Wirtschaft

Am Rande des Kollaps S-Bahn-Chaos in Berlin

Was sich seit knapp drei Wochen in der Berliner S-Bahn abspielt, ist kaum zu glauben. Fahrgäste kleben in überfüllten Zügen wie Sardinen aneinander, nur die Luft ist noch schlechter als die Laune und wer Pech hat, kommt gar nicht mehr mit.

Horror für die täglich etwa 1,3 Millionen Fahrgäste der Berliner S-Bahn: Ab Montag fahren nur noch ein Drittel der Züge.

Horror für die täglich etwa 1,3 Millionen Fahrgäste der Berliner S-Bahn: Ab Montag fahren nur noch ein Drittel der Züge.

(Foto: dpa)

Ungläubig hören die Berliner jetzt, dass sie noch enger zusammenrücken sollen. Und Hunderttausende wollen es auch gar nicht glauben, dass der S-Bahn-Verkehr auf der wichtigsten Ost-West-Verbindung, der Stadtbahn zwischen Bahnhof Zoo und Ostbahnhof, von Montag an für einige Wochen völlig stillgelegt wird. Die S-Bahn war in der einstigen Mauerstadt jahrzehntelang ein Symbol der Einheit.

Weil am 1. Mai ein Zug wegen einer gebrochenen Radscheibe entgleist war, hatte das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) Überprüfungen und Auswechselungen an Rädern und Achsen der wichtigsten S-Bahn-Baureihe 481/482 angeordnet. Seit Ende Juni stauen sich Hunderte S-Bahnwagen auf den Abstellgleisen vor den Werkstätten.

Berliner Verkehrsbetriebe springen ein

Ein Werbeposter vor einem Berliner S-Bahn-Schild

Ein Werbeposter vor einem Berliner S-Bahn-Schild

(Foto: AP)

Am vergangenen Donnerstag wurden die Fristen für die Prüfungen vom EBA erneut verkürzt. Jetzt stehen dem Unternehmen für den Transport von werktags 1,3 Millionen Fahrgästen erst einmal nur noch 165 sogenannte Viertelzüge aus jeweils zwei Wagen zur Verfügung. Für einen normalen Betrieb werden aber 552 Viertelzüge gebraucht. Erst im Dezember sollen alle Kontrollen und Austauscharbeiten geschafft sein. Bis dahin werden nun alle Busse und Bahnen der kommunalen und privaten Berliner Verkehrsbetriebe mobilisiert.

Untragbarer Zustand

Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB kann sich an ein ähnliches Desaster eines deutschen Bahnunternehmens nicht erinnern. "Nach Kriegsende, im Sommer 1945, da lief einige Zeit auf der Stadtbahn nichts", sagt Wieseke sarkastisch. Doch selbst in den Zeiten der deutsch-deutschen Teilung sei die S-Bahnverbindung auf der Stadtbahn zwischen Zoo im Westen und Bahnhof Friedrichstraße im Ostteil der Stadt aufrechterhalten worden.

Tourismusmanager sind entsetzt und fürchten um den Ruf der Stadt. Sehenswürdigkeiten wie das Brandenburger Tor, die Museumsinsel, das Holocaust-Mahnmal oder der Fernsehturm am Alexanderplatz sind normalerweise am schnellsten mit der S-Bahn zu erreichen. Das steht in fast jedem Reiseführer. Was soll man jetzt den Hunderttausenden von Besuchern aus aller Herren Ländern sagen? Und Sportfunktionäre fragen sich, wie die erwarteten Besuchermassen ins Olympiastadion gefahren können werden, wo Mitte August die Leichtathletik-Weltmeisterschaft beginnt.

Kritik an Deutscher Bahn

Bahnvorstand Homburg ist kaum im Amt, schon muss er als Chef des Personenverkehrs das Chaos klären.

Bahnvorstand Homburg ist kaum im Amt, schon muss er als Chef des Personenverkehrs das Chaos klären.

(Foto: dpa)

Die Berliner S-Bahn ist eine hundertprozentige Tochter der Deutschen Bahn. Die Berliner Landespolitik sieht das Chaos bei der Bahntochter über alle Parteigrenzen hinweg als Lehrstück, was passieren kann, wenn ein Verkehrskonzern wie die Deutsche Bahn für einen Börsengang rücksichtslos auf Gewinn getrimmt wird. "Aus England wissen wir, wie sich nach einer Bahnprivatisierung Mängel häufen. Die Deutsche Bahn zeigt uns, wie das schon vor der Privatisierung möglich ist", spottet die verkehrspolitische Sprecherin der Berliner Grünen, Claudia Hämmerling.

In Berlin gibt niemand der Bahn die Schuld daran, dass Räder und Achsen ihrer Züge nicht die lange Lebenserwartung haben, die man sich vom Hersteller Bombardier erhofft hat. Aber dem Konzern wird vorgeworfen, die S-Bahn durch einen rigorosen Sparkurs so weit heruntergewirtschaftet zu haben, dass sie ernstere Probleme nicht mehr bewältigen kann. Werkstätten wurden geschlossen, Werkstattpersonal reduziert, Fahrzeugreserven abgebaut. Gleichzeitig stiegen die Gewinnabführungen an den Mutterkonzern.

Missstände lange bekannt

Das EBA machte Ende Mai bekannt, dass die S-Bahn fällige Wartungen einfach unterließ. Bekannt wurde auch, dass sich die Zahl der Signal- und Weichenstörungen binnen fünf Jahren nahezu verdoppelte. Die Liste der Missstände, die sich Ulrich Homburg anhören muss, wird länger und länger. Der drahtige, sonst so dynamisch auftretende Bahnmanager, der Anfang Juli den Rauswurf der bisherigen S-Bahn-Geschäftsleitung verkündete, wirkt zerknirschter, seit er auf Pressekonferenzen eine schlechte Nachrichten nach der anderen verkünden muss.

Der neue Konzernchef Rüdiger Grube entschuldigte sich kürzlich bei den Berlinern. Vielen in der Stadt ist das nicht genug. Der CDU- Landesvorsitzende Frank Henkel fordert als Entschädigung für die S- Bahnfahrgäste zwei freie Monate freie Fahrt. Homburg hat den Stammkunden einen Monat angeboten.

Quelle: ntv.de, Harald Rohde, dpa

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