Investoren verunsichert Krise hält Moskau-Börse im Würgegriff
24.03.2014, 16:30 Uhr
Folgen der Sanktionen: Die Rossija Bank rät inzwischen von Einzahlungen in Fremdwährungen ab.
(Foto: REUTERS)
Wie isoliert ist Moskau? Die unsichere Entwicklung angesichts des Krim-Konflikts setzt Anleger unter Druck. Betroffen sind zudem Banken und Energiekonzerns. Ein Blick zurück auf die Finanzkrise lässt weiteres Ungemach an der Börse erahnen.
Die Krim-Krise hält den Moskauer Aktienmarkt im Schwitzkasten - und ein Ende ist nicht in Sicht. Die zunehmende Isolation Russlands im Konflikt mit dem Westen verunsichert viele Investoren. Sie ziehen ihr Kapital ab: Der auf Rubel lautende Moskauer Aktienindex Micex gab seit der Verschärfung der Krise um die Halbinsel Krim Ende Februar rund zwölf Prozent nach. Immerhin ging es Wochenbeginn nicht weiter hinab.
Vor allem der Sanktionskatalog der USA und der EU kann international tätige Großkonzerne wie Gazprom oder Sberbank treffen und deren Gewinne deutlich schmälern, befürchten Börsianer. Hinzukommt die Rubel-Schwäche, die die Importe für russische Firmen teurer macht. Die Experten von Morgan Stanley halten Ergebnisrückgänge wie zu Zeiten der Finanzkrise 2008/2009 für möglich, als der Gewinn je Aktie der Unternehmen im Schnitt um 62 Prozent einbrach.
Massive Einbrüche möglich
Das lässt für die Kurse in Moskau nichts Gutes erahnen: Denn zum Höhepunkt der Finanzkrise lag das Kurs/Gewinn-Verhältnis (KGV) im Schnitt bei etwa zwei, sprich die Börsenpreise waren doppelt so hoch wie die Gewinne je Aktie. Heute liegt das KGV im Micex bei 3,8. Sollte das Bewertungsniveau in den nächsten Monaten auf das der Finanzkrise sinken, müssten die Kurse bei einem 62-prozentigen Gewinneinbruch um rund 80 Prozent einbrechen, wie die Morgan-Stanley-Experten vorrechnen.
Ende vergangener Woche hatte US-Präsident Barack Obama den Weg für Sanktionen gegen Kernbereiche der russischen Wirtschaft freigemacht und weitere Visasperren gegen prominente Russen angekündigt. Auch die EU-Staats- und Regierungschefs weiteten Einreise- und Kontosperren in Reaktion auf die Eingliederung der Krim in die Russische Förderation aus. Die Folgen waren unmittelbar am Kurszettel ablesbar: Der Börsenpreis des Gasproduzenten Novatek brach allein am Freitag in der Spitze um 13 Prozent ein - zu den Besitzern gehört Gennadi Timtschenko, der Putin nahestehen soll und von den US-Strafmaßnahmen betroffen ist.
Banken spüren Folgen
Bei der russischen SMP-Bank sind wegen der US-Sanktionen bislang Einlagen in Höhe von umgerechnet rund 180 Millionen Euro abgezogen worden. Das teilte das Institut selbst mit. Die Sanktionen richten sich auch gegen die Miteigentümer Boris Rotenberg und seinen Bruder Arkadi. Sie sind langjährige Judo-Partner Putins und sollen vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi mit Großaufträgen bedacht worden sein.
Die russische Bank Rossija warnt ihre Kunden derweil vor den Auswirkungen der US-Sanktionen. Das in Sankt Petersburg ansässige Institut rät, vorerst keine Zahlungen und Überweisungen mehr in Fremdwährungen auf Konten bei dem Geldhaus vorzunehmen. Überweisungen in Rubel seien dagegen unproblematisch. Das Geldhaus verfügt über Vermögensposten von rund zehn Milliarden Dollar.
Chairman und größter Aktionär Juri Kowaltschuk stehen auf der Sanktionsliste. Das Institut unterhält nach Angaben des US-Finanzministeriums Geschäftsbeziehungen zu etlichen Geldhäusern in den USA und Europa. Kowaltschuk hatte indes erklärt, die Sanktionen hätten dem Institut sogar neue Kunden unter patriotisch gesinnten Russen gebracht. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte kürzlich öffentlich gesagt, er würde ein Konto bei der Bank eröffnen.
Analyst: Russland ist Schwellenland
Der Krim-Konflikt ist aber nicht der einzige Grund, warum russische Aktien von Investoren derzeit als riskanter angesehen werden als solche aus anderen Schwellenländern. Russland sei zu stark abhängig von staatlich gelenkten Konzernen, warnt John-Paul Smith, Chef-Stratege der Deutschen Bank für Schwellenländer und seit Langem ein Russland-Skeptiker. Egal ob Öl-Produzenten, Pipeline-Betreiber oder Banken - sie alle würden oft dafür instrumentalisiert, politische oder soziale Ziele der Regierung durchzusetzen.
So gewährt Russland beispielsweise einigen Staaten Rabatte auf Gaslieferungen, um sie politisch an sich zu binden. Einnahme-Ausfälle müssten die Aktionäre des Gas-Förderers Gazprom schultern. Wegen solch politischer Abhängigkeiten vieler Unternehmen sollte Russland nicht als Schwellenland, sondern eher als Entwicklungsland betrachtet werden, sagt Smith.
Auch Maarten-Jan Bakkum, Anlagestratege für die Schwellenländer-Fonds der ING, malt ein düsteres Bild: "Schon vor der Krim-Krise wurde ich gefragt, warum ich so pessimistisch sei." Schließlich seien die Aktien doch vergleichsweise niedrig bewertet. "Meine Antwort war: In Russland können sich die Dinge jederzeit verschlechtern." Und damals waren etwaige Wirtschaftssanktionen noch in keiner Weise absehbar.
Das Ifo-Institut rechnet vor, dass ein kompletter Bruch der Handelsbeziehungen Russland wesentlich härter treffen würde als die EU. Die Exporte in die Europäische Union summierten sich auf 15 Prozent der russischen Wirtschaftsleistung, teilten die Münchner Forscher mit. Umgekehrt machten die Exporte der EU nach Russland nur etwa ein Prozent des Bruttoinlandsproduktes der EU. "Daher wäre Russland von einem Handelsembargo kurzfristig ungleich stärker betroffen", sagte Ifo-Experte Gabriel Felbermayr.
Dennoch warnte er davor, Russland auszugrenzen. "Russland ist als Absatzmarkt für Deutschland deutlich wichtiger als für die übrigen EU-Mitglieder." In Deutschland mache der Anteil der Exporte nach Russland etwa 1,4 Prozent der Wirtschaftsleistung aus.
Quelle: ntv.de, jwu/rst