"Tolle Jahre bei Siemens" Pierer meidet Abrechnung
17.01.2011, 18:44 Uhr
Heinrich von Pierer stellt seine Autobiografie vor.
(Foto: dapd)
"Mr. Siemens" zieht Bilanz - viele Antworten liefert er aber nicht. Heinrich von Pierers Autobiografie spart die Schmiergeldaffäre zwar nicht aus, eine schonungslose Abrechnung ist sie trotzdem nicht.
Es war Heinrich von Pierer natürlich klar, dass alle wieder nur nach der Schmiergeldaffäre fragen würden. Da breitet der langjährige Siemens-Chef sein ganzes Leben aus, trägt Anekdoten zusammen aus Kindertagen, aus der Schulzeit, von den prägenden Begegnungen mit Wirtschaftsbossen und Politikern aus aller Welt. Und dann wollen alle doch wieder nur eines hören: Was hat er denn nun wirklich gewusst von den schwarzen Kassen bei Siemens, vom größten Korruptionsskandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte?
Nichts, sagt Pierer - mehrfach und wie stets zuvor. Die Präsentation seiner Autobiografie "Gipfel-Stürme" in Berlin ist der erste größere Auftritt seit langem, das Interesse groß, der Saal voll. Im dunkelblauen Anzug mit roter Krawatte erscheint von Pierer vor den Journalisten, so, wie er auf dem Buchumschlag abgebildet ist. Auch sein Gesichtsausdruck ist wie der auf dem Umschlagsfoto: ein selbstbewusster Mann, der sein Gegenüber mit einer gewissen Distanz betrachtet. Doch wer eine schonungslose Abrechnung erwartet hat, wird enttäuscht. Die Affäre bildet Start- und Schlusspunkt seines Buches, nimmt rund 50 der gut 430 Seiten ein: "Ich habe Stellung genommen im Rahmen dessen, was ich für vertretbar halte."
In einem laufenden Verfahren müsse jedes Wort mit Bedacht gewählt werden, zudem seien die meisten Medien ohnehin immer besser informiert gewesen als er selbst, erklärt der gebürtige Franke. "Ich hätte zu diesem ganzen Thema gar keinen neuen Beitrag leisten können." Dass mancher wohl mehr erwartet habe, müsse er jetzt in Kauf nehmen. Dass immer wieder dieselben Fragen gestellt würden, ebenfalls. Er habe auch Verständnis dafür. Aber ob es sinnvoll sei?
Keiner ging zum Vorstand
Bei Siemens waren über Jahre hinweg insgesamt rund 1,3 Mrd. Euro an Schmiergeldern in schwarze Kassen geschleust und dafür verwendet worden, lukrative Aufträge aus dem Ausland zu bekommen. Von Pierer hat stets beteuert, nichts davon gewusst zu haben. "Es hat doch in dem ganzen Verfahren keinen Anhaltspunkt dafür gegeben, dass die Leute, die diese schwarzen Kassen verwaltet haben, zum Vorstand gegangen sind", sagt er.
Dem Vergleich mit Siemens habe er nur zugestimmt, um eine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung zu verhindern, heißt es in dem Buch. Den Bußgeldbescheid habe er akzeptiert, um einen Schlussstrich zu ziehen. Der ehemalige Siemens-Chef und der Konzern hatten sich auf die Zahlung von fünf Mio. Euro geeinigt, wobei von Pierer eine persönliche Schuld nie eingeräumt hat. Verantwortung habe er aber dennoch übernommen, als er vom Vorsitz des Aufsichtsrats zurückgetreten sei, betonte der Manager. "Ich bedauere den Vorgang außerordentlich. Und die Menschen, die davon betroffen sind, tun mir leid."
Auf Fragen zu seinem Nachfolger auf dem Posten des Aufsichtsratschefs, Gerhard Cromme, reagierte von Pierer knapp. "Ich habe in meinem Buch dazu nichts geschrieben - und dabei will es auch belassen." Cromme saß während der Blütephase der Korruption im Prüfungssausschuss des Siemens-Aufsichtsrats und schwang sich später zum Aufklärer der Schmiergeldaffäre auf.
Milder Blick zurück
Und nach aller Kritik an seinem früheren Arbeitgeber lässt von Pierer Milde walten. "Ich habe 38 tolle Jahre bei Siemens verbracht", betont von Pierer, der Ende des Monats 70 Jahre alt wird. "Was meinen Abschied angeht: Den hätte ich mir anders vorgestellt."
Der größte Schmiergeldskandal der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte wurde aufgedeckt, als von Pierer bereits in den Aufsichtsrat gewechselt war. Die Vorgänge reichen jedoch in seine Amtszeit als Vorstandschef zurück. Siemens hat die Affäre rund 2,5 Mrd. Euro unter anderem an Strafzahlungen und Anwaltshonoraren gekostet.
Der amtierende Siemens-Chef Peter Löscher hatte angekündigt, Pierers Buch zu lesen, da er "an der Firmengeschichte interessiert" sei. Die juristische Aufarbeitung des Schmiergeldskandals geht am Donnerstag in eine neue Runde: Ex-Vorstand Thomas Ganswindt muss sich vor Gericht verantworten. Laut Anklage wusste er von Bestechungsvorgängen in seinem Verantwortungsbereich und ist nicht hinreichend dagegen vorgegangen. Die Staatsanwaltschaft legt ihm die Vernachlässigung seiner Aufsichtspflicht und Steuerdelikte zur Last.
Quelle: ntv.de, sla/dpa/rts/AFP