde für ein Foto in Washington.

(Foto: REUTERS)

Der zweite Billionen-Dollar-Rettungsschirm in der Schuldenkrise steht: Der Club der Top-Wirtschaftsmächte einigt sich nach kurzem, aber heftigen Streit, die Feuerkraft des Internationalen Währungsfonds zu erhöhen. Doch die Gegensätze sind nicht ausgeräumt, weitere Reibereien unvermeidlich.

Am Ende überwog die Erleichterung. Es gab auch gute Gründe dafür beim Frühjahrstreffen des Internationalen Währungsfonds in Washington: Nach einem monatelangen Schlagabtausch untereinander einigten sich die wichtigsten Industrie- und Schwellenländern nun doch überraschend schnell - wenn auch mit bedeutsamen Ausnahmen - dem gerade erst stark aufgestockten europäischen Schutzwall gegen die Krise einen ebenso hohen auf globaler Ebene beim IWF zur Seite zu stellen. Dieser "Ausdruck kollektiver Entschlossenheit", wie IWF-Chefin Christine Lagarde den Schritt feierte, könnte zur rechten Zeit ein Signal setzen. Wachsen doch seit geraumer Zeit die Spannungen zwischen den maßgeblichen Kräften der Weltwirtschaft. Verbunden ist das mit Einsturzgefahren für das mühsam errichtete globale Gerüst zur Bekämpfung aktueller und künftiger Krisen.

Es mangelt nicht an Politikern und Experten, die immer wieder mahnen, dass mit der zunehmenden zeitlichen Distanz zu den Krisenjahren 2008 und 2009 die Gemeinsamkeiten der großen Industrie- und Schwellenländern zu schwinden drohen. Das wäre gefährlich, sind sich Verantwortungsträger vom deutschen Finanzminister Wolfgang Schäuble über Bundesbank-Präsident Jens Weidmann bis zu IWF-Chefin Lagarde einig: Das hässliche Krisenmonster ist noch nicht erlegt, es schlummert nur. Solche Gefahren sollten eigentlich zusammenschweißen.

Doch das Gegenteil scheint der Fall. Interessengegensätze zwischen Industrie- und Schwellenländern, zwischen Europäern und Nicht-Europäern, zwischen Aufsteigern und Absteigern in der Rangordnung der weltweit bestimmenden Nationen treten immer deutlicher zutage. Das Hauen und Stechen untereinander spiegelt vor allem eines wider: Die Verschiebung der Kräfteverhältnisse in der Weltwirtschaft. Alte Bündnisse und Beziehungen geraten in Gefahr. Bei der aktuellen Aktion "Krisenabwehr mit Billionen" zum Beispiel haben sich die Führungsmacht USA und ihr Nachbar Kanada verweigert. Zwar nannte ein hoher US-Regierungsvertreter die Mittelerhöhung beim IWF einen "Akt der Solidarität mit Europa", merkte aber im gleichen Atemzug an, dass die USA sich daran beteiligen könnten, davon sei von Anfang an nicht die Rede gewesen.

Die Kanadier unterstellen gar, wie Finanzminister Jim Flaherty zum Ärger seines deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble deutlich machte, dass die Europäer bei der Bekämpfung der Krise in ihren Reihen nur die eigenen Kassen auf Kosten des IWF schonen wollen. Dabei sind die USA und die Kanadier seit Jahrzehnten enge Partner der großen EU-Länder wie Deutschland, Frankreich und Italien in der G7, der Gruppe der sieben "alten", ehemals die Welt dominierenden Industrieländer.

Schwellenländer uneins

Aber nicht nur unter diesen Ländern brechen Gegensätze auf. Auch die noch junge BRICS-Gruppe der weltwirtschaftlichen "Emporkömmlinge" Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika marschiert beileibe nicht immer im Gleichschritt. Kaum hatte etwa Brasiliens Finanzminister Guido Mantega in Washington den Eindruck erweckt, als wollten die BRICS-Länder die kurzfristige Mittelerhöhung beim IWF platzen lassen, um diese als Druckmittel zum Erreichen anderer Ziele zu nutzen, wurde er von Partnern wie Russland nur leidlich diskret zurückgepfiffen. Am Ende erklärten sich die BRICS nicht einmal einen Tag nach Mantegas Blockade-Androhung grundsätzlich bereit, ihren Teil zur Aufstockung beizusteuern - wenn auch noch relativ allgemein und ohne 100-prozentige Bindungskraft.

In einem sind sich die Schwellenländer dagegen vollkommen einig: Sie wollen ihre Partner aus den Industrieländern nicht aus ihrer Zusage entlassen, die 2010 verabredete und als "historisch" gefeierte IWF-Quotenreform bis zur Jahresversammlung des Fonds im Oktober zum Abschluss zu bringen. Diese Reform soll großen Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien mehr Einfluss im IWF sichern - und zwar vor allem auf Kosten der Europäer. Auch die USA stehen ausdrücklich dahinter. Doch gerade von der US-Politik droht der termingerechten Umsetzung die größte Gefahr. Es gilt nämlich als höchst unwahrscheinlich, dass der US-Kongress aufgrund des heraufziehenden Wahlkampfes dem Vorhaben rechtzeitig zustimmt. Ohne oder gegen seinen größten Anteilseigner mit dessen  Sperrminorität in wichtigen Fragen geht beim IWF gar nichts.

Dabei ist die Umsetzung der Reform erst der Aufgalopp für noch weitere tiefgreifende Änderungen in den Einfluss- und Machtstrukturen des Währungsfonds in den nächsten beiden Jahren. Das wird mit Sicherheit weiteren Streit auslösen. Vor allem für die Europäer wird es schwierig. Ihr Gewicht in der globalen Wirtschaft nimmt, nicht erst seit der Staatsschuldenkrise, beständig ab. Mit Wachstumsraten nahe der Zehn-Prozent-Marke, wie sie etwa China über Jahre gewohnt war, können die Europäer schon lange nicht mehr mithalten. Wegen dieser Einbußen an weltwirtschaftlicher Bedeutung soll auch der Einfluss Europas beim weltweit wichtigsten Krisenhelfer IWF weiter abnehmen. Dass dieser Prozess harmonisch laufen wird, erwartet kaum jemand. Signale funktionierender Zusammenarbeit sind in solch konflikträchtigen Zeiten deshalb wichtiger denn je.

Quelle: ntv.de, Gernot Heller, rts

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