Keine Verstaatlichungswelle geplant Paris beschwichtigt
28.11.2012, 11:03 Uhr
Pierre Moscovici versucht, die Gemüter zu beruhigen.
(Foto: AP)
Nachdem Paris im Streit mit dem Stahlriesen Arcelor Mittal öffentlich überlegt hat, dessen Stahlwerk in Florange zu verstaatlichen, kommen Befürchtungen auf, dass das künftig Usus wird. Unnötig, meint der französische Finanzminister Moscovici. Der Fall Arcelor Mittal sei eine Ausnahme.
Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici ist Befürchtungen entgegengetreten, das Land stehe am Beginn einer Verstaatlichungswelle. Nach einem Treffen mit wichtigen amerikanischen und britischen Investoren versicherte Moscovici, dass die geplante Verstaatlichung eines von der Schließung bedrohten Stahlwerks von ArcelorMittal lediglich eine Ausnahme sei. "Was erwogen wird, ist ein vorübergehender Mechanismus", sagte der Minister vor Journalisten. "Es geht nicht darum, zu einem alten Denken zurückzukehren und massive, allgemeine, dauernde Verstaatlichungen zu betreiben." Zuvor war Moscovici mit Vertretern unter anderem der US-Großbanken JP Morgan und Morgan Stanley sowie des britischen Finanzinvestors Blackrock zusammengekommen.
Auslöser der Diskussion ist der monatelange Kampf um die Zukunft des maroden Stahlwerks von Arcelor Mittal. Arcelor Mittal hatte Anfang Oktober angekündigt, seine Hochöfen im lothringischen Florange schließen zu wollen, gab der Regierung aber zwei Monate Zeit einen Käufer zu finden. Zuletzt hatten sich die Fronten zwischen dem Unternehmen und der Regierung verhärtet: Paris hatte in der vergangenen Woche eine vorübergehende Verstaatlichung des Standorts ins Spiel gebracht. Industrieminister Arnaud Montebourg erklärte am Montag gar, Frankreich wolle Mittals Stahlkonzern nicht länger im Land haben, weil das Unternehmen seine Zusagen nicht eingehalten habe.
Präsident Francois Hollande traf sich daraufhin am Dienstagabend mit dem indischen Stahlmagnaten Lakshmi Mittal, um die Wogen zu glätten. Während eines Treffens mit Arcelor-Chef Lakshmi Mittal drang Hollande auf weitere Verhandlungen zwischen seiner Administration und dem Stahlkonzern, zumindest bis am Samstag die Zweimonats-Frist des Unternehmens ausläuft. Gleichzeitig unterstrich Hollande sein Ziel, Arbeitsplätze am Standort Florange zu retten. Noch steht die französische Regierung nicht vor vollendeten Tatsachen. "Die Gespräche halten an", sagte ein Sprecher von ArcelorMittal.
Hollande macht Ernst
In der Auseinandersetzung um Florange macht Hollande erstmals mit einer in seinem Wahlkampf propagierten Forderung ernst: Unternehmen sollen gezwungen werden, erst nach einem Käufer Ausschau zu halten, bevor sie einen Betrieb stilllegen. Die potenziell bittere Pille für den betroffenen Konzern: Es droht der Ausverkauf an einen Wettbewerber, der ihnen später wichtige Marktanteile abluchst. Von einer Verstaatlichungswelle wie vor zwanzig Jahren will Hollande aber nichts wissen. Nach dem Wahlsieg des Sozialisten Francois Mitterrand im Jahr 1981 waren viele Betriebe in Staatshand übergegangen.
Dennoch schloss Industrieminister Montebourg vergangene Woche einen zeitweiligen Kauf durch die Regierung nicht aus, damit diese dann mehr Zeit hätte, einen Käufer zu finden. Der Minister verglich seinen Plan vor Parlamentariern mit der Rettung von General Motors durch US-Präsident Barack Obama. Dabei kann Montebourg auf breite politische Unterstützung in Frankreich bauen. Sowohl rechte als auch linke Politiker erklärten sich jüngst solidarisch und selbst hohe EU-Vertreter sympathisieren mit den Plänen aus Paris.
Der für den Binnenmarkt zuständige EU-Kommissar Michel Barnier mahnte zwar, jede Verstaatlichung müsse den strengen EU-Auflagen gerecht werden. Aber er räumte zugleich ein: "Europa darf bei seinen industriellen Ambitionen nicht zurückstecken. Was die Industrie betrifft, dürfen wir nicht einfach auf den Konsum amerikanischer und chinesischer Produkte setzen. Die Regierung hat Recht."
ArcelorMittal will auf dem Gelände des Florange-Stahlwerks zwei Hochöfen dichtmachen. 600 Arbeitsplätze gingen dabei verloren. Die beiden Hochöfen gelten als zu klein und zu weit entfernt von den Rohstoffquellen. Vor einem gestrigen Treffen zwischen Konzernchef Mittal und Hollande kündigte das Unternehmen wenig Gesprächsbereitschaft an. ArcelorMittal will nur einlenken, sofern die Regierung bis Samstag einen Käufer für die beiden Hochöfen findet.
Der Elysee-Palast wirft ein, dass ein Verkauf der Anlagen ohne den Rest des Werks schwierig sein dürfte. In Florange wird der Stahl auch endbearbeitet, vorzugsweise für die Autobranche. Ein Gesamtverkauf kommt für Mittal aber nicht in Frage. Teile des Werks werden mit Stahl aus anderen, produktiveren Hochöfen beliefert, die der Konzern in Nordfrankreich betreibt.
"Mittal braucht keine Vorprodukte", sagte Analyst Charles Bradford von Bradford Research. "Er braucht das Endprodukt. Darum nimmt er diesen Kampf auf." Die beiden Hochöfen in Florange liegen bereits seit mehr als einem Jahr still. Der Betrieb ächzt unter der in Europa schwer eingebrochenen Stahlnachfrage. Jeder potenzielle Käufer sei mit ähnlichen Problemen konfrontiert, gibt ArcelorMittal zu bedenken.
Auf dem Stahlkonzern lastet selbst der Druck der Investoren. Die jüngsten Kapazitätseinschnitte reichten nicht aus, um Zweifel an der Bonität des Unternehmens zu zerstreuen. Der Konzern steht vor einem Schuldenberg von 23 Milliarden US-Dollar. Die drei weltweit führenden Ratingagenturen haben die Kreditbewertung seit dem Sommer um jeweils eine Stufe herabgesetzt. Zwei von ihnen stuften ArcelorMittal von Investment- auf Ramschstatus herab.
Quelle: ntv.de, sla/rts