Länger arbeiten, weniger verdienen Ost-Löhne bleiben zurück
22.04.2010, 16:59 UhrVorerst ist keine Angleichung der Löhne in Ostdeutschland an das Westniveau in Sicht. Grund ist die geringe Tarifbindung in den neuen Ländern. Zudem fehlt im Osten die im Westen über Jahrzehnte gewachsene Tarifkultur.
Ostdeutsche Arbeitnehmer dürften beim Tarifniveau ihren Kollegen im Westen auf absehbare Zeit hinterherhinken. Diese Einschätzung traf das gewerkschaftsnahe Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI). Kurzfristig sei keine Angleichung zu erwarten, sagte der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Reinhard Bispinck. 20 Jahre Tarifpolitik im Osten seit der Wiedervereinigung seien zwar insgesamt eine Erfolgsgeschichte. "Von gleichen Lebensverhältnissen mit Blick auf Tarifverträge kann man aber nicht sprechen."
Lag das Tarifniveau in Ostdeutschland 1991 bei 60 Prozent des Westniveaus, waren es Ende 2009 immerhin 96 Prozent. Am stärksten ging die Schere bis Mitte der 1990er Jahre zusammen, dann verlangsamte sich die Entwicklung, seit einigen Jahren stagniert sie fast. Es klaffe aber eine große Lücke zwischen Tarifabschlüssen und tatsächlichen Standards in den Betrieben, sagte Bispinck.
Denn die Effektivverdienste erreichen im Osten nur 83 Prozent vom West-Niveau. Grund dafür seien einerseits die geringe Tarifbindung: Rund die Hälfte der Beschäftigten, aber nur knapp jedes vierte Unternehmen ist tarifgebunden. Im Westen seien es rund 40 Prozent der Firmen. Zudem fehle in den neuen Ländern die im Westen über Jahrzehnte gewachsene Tarifkultur.
Ruf nach dem Mindestlohn
Auch bei der Arbeitszeit haben die Beschäftigten zwischen Rügen und dem Erzgebirge noch nicht den Anschluss geschafft: Im Schnitt müssen sie 38,8 Stunden pro Woche arbeiten und damit 1,4 Stunden mehr als ihre Kollegen im Westen. Zudem haben sie mit durchschnittlich 26,8 (Westen: 28,1) Tagen weniger Anspruch auf Urlaub. Das Urlaubsgeld - festgelegt als Prozentsatz des Monatslohns - hat in vielen Bereichen zwar Westniveau erreicht. "Da, wo es als fester Euro-Betrag vereinbart ist, ist es teilweise noch deutlich geringer", erklärte das WSI.
Um die Tarifkluft zu verringern, müsste nach Einschätzung Bispincks dem gesamten Tarifsystem wieder mehr Leben eingehaucht werden. Dies sei vor allem Aufgabe der Gewerkschaften. Aber auch die Politik könnte mit einem einheitlichen, branchenübergreifenden Mindestlohn dazu beitragen, so das Institut.
In diesem Jahr müssen sich Arbeitnehmer in ganz Deutschland nach Ansicht von Bispinck mit geringeren Tarifsteigerungen abfinden. Die durchschnittlichen Lohn- und Gehaltserhöhungen dürften 2010 deutlich niedriger ausfallen als im Vorjahr mit 2,6 Prozent. "Das werden wir definitiv nicht erreichen." Dies gehe aus den bisherigen Tarifabschlüssen hervor. Nach Abzug der Preissteigerungen könnte aber ein reales Plus übrig bleiben, wenn die Inflation nicht mehr als ein Prozent betrage.
Quelle: ntv.de, wne/rts