Regulierung des Strommarkts Bei Absahnern der Krise müssen Anleger jetzt aufpassen
01.09.2022, 18:45 Uhr
Regulierung tut Not. Die sogenannten Futures für Strom zur Auslieferung im kommenden Jahr sind zum Teil bereits über 1000 Euro pro Megawattstunde geklettert.
(Foto: picture alliance / Daniel Kubirski)
Fast 1000 Euro kostete eine Megawattstunde Strom jüngst. Während Verbraucher stöhnen, gibt es Branchen, die prächtig an den Rekordpreisen verdienen. Wer investiert, kann am Boom teilhaben. Die Frage ist nur, wie lange noch.
Des einen Freud', des anderen Leid. Das war schon in der Corona-Krise so. Der Online-Handel boomte, der stationäre Handel kämpfte gegen die Pleite. Auch die Energiekrise hat ihre Gewinner und Verlierer. Während Verbraucher und Unternehmen unter den gestiegenen Energiekosten ächzen, gibt es auch diesmal Branchen, die gutes Geld mit der Krise verdienen. Sie sind die Absahner in der Krise.
Zu denen, die nicht über die hohen Preise für Strom klagen, gehören die Förderer von fossilen Energien. Das hat damit zu tun, dass für die Gewinnung von Strom und Wärme in Deutschland zu einem wesentlichen Teil immer noch konventionelle beziehungsweise fossile Energiequellen wie Erdgas, Erdöl, aber auch Kohle eingesetzt werden. Seitdem Gas durch den Stopp der Lieferungen aus Russland knapp geworden ist, klingeln die Kassen. Anleger, die auf dieser Welle mitgesurft sind, haben mitverdient. Ob BP, Shell, Chevron, Total oder Saudi Aramco - die Kurse der Energielieferanten liegen dieses Jahr zweistellig im Plus.
Auch Versorger wie RWE oder EnBW gehören zu denen, die sich über Mitnahmeeffekte freuen. Vor allem, wenn sie ihren Strom nicht aus teuren Gaskraftwerken, sondern aus günstigeren Energiequellen beziehen wie Wasserkraft, Biomasse, Solaranlagen oder AKWs. Der Trick dabei ist, dass sie den Verbrauchern trotzdem saftige Rechnungen präsentieren können, weil der Strompreis jeweils vom teuersten Kraftwerk vorgegeben wird. Was in der Fachsprache Merit-Order- Prinzip genannt wird, ist eine Milchmädchenrechnung: Wer sich billig etwas besorgen und wegen Versorgungsengpässen teuer weiterverkaufen kann, ist wirtschaftlich im Vorteil. Anleger konnten auch hier prächtig mitverdienen: Allein die RWE-Aktie hat in diesem Jahr zwischenzeitlich bis zu 22 Prozent zugelegt.
Betreiber von Windkraftanlagen und Solarparks zählen ebenfalls zu den Profiteuren. Doch es gibt auch große Unterschiede: Sich eine goldene Nase verdienen können nur die Unternehmen, die ihren Strompreis nicht bereits vor langer Zeit fixiert haben. Denn normalerweise wird der Marktpreis zum Zeitpunkt des Baus der Anlage mit den Abnehmern auf 10 bis 15 Jahre vereinbart. Was bedeutet, dass die Preise den aktuellen Marktpreisen hinterherhinken. Da der Strompreis in sehr kurzer Zeit explodiert ist, klafft die Preis-Schere jetzt sogar sehr weit auseinander. In die Zukunft zu denken, lohnt sich. Wer jetzt eine Solar- oder Windkraftanlage baut, vereinbart Lieferverträge auf dem Niveau der aktuellen Höchstpreise. Hier heißt es also, genau hinschauen.
Keiner weiß, wann der Hype vorbei ist
Neben den Förderern fossiler Energien, Versorgern und Betreibern von Windkraftanlagen oder Solarparks gibt es zu guter Letzt auch noch die Händler, die mit der Stromkrise prächtig verdienen: In Deutschland ist das beispielsweise die Deutsche Börse in Frankfurt, die an der Leipziger Strombörse EEX (European Energy Exchange) die Mehrheit hält. Die Preisexplosion bei Strom und Gas beschert der Strombörse ein hohes Handelsvolumen. Reger Handel bedeutet gutes Geschäft. Die Aktie der Deutschen Börse spiegelt das wider. Der Kurs ist dieses Jahr um 16 Prozent gestiegen. Analysten trauen dem Papier zwar noch mehr zu, das Dilemma bei Investments in Krisen-Profiteure ist aber immer dasselbe: Keiner weiß, wann der Hype vorbei ist.
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages beschreibt eine solche Abgabe als eine Steuer, die den über einen "Normalgewinn" hinausgehenden Gewinn belastet. Was als "Normal"- und was als "Über"-Gewinn gelten soll, kann dabei verschieden berechnet werden, wie der wissenschaftliche Dienst im März 2021 anlässlich der Auswirkungen der Corona-Pandemie erklärte. Meist werden Vergleichszeiträume aus Vorkrisen- oder Friedenszeiten herangezogen und dann Renditen definiert, die in diesen Zeiten üblich waren.
Anleger, die jetzt auf den Zug aufspringen, könnten bereits zu spät dran sein. Schuld daran ist die Politik. Ihr sind die Profiteure ein Dorn im Auge. Deshalb sind die Gewinne, die hauptsächlich bei Betreibern von Kraftwerken mit erneuerbaren Energien und bei Atomkraftwerken anfallen, weil sie Energie zu niedrigen Kosten herstellen können, auch Chefsache geworden. Das Bundeswirtschaftsministerium prüft unter Hochdruck die Einführung einer "Übergewinnsteuer" auf Strom. Mit dem Geld sollen Entlastungen für die Bevölkerung finanziert werden. Kommt es zu diesem Abschöpfen der "Übergewinne" und wenn ja, wann - lauten also die entscheidenden Fragen. Denn in dem Moment dürfte die Kursrallye jäh beendet sein. "Aktieninvestments in Kraftwerksbetreiber können verlustträchtig sein, da am Ende EU-weite Preisgrenzen die Gewinnsituation der Versorger schmälern dürften", sagt Jochen Stanzl, Marktanalyst bei CMC Markets ntv.de.
Die Regulierung des Energiemarktes ist in vollem Gange. Die Reform der Gasumlage, die ab dem 1. Oktober zeigt, wie angestrengt die Politik versucht, auf die Geldbremse zu treten. Die in Aussicht gestellte fröhlich sprudelnde Einnahmequelle wird für einige Versorger versiegen, bevor sie diese überhaupt anzapfen konnten. Normalerweise würde die Regulierung Monate dauern, denkbar ist aber auch eine Übergangslösung, ein "Notfalleingriff", wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen es am Mittwoch nannte. Offen ist auch noch, welche Branchen es am Ende treffen wird. Theoretisch könnte es auch Hersteller von Impfstoffen oder Halbleitern treffen. Denn auch sie sind Krisen-Profiteure.
Mögliche Strommarkt-Regulierung verunsichert
Dass die Preisbewegungen am Strommarkt außergewöhnlich sind und etwas zum Schutz notleidender Verbraucher und Unternehmen unternommen werden muss, steht außer Frage. Eine einfache Beispielrechnung von CMC Markets zeigt, wie dringend: Eine Kilowattstunde Strom kostet im Fünfjahresschnitt 41 Cent, am Freitag waren es für Stromlieferungen in einem Jahr in der Spitze 15,17 Euro. Addiert man den Gaspreis, der ebenfalls explodiert ist, hinzu (hier lag der Fünfjahresschnitt bei 1,8 Cent, jetzt sind wir bei 28 Cent), dann bedeutet das für einen Zwei-Personen-Haushalt mit einem Verbrauch von 2400 Kilowatt Strom plus 15.000 Kilowatt Gas eine jährliche Kostensteigerung von 1250 Euro auf 40.000 Euro.
Das kann nicht funktionieren. Deshalb tut Regulierung not. Anleger können an einem Boom teilhaben. Aber auf ein Kursfeuerwerk folgt in der Regel Katerstimmung. Die Wette wird mit der zunehmenden Dauer einer Krise riskanter, denn irgendwann ist sie vielleicht auch überwunden. Die Debatte um die Regulierung der Strompreise verunsichert die Anleger deshalb zurecht. Ein Blick auf den RWE-Kurs zeigt, ein Großteil der Gewinne hat sich bereits wieder verflüchtigt. Auch beim Solar- und Windparkbetreiber Encavis macht sich die mögliche Strompreis-Regulierung bemerkbar. Am Mittwoch verloren die Papiere wieder drei Prozent an Wert.
"Eine gesetzliche Regulierung dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit in der einen oder anderen Form kommen. Wie auch immer diese ausgestaltet ist, es besteht im Strommarkt ein enormes regulatorisches Risiko für Investoren", warnt Marktanalyst Stanzl. Wer reflexartig jetzt noch auf die Profiteure der Stromkrise wetten will, sollte sich vielleicht vorsorglich die Kurse der Corona-Profiteure zu Gemüte führen. Viele der Highflyer-Aktien des Jahres 2020, wie Zoom, Peloton und Delivery Hero sind abgestürzt. "Was hochfliegt, kann auch tief fallen", lautet die passende Börsenweisheit dazu. "Auf eher kurzfristige Trends aufzuspringen, erst recht, wenn alle darüber reden, kann gutgehen, ist unter Chance-Risiko-Aspekten meist aber nicht zu empfehlen", resümiert Stanzl. "In langfristige Trends wie zum Beispiel Digitalisierung oder auch erneuerbare Energien zu investieren, ist sicherlich die bessere Strategie."
Quelle: ntv.de