Praet eine kluge Personalentscheidung Ökonomen applaudieren Draghi
04.01.2012, 13:22 UhrDie jüngsten Personalien bei der Europäischen Zentralbank stoßen auf ein positives Echo. Führende Ökonomen loben den klugen Kompromiss des Italieners Mario Draghi. Sie sehen die Unabhängigkeit der Notenbank gestärkt.
Als gelungenen Kompromiss im Sinne einer unabhängigen Zentralbank haben Volkswirte die Neuordnung der EZB-Führung bewertet. Zwar müsse Deutschland erstmals auf den prestigeträchtige Posten des Chefvolkswirts verzichten. Jörg Asmussen als neuer deutscher Vertreter im sechsköpfigen Direktorium der Europäischen Zentralbank erhalte jedoch als Vertreter der Notenbank auf der internationalen Bühne eine Schlüsselfunktion, erklärten führende Ökonomen am Mittwoch in einer dpa-Umfrage.
Die EZB hatte sich überraschend auf den Belgier Peter Praet als obersten Volkswirt geeinigt. Der für die Nachfolge von Jürgen Stark favorisierte Ex-Finanzstaatssekretär Asmussen leitet die Abteilung Internationales und die Rechtsabteilung.
Die Personalentscheidung bedeute "keine Kehrtwende in der Krisenpolitik" der Notenbank, kommentierte Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater. "Diese Politik wird weniger in der volkswirtschaftlichen Abteilung gestaltet als vom gesamten Zentralbankrat und vom Direktorium. Hier sind die großen Länder, gerade auch Deutschland, dicht an den Entscheidungen dran."
Kein Abziehbild der Bundesbank
Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW/Köln) bekräftigte, grundsätzlich gelte bei der EZB das Konsensprinzip: "Es ist eine Illusion zu erwarten, dass die Zuordnung einer Funktion zum Vertreter eines Landes diesem einen besonderen Einfluss eröffnet." Die Euro-Schuldenkrise zwinge die EZB dazu, ihre Rolle neu zu definieren, meint Hüther: "Sie ist und kann nicht mehr das Abbild der Bundesbank sein. Dieser Lernprozess hin zu flexibleren Antworten muss im Direktorium geleistet werden." Der Belgier Praet gilt als geldpolitische "Taube", die notfalls bei der Preisstabilität ein Auge zudrückt, um mit niedrigen Zinsen die Konjunktur anzuschieben.
Gustav Horn vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie (IMK/Düsseldorf) mahnte: "Die Nationalität des Chefvolkswirts der EZB, die ja eine europäische Institution ist, sollte keine Rolle für dessen Analysen spielen." Er habe keinen Zweifel, dass dies der Fall sein werde. "Europäische Wirtschaftspolitik muss für den gesamten Euroraum angemessen sein und nicht nur für ein einzelnes Land."
Glimpfliches Ende
Von einer insgesamt gelungenen Personalentscheidung sprach Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Thomas Mayer. Die "Unabhängigkeit der EZB von politischem Druck" werde gestärkt: "Der höchst problematische Prozess des Ausscheidens der beiden Ratsmitglieder Stark und Bini Smaghi wurde dadurch noch zu einem glimpflichen Ende gebracht."
Stark war aus Protest gegen die Staatsanleihenkäufe der Notenbank und die Entwicklung der Währungsunion vorzeitig ausgeschieden. Der Italiener Lorenzo Bini Smaghi hatte seinen Posten geräumt, nachdem sein Landsmann Mario Draghi im November an die EZB-Spitze gerückt war. Damit waren zwei Italiener im Direktorium vertreten, aber kein Franzose mehr. Vor allem Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy hatte Druck ausgeübt und Bini Smaghis Rücktritt gefordert.
Quelle: ntv.de, dpa