Wandert der Banken-Pegel nach Paris? London bangt um den Libor
06.06.2013, 10:55 Uhr
London - ein Finanzstandort im Niedergang?
(Foto: REUTERS)
Es wäre ein herber Rückschlag für den Finanzstandort London - und zugleich wohl auch eine Art Strafe: In Brüssel denken die EU-Kommissare angeblich darüber nach, den Briten die Aufsicht über den zentralen Libor-Zinssatz endgültig abzunehmen und nach Frankreich zu verlagern.
Die EU-Kommission will einem Zeitungsbericht zufolge dem Finanzplatz London die Aufsicht über den in der Vergangenheit von mehreren Banken manipulierten Zinssatz Libor entziehen. Wie die "Financial Times" berichtete, soll die in Paris ansässige EU-Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA stattdessen die Zuständigkeit bekommen. Die Zeitung berief sich auf einen Entwurf für entsprechende Vorschläge der Kommission.
Angesichts der Bedeutung des Libor-Zinssatzes für die europäischen Finanzmärkte wäre das mehr als nur ein symbolträchtiger Schritt: Für Paris könnte sich daraus eine Entwicklung ergeben, an deren Ende die französische Hauptstadt zum wichtigsten Finanzstandort Europas aufsteigen könnte. Seit jeher konkurriert Frankreich in dieser Frage mit Großbritannien und Deutschland. Frankfurt am Main spielt bei den aktuellen Überlegungen offenbar keine größere Rolle.
Bislang sind 16 weltweit aktive Großbanken an der börsentäglichen Feststellung des überaus wichtigen Interbanken-Zinssatzes beteiligt. Am Libor (kurz für: London Interbank Offered Rate) orientieren sich unzählige Finanzgeschäfte in aller Welt - vom Hypothekenkredit bis zur komplizierten Derivate-Transaktion. An den Märkten dient der Libor als Basiszins für Finanzprodukte wie etwa Futures oder Optionen. Bankkunden kommen mit dem Libor indirekt über seine Funktion als Orientierungsmarke bei der Festlegung der Zinsen für Kredite, Sparkonten und Hypotheken in Berührung.
Der Zinssatz wird einmal täglich ermittelt, er beruht auf Angaben ausgewählter Banken zu ihren eigenen Refinanzierungskosten. Die Geldhäuser schätzen dabei, zu welchen Konditionen sie sich von anderen Banken Geld leihen können. Das Prozedere ist aber, wie sich gezeigt hat, anfällig für Tricksereien.
Falsches Spiel am ganz großen Rad
Im Zusammenhang mit dem Libor-Skandal sollen Händler die Libor-Berechnung vor und während der Finanzkrise gezielt manipuliert haben. Dabei sollen sie den Zinssatz durch bewusst falsche Angaben zu ihren Gunsten verzerrt haben - um Handelsgewinne einzustreichen und die Lage des eigenen Hauses besser aussehen zu lassen als sie tatsächlich war.
Einige Banken wurden bereits zu hohen Strafzahlungen verdonnert. Gegen mehr als ein Dutzend Institute wird noch ermittelt, darunter auch die Deutsche Bank. Offen ist bislang vor allem, ob die an der täglichen Libor-Meldung beteiligten Bank-Mitarbeiter tatsächlich nur aus eigenem Antrieb gehandelt haben.
Quelle: ntv.de, mmo/rts