"Das war ein ernster Zwischenfall" Pilot und Kopilot schlafen ein
26.09.2013, 15:43 Uhr
Nachtlandung bei Wind und Wetter: "Würden Sie sich an Bord eines Flugzeuges begeben, wenn Sie wüssten, dass Ihr Pilot bei der Landung bereits 22 Stunden wach ist?"
(Foto: REUTERS)
Für Reisende mit Flugangst ist es der absolute Alptraum: Am Himmel über Großbritannien übermannt bleischwere Müdigkeit die Cockpit-Crew mitten im Flug. Der Airbus war angeblich fast eine Stunde lang führerlos auf Reise.

Leise surrt der Autopilot: "Müdigkeit ist die größte Herausforderung, vor der wir stehen".
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Übermüdung am Steuerknüppel: An Bord einer britischen Passagiermaschine sind bei einem nun aufgedeckten Vorfall offenbar beide Flugzeugführer während des Flugs gleichzeitig in den Tiefschlaf gefallen. Besatzung und Passagiere haben es lediglich dem Autopiloten zu verdanken, dass es nicht zu einem unkontrollierten Absturz kam.
Das Flugzeug flog derweil alleine weiter, lediglich am Himmel gehalten von der automatischen Steuerungsanlage. Der Autopilot wird je nach Bauart und Flugzeugtyp entweder nach Erreichen der Reiseflughöhe eingeschaltet oder er folgt computergesteuert der aktuellen Flugroute.
Dass der Vorfall überhaupt an die Öffentlichkeit gelangte, zeigt, wie ernst die Flugaufsicht das Thema "Übermüdung bei Piloten" nimmt. Die beiden Flugzeugkapitäne hätten in den beiden Nächten vor dem 13. August 2013 jeweils nur fünf Stunden Schlaf gehabt, heißt es in einem Bericht der britischen Flugsicherheitsbehörde Civil Aviation Authority (CAA).
"Das war ein ernster Zwischenfall, aber es war ein Einzelfall", sagte ein CAA-Sprecher. Eingeschlafen waren die beiden Männer demnach in einem zweistrahligen Passagierjet vom Typ Airbus A330, der je nach Version und Auslegung maximal 440 Passagiere aufnehmen kann.
Die britische Behörde wollte keine Auskünfte darüber geben, um welche Fluggesellschaft sich handelte und zwischen welchen Flughäfen die Maschine unterwegs gewesen war. Auch wie lange die beiden Piloten gleichzeitig geschlafen hatten, wurde von offizieller Seite nicht bestätigt.
Medienberichten zufolge soll es sich bei dem fraglichen Flug jedoch um eine Passagiermaschine einer Fluggesellschaft mit Sitz in Großbritannien gehandelt haben. Das Flugzeug sei auf einem Langstreckenflug gewesen, hieß es. Ob, und wenn ja wie viele Passagiere an Bord waren, blieb auch hier offen. Das Flugzeug soll den unterschiedlichen Angaben zufolge bis zu eine Stunde lang nur vom Autopiloten gesteuert worden sein.
"Übermüdet fliegende Besatzungen"

"Das war ein ernster Zwischenfall, aber es war ein Einzelfall": Europäische Pilotenverbände zweifeln.
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Die britische Pilotenorganisation Balpa widersprach indirekt der Einzelfall-These. Die CAA sei bei Weitem zu nachlässig mit dem Problem Müdigkeit im Cockpit umgegangen. "Müdigkeit ist die größte Herausforderung, vor der wir stehen", sagte Balpa-Generalsekretär Jim McAuslan. Das Problem sei unterschätzt. Er kritisierte neue EU-Regelungen, die die Zahl der erlaubten Flugstunden im Vergleich zu derzeit geltenden Regelungen erhöhe.
In Branchenkreisen wird der Vorfall intensiv diskutiert. Für kritische Beobachter passt extreme Übermüdung durchaus ins Bild. Seit Jahren zwingen der wachsende Wettbewerb und der Druck hoher Kerosinkosten längst auch gut etablierte Fluggesellschaft zu energischen Sparbemühungen. Bei der Ausweitung der Flugdienstzeiten dürfte das Kostenargument auf Arbeitgeberseite eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Die EU-Kommission scheint diesem Anliegen nun nachgeben zu wollen.
Pilotenverbände laufen Sturm gegen dieses Vorhaben: Seit Monaten warnt zum Beispiel der Verband der deutschen Verkehrspiloten, die Vereinigung Cockpit, vor den Gefahren, die überdehnte Dienst- und Bereitschaftszeiten in den Alltag der internationalen Luftfahrt tragen könnten.
EU-Vorschlag im Parlament
Wenige Tage vor einer anstehenden Entscheidung im Europaparlament spricht sich der Cockpit-Verband ausdrücklich gegen die geplante Einführung neuer Dienstzeitregelungen im zivilen Flugverkehr aus. "Die neuen, von der EU-Kommission vorgelegten Regelungen, werden weithin als 'unsicher' und als nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend kritisiert", hieß es. Bereits zu Jahresbeginn hatten Piloten und Kabinenpersonal versucht, mit Protestaktionen auf die Gefahren von Übermüdung bei Flugpersonal aufmerksam zu machen.
Das Thema "Flugdienstzeiten" steht Anfang kommender Woche in einer Sitzung des Transport-Komitees im EU-Parlament auf der Tagesordnung. Die Pilotenvereinigung Cockpit lehnt die Pläne der EU-Kommission zur Lockerung der bestehenden Schlaf- und Ruhevorgaben für Piloten strikt ab und fordert die Parlamentarier auf, den Vorschlag zurückzuweisen.
Landung nach 22 Stunden Dienst?
Der europäische Pilotenverband ECA pflichtet unterdessen den Piloten aus Deutschland und dem übrigen Europa bei: Die geplante Neuregelung für Bereitschaftszeiten und Nachtflugzeiten würde, so ECA-Präsident Nico Voorbach, "die Situation gefährlich übermüdet fliegender Besatzungen verschlimmern." Voorbach wandte sich mit dramatischen Worten an die Öffentlichkeit: "Würden Sie sich an Bord eines Flugzeuges begeben, wenn Sie wüssten, dass Ihr Pilot bei der Landung bereits 22 Stunden wach ist? In Zukunft werden Sie keine Wahl haben."
Nach Angaben der Pilotenvereinigung Cockpit würde es die neue Regelung den Fluggesellschaften unter Umständen gestatten, Piloten im Anschluss an acht Stunden Bereitschaftsdienst für einen vollen Flugdienst von bis zu 14 Stunden einzuplanen. Im Extremfall könnte damit eine Landung "nach einer Wachzeit von mehr als 22 Stunden stattfinden". Verbandspräsident Ilja Schulz spricht von einer "ausgesprochenen Gefahr für die Flugsicherheit".
Quelle: ntv.de, mmo/dpa